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Alles geregelt – Unterwegs mit dem Mainzer Ordnungsamt

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von Julius Braun Fotos Jana Kay

Samstagnacht, kurz nach vier. Laternen werfen lange Schatten. Die Straßen sind menschenleer. „Jetzt passiert nicht mehr viel“, meint Olaf und blinzelt träge. Die Scheinwerfer seines Autos glitzern auf schwarzen Hausfassaden, als das Telefon klingelt: „Lärm in der Leibnizstraße“. Günter dreht das Lenkrad und fährt Richtung Neustadt. Aus der Ferne tönt Geschrei, Schuhe fliegen durch die Luft.

Vier Männer jagen um die Ecke. Günter stoppt augenblicklich den Wagen und rennt ihnen mit Olaf hinterher. Aus den Fenstern glotzen Schaulustige: „Dahinten prügeln die sich.“ Die Beamten ziehen die Streithähne auseinander. Drei muskulöse Jugendliche und ein weißhaariger Mann sind aneinander geraten. „Der hat uns geschlagen“, schreien die Jugendlichen, einer von ihnen im zerrissenen T-Shirt. „Nein, die schlagen mich“, keift der Mann und sammelt seine Schuhe zusammen. „Seitdem die hier wohnen, kann ich wegen dem Krach keine Nacht mehr schlafen“, ruft er wütend. Dann bremsen auch schon drei Streifenwägen der Polizei vor dem Haus.

Dienstbeginn um zehn

„In der Nacht hat die Stadt ein völlig anderes Gesicht“, sagt Olaf. Er hockt auf dem Beifahrersitz, ist groß, schlank und glatzköpfig. Am Steuer sitzt Günter – breit gebaut und ebenfalls mit rasiertem Schädel. Beide sind Ende dreißig. Es ist zehn Uhr abends. Gerade hat ihre Schicht begonnen und schon wartet der erste Auftrag. Eine Ruhestörung in der Innenstadt. Bis zu ihrem Feierabend um sechs in der Früh werden viele weitere folgen. Angekommen dringt aus einem der oberen Fenster gedämpftes Gelächter. Ein Nachbar öffnet das Haus. Die Beamten steigen hoch in den fünften Stock. „Wir werden nicht mit offenen Armen empfangen. Trinkgeld gibt’s hier keins“, sagt Günter schmunzelnd. „Aber wenn sich jemand beschwert, müssen wir handeln.“ Er klingelt an der Wohnungstür. „Da musst du mit allem rechnen. Einmal stand auch einer mit Baseballschläger dahinter.“ Eine schmale Frau öffnet. „Ordnungsamt der Stadt Mainz“, sagt Olaf. „Sie sind zu laut. Falls wir noch eine Beschwerde bekommen, wird es teuer für sie.“ Nach einer kurzen Unterhaltung ist die Sache er erledigt. „Die reden nur und gucken Fernsehen. Da ist für uns kein Handlungsbedarf“, meint Günter und stapft zurück zum silber-blauen Opel mit der Aufschrift Ordnungsamt.

180 Kilometer pro Tag

Günter und Olaf wollen auf unseren Fotos unerkannt bleiben. Auch ihre Namen müssen wir ändern. Das Risiko sei zu hoch. „Ein Kollege von uns wurde neulich erkannt und in der Fußgängerzone von vier Leuten zusammengeschlagen“, erzählt Günter. „Das Gewaltpotenzial wird jedes Jahr höher. Auch die Gewalt gegen uns und Kollegen der Polizei nimmt zu.“ Günter arbeitet seit 2008 beim Ordnungsamt, Olaf seit 2007. Zur Ausbildung waren sie zehn Wochen auf einem Lehrgang an der Polizeischule. „Der Rest kommt von Fall zu Fall“, meint Olaf. „Aber richtig kann man dafür nicht geschult werden.“ Am meisten los sei zwischen zwei und halb drei. Jetzt, vor 24 Uhr, sind die Fälle eher harmlos. Ein zu lauter Trockner oder ein paar junge Leute, die auf ihrer Terrasse grillen. „Studenten! Da wissen sie ja Bescheid“, schimpft der aufgebrachte Anwohner. Doch von denen ist kaum etwas zu hören. „Das ist einer der Fälle, wo man einfach nur den Kopf schüttelt“, meint Günter und steigt zurück ins Auto. „Wir sind die ganze Zeit am Rumfahren“, sagt Olaf und startet den Motor. „Es gab schon Dienste, da waren es über 180 Kilometer.“

Schwarze Katze

Kurz nach 23 Uhr ein ungewöhnlicher Anruf: Eine Katze ist in eine fremde Wohnung gelaufen und terrorisiert eine Mutter und deren Kind. „Ich weiß mir nicht mehr zu helfen“, sagt die Frau zur Begrüßung und zeigt auf ihre zerkratzten Beine. Auf dem Fernsehtisch zwischen Videorecorder und PlayStation sitzt eine schwarze Katze, drum herum jede Menge Katzenpisse, von der ein beißender Gestank ausströmt. Auf dem Bett kauert der Sohn und beobachtet das Tier. „Die gehört hier niemandem im Haus“, sagt sie. „Das wüsste ich.“ Günter geht vorsichtig zu der Katze und streichelt sie beruhigend. Dann trägt er sie nach draußen. Im Flur aber entwischt das Tier und rennt in den Keller, wo es regungslos sitzen bleibt. „Die Kollegen bringen jetzt eine Katzenbox“, sagt Olaf nach einem Telefonat, „dann können wir sie ins Tierheim bringen.“ Während Olaf die Katze bewacht, steht Günter draußen und raucht. „Früher hatte ich nichts mit Gesetzen zu tun“, sagt er. Er habe Bäcker gelernt, dann aber gewechselt. Olaf dagegen kommt – wie einige beim Ordnungsamt – von der Bundeswehr. „Man erlebt schon viele traurige und unschöne Sachen“, meint Günter. In der Nacht seien es vor allem Ruhestörungen oder psychisch Kranke, die sie betreuen und in die Klink bringen müssten. „Da muss man viel Fingerspitzengefühl haben.“ Tiere sind eher die Ausnahme. Einige Fälle beschäftigen ihn heute noch. Etwa eine verwahrloste alte Dame, die er in seinen ersten Wochen erlebte. Der Müll in ihrer Wohnung stand so hoch, dass er kaum durch die Türe passte, sagt Günter. „Auch heute denke ich noch, was aus ihr geworden ist.“ Er zieht an seiner Zigarette und erzählt weiter von verwesten Leichen, Verrückten oder zerrütteten Familien. „Man darf diese Geschichten nicht mit nach Hause nehmen.“ Nach der Arbeit müsse man abschalten. „Sonst macht man den Job nicht lange.“

Die Spielverderber sind da

Je später der Abend, desto lauter die Partys. Nachdem die Katze nach einigem Kratzen und Beißen ins Tierheim nach Mombach gebracht wurde, stapeln sich die Aufträge. „Wir sind definitiv zu wenige Leute“, sagt Olaf. „Jetzt müssen wir den Rückstand aufarbeiten.“ Am Wochenende ist das Ordnungsamt mit zwei Teams für ganz Mainz unterwegs. Ab drei Uhr nur noch mit einem. Da das Gebiet aber bis Ebersheim geht, kommen sie manchmal erst Stunden nach einer Beschwerde an. Diese Nacht fahren wir unter anderem zu einer türkischen Hochzeit, einer Studentenparty in die Altstadt, einem Club im Bleichenviertel und einer Erasmus-Party im Studentenwohnheim. „Die Spielverderber sind da“, ruft Olaf, als er die Feier betritt. Bitten und Diskutieren hilft hier nichts. Die Musik muss aus. An anderen Orten dagegen lässt sich beim besten Willen kein Lärm orten. Olaf ruft dann in der Zentrale an. „Außer Schnarchen ist hier nichts zu hören.“ Und weiter geht es.

Ich hasse das Ordnungsamt

In der Einsatzzentrale sitzt Herr Frisch. Einer der Dienstältesten im Ordnungsamt. „Es ist viel los. Aber sonst haben wir mehr an Samstagen“, sagt er. Der Grund sei das Wetter. Frisch nimmt die Anrufe von Anwohnern und der Polizei, die Aufträge an das Ordnungsamt weiterleitet, entgegen. Dann verteilt er die Einsätze an seine beiden Teams. Gegen drei Uhr steht für Olaf und Günter eine Party am Höfchen auf dem Plan. Schon von weitem ist die laute Musik zu hören. „Ich hasse das Ordnungsamt“, brüllt ihnen ein Partygast entgegen. Sie ignorieren ihn und sprechen mit den Verantwortlichen. Die Musik verstummt. „Spielverderber“ und „Blau-weißer Party-Bus, schalalalala“, johlen ihnen die betrunkenen Gäste nach. Olaf zuckt nur mit den Achseln. „Das geht bei mir hier rein und hier wieder raus.“ Kurz vor vier gibt es keine Aufträge mehr. Jetzt konzentrieren sie sich auf die „normale Gefahrenabwehr“, erklärt Günter. Das heißt, beliebte Plätze und Straßen abfahren und nach dem Rechten sehen. Doch die Schlägerei in der Leibnizstraße durchkreuzt den Plan. Nach der Auseinandersetzung übergeben Olaf und Günter die Beteiligten der Polizei. „Das ist jetzt deren Sache“, sagt Olaf. Dann gönnen sie sich ihre erste Pause. Nach sechs Stunden Arbeit. Das Telefon bleibt stumm. Langsam macht sich die Müdigkeit bemerkbar. Ihre Arbeit machen sie trotz allem gerne. „Ich bereue meine Entscheidung in keiner Weise“, meint Günter. „Es gibt nichts Besseres als den öffentlichen Dienst. Hier ist alles geregelt.“