Das Mainzer „Regierungsviertel“ – aktuell der Bereich zwischen Rhein, Schloss, Landtag bis zum Allianzhaus und dem Brunnen auf dem Ernst-Ludwig-Platz – soll neu gedacht werden. Schon seit Jahrhunderten wurde das Viertel immer wieder umgestaltet – nun ist (dank Biontech- Corona-Steuern und dem Umzug des Römisch- Germanischen Zentralmuseums) die Möglichkeit wieder einmal da – auch die Große Bleiche könnte an dieser Stelle für den Verkehr geschlossen werden.
Seit Monaten beschäftigen sich Bürger daher in verschiedenen Beteiligungsformaten mit Ideen zur Neukonzeption, und das Thema birgt jede Menge Zündstoff: Erwachsene treffen auf junge Ideen, Politik und Ideologie auf Bürgerträume und Wirtschaftsinteressen auf Erholung ohne Konsumzwang. „Was wollen wir, was wollen wir nicht? Und welche denkmalschutzrechtlichen Aspekte müssen berücksichtigt werden?“ Um diese Fragen geht es, spricht Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) die Foren an. Und ja, dabei gehe es auch um die Verkehrssituation auf der Großen Bleiche. „Es ist schon ein erklärtes Ziel, dass der Individualverkehr in diesem Bereich so weit wie möglich eingeschränkt wird. Die Frage ist, ob man die Große Bleiche so entwickeln kann, dass dort nur noch Busse fahren.“
Schließung der Großen Bleiche
Und tatsächlich soll die Große Bleiche an dieser Stelle als Experiment mit einem möglicherweise dauerhaftem Charakter im Juli vorerst für mehrere Wochen geschlossen werden, und zwar nach dem SWR3 Open Air am 15. Juli. Zusätzlich sollen verschiedene Aktionen und „Interventionen“ auf den Plätzen links und rechts der Straße stattfinden. Die Ideen reichen von Freizeit- und Kulturangeboten, über mobile Begrünung, Spielgeräte, Streetfood oder andere temporäre Gastronomie bis hin zu einem Sprühnebel oder Elementen, die Wasser erlebbar machen. Grosses Dezernat arbeitet auf Hochtouren. Mit der bisherigen Beteiligung ist die Dezernentin sehr zufrieden. „Das war besser als erwartet.“ Es seien gute Ideen dabei gewesen, die man sich nun anschaue. „Vieles deckt sich mit unseren Ideen.“ In ihrem Dezernat wird am Ende der Foren eine Beschlussvorlage erarbeitet, die in den Stadtrat eingebracht wird. Im kommenden Jahr soll ein Freianlagenwettbewerb folgen.
Entspannte Ideen für alle Altersklassen
Über 800 Vorschläge seien bislang eingegangen, sagte Erik Flügge von der Agentur für Bürgerbeteiligungsprozesse „Squirrel & Nuts“. Dabei werde „das Regierungsviertel als Ort der Elite wahrgenommen“, so Flügge. Viele Bürger haben den Eindruck, dass sie da nichts zu suchen haben. Der Wunsch sei, Gemeinschaft zu schaffen mit Bänken, Tischen, öffentlichen Toiletten und Wasserspendern sowie Räumen für Aktivitäten und Erholung. Die drei zentralen Ideen dabei sind: Geschichte, Gemeinschaft und Stadtgrün. Daraus haben die Bürger(foren) mehrere Wünsche und Aspekte abgeleitet: Trennendes wie die Große Bleiche oder die Eingrenzung des Schlosshofs soll abgebaut werden. Mehr Möglichkeiten für kleine Events, aber bitte keine großen (Wein)Feste mehr! Radfahr- und Fußgängerfreundlichkeit: barrierearm. Gemeinschaft durch Aktivitäten und Sport. Freiraum für (Sub)Kultur, evtl. auch in der angrenzenden Tiefgarage, deren zweites Untergeschoss sowieso dauernd leer stünde. Ein Park des Volkes statt eines repräsentativen Regierungsviertels! Aufenthaltsqualität ohne Konsumzwang, und wenn schon, dann erschwingliche Gastronomie, auch für Kinder, Jugendliche und Senioren. Abenteuer und Rückzug für Jugendliche und Kinder, ohne von Erwachsenen als störend empfunden zu werden. Eine bessere Kommunikation der Historie des Viertels. Natur, also möglichst viel Grün, jedoch ohne mobile Grünelemente oder Fassadenbegrünung, sondern richtiges Grün, Bäume etc. auf dem Boden. Und natürlich: öffentliche Toiletten und Schatten sowie endliche eine gute Idee, was mit dem alten Brunnen passieren soll!
Die Wünsche sind da, auf die Ausgestaltung der Ideen kommt es nun an. Vom Mainzer Baudezernat sind in der Vergangenheit nur wenige mutige Visionen gekommen. Dazu kommt die allgegenwärtige Überlastung der städtischen Verwaltung. Es wäre schade, diese Chance auf einer der letzten innerstädtischen Flächen zu verwursten. Viel Hoffnung liegt somit in dem Projekt.
Neubrunnenstraße autofrei?
Und die Ideen werden noch weiter gesponnen: Wenn es nach den Mainzer Grünen geht, könnte das Teilstück der Neubrunnenstraße zwischen der Hinteren Bleiche und der Kaiserstraße auch noch eine Fußgängerzone sein. Man möchte damit an die Entwicklung der bestehenden Fußgängerzone Richtung Neubrunnenplatz anschließen. So könne „die Große Bleiche wieder das werden, was sie früher einmal war: die zentrale Achse zwischen Münsterplatz und Rhein zum Flanieren und Verweilen“. Rückenwind bekommen die Grünen von der Initiative Mainz Zero, die unterstützt von lokalen Gruppen aus BUND, Greenpeace, NABU, Parents for Future, VCD und Workers for Future eine Petition an Oberbürgermeister Haase gerichtet haben mit der Forderung, in allen Stadtteilen Grünachsen zu schaffen, in denen Fußgänger und Radfahrer Vorrang haben. Auch sie hatten sich das Teilstück der Neubrunnenstraße zwischen Kaiserstraße und Hinterer Bleiche als Grünachse ausgesucht. Stadtentwicklung möchten die Grünen nicht allein der Verwaltung überlassen. Die gewählten Kommunalpolitiker müssten stärker als bisher einbezogen werden, wünscht sich ihr Kreisvorsitzender Jonas König: „Die Chance, nach 15 Jahren zu bestimmen, welches Gesicht die Stadt Mainz haben soll, und welcher Beitrag auch in diesem Bereich für das Erreichen der Klimaziele der Stadt geleistet werden kann, wollen wir nutzen“, sagt er in der Allgemeinen Zeitung. Nicht ganz so ideologisch waren die Bürger beim Beteiligungsforum zum Regierungsviertel unterwegs. Hier ging es moderater zu: Man möchte das Viertel trotz aller Visionen gerade nicht als strahlendes Beispiel für die Verdrängung von etwa Autos anpreisen, sondern ohne viel Aufhebens und Kampfansagen zeigen, dass alle Parteien befriedet werden können und auch nötig sind, ohne gleich ein Politikum aus jedem Argument zu machen. Es lebe der Wille des Volkes!
Text David Gutsche