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Minimalismus im Alltag: Warum Zero Waste nicht 100 Prozent sein muss

Julia beim Müllsammeln in Mainz-Hartenberg

Julia Magner lebt das, was viele sich vornehmen, aber selten dauerhaft umsetzen: ein nachhaltiges Leben mit so wenig Müll wie möglich. Ihre Philosophie ist nicht der laute Protest oder das Predigen von Umweltbewusstsein – sie lebt sie still und beständig. Mit hellbraunen Haaren im French-Cut, gekleidet in ein schwarzes Wollkleid von einer Kleidertauschparty, zeigt sich die 36-Jährige stilvoll und modern. Ihre Kleidersammlung besteht fast ausschließlich aus Secondhand- Stücken, getauscht oder geschenkt. Magner ist eine Frau, die ihren Lebensstil mittlerweile mit Leichtigkeit in den Alltag integriert und dabei nicht auf übliche Bequemlichkeiten verzichtet.

Jeden Tag mit Leichtigkeit und „Schönes Mainz“-Beutel

Frühe Überzeugung
Geboren und aufgewachsen in Rheinhessen, wurde Julia schon früh von einem Bewusstsein für Umweltfragen geprägt. Bereits in der dritten Klasse sprachen ihre Lehrer mit ihr über die Vorteile von Fahrradfahren und Müllvermeidung. Ein Schlüsselsatz, der ihr in Erinnerung blieb: „Wir haben die Erde nur von unseren Kindern geborgt.“ Die früh geweckten Überzeugungen wurden durch Klassenkameraden, die ihr eigenes Obst und Gemüse anbauten, weiter gefestigt. Mit dem Beginn ihres Psychologiestudiums begann sie, sich intensiver mit der Welt um sich herum auseinanderzusetzen, und stieß dabei auf Reportagen über Lebensmittelverschwendung und Fast Fashion.
Seit 2015 engagiert sie sich dann im Foodsharing. Der Gedanke, dass Lebensmittel, die eigentlich in die Tonne wandern würden, gerettet werden können, war begeisternd. Mittlerweile hat sie über 7.000 Kilogramm Lebensmittel vor dem Müll bewahrt und weitergegeben. Die Wertschätzung dafür hat auch ihren Konsum verändert: Gemüse und Obst, das sie über Foodsharing erhält, wird nicht einfach in die Biotonne geworfen – Reste werden in einer speziellen Wurmkiste kompostiert. Eine kleine Routine, die ihr hilft, den Kreislauf von Ressourcen zu schließen.

Würmer zersetzen in der „Wurmbox“ den Bioabfall

Praktische Maßnahmen
Julias Leben ist geprägt von praktischen Maßnahmen, die Müll vermeiden und Ressourcen schonen. In einem Gewächshaus baut sie Tomaten, Paprika, Auberginen, Chili und Zucchini an. Selbstgemachte Deos aus Kokosöl, Natron und ätherischen Ölen ersetzen herkömmliche Produkte. Auch Waschmittel stellt Julia selbst aus Soda und Kastanien her. Im Alltag trägt sie eine Tupperdose mit sich, um Reste von Restaurantbesuchen mitzunehmen, und verzichtet auf Einwegbecher. Sie selbst sagt, dass nicht zehn Menschen zu 100 Prozent Zero Waste leben müssen, sondern besser viele Menschen zu 50 Prozent. Es geht ihr um das Bemühen, die kleinen Schritte, die jeder integrieren kann.
Auch beim Thema Müll verfolgt sie diesen Ansatz: Regelmäßig sammelt sie etwa mit ihrem Hund in der Mittagspause Müll am Rheinufer. Die Idee hatte sie nach dem Lesen eines Zei- Hängt sich bei der Nahrungssuche auch mal kopfüber an Äste: der Stieglitz tungsartikels über den Umweltaktivisten Florian Früchel. Statt Menschen zu belehren, will sie inspirieren und ein Beispiel geben: „Ich will keinen Zeigefinger erheben, sondern nur zeigen, dass es auch anders geht.“ Ihre Hoffnung ist, dass kleine Gesten etwas bewirken. Und es wirkt: Viele Menschen kommen auf Julia zu, bedanken sich, einige wollen mit anpacken. (Die Stadt stellt übrigens kostenlos orangefarbene Mülltüten für Helfer zur Verfügung, die an öffentlichen Orten abgestellt werden.)

Julia vor ihrem solarbetriebenen Gewächshaus

Frustrationstoleranz
Es gibt aber Momente, die Julia fast verzweifeln lassen. Oft wartet sie auf Menschen, die versprochen haben, ausrangierte Kleidung oder Möbel abzuholen, um dann doch nicht zu erscheinen. Auch die Verschmutzung am Rhein macht ihr zu schaffen. „Manchmal sieht es nach einer Woche genauso aus wie vorher. Da frage ich mich schon, ob das alles Sinn macht.“ Am meisten stören sie weggeworfene Zigarettenstummel auf dem Boden. Ihr Wunsch: „Raucht meinetwegen so viel ihr wollt. Aber bitte macht euch die Mühe, Zigarettenstummel in den Müll zu werfen und nicht auf den Boden. Wenn man Gutes tun möchte, braucht es leider eine Portion Frustrationstoleranz.“

Text: Alia Hübsch
Fotos: Stephan Dinges

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