Zahlbach, Mombach, Finthen, Marienborn oder Umbach: Mainz liegt nicht nur am Rhein. Zahlreiche Stadtteile, Gebiets- oder Straßennamen weisen auf ihre namensgebenden Gewässer hin. „Finthen“ leitet sich vom lateinischen „fontanetum“ für Quellgebiet ab. Und tatsächlich war der Stadtteil einmal sehr wasserreich: Ursprünglich sprudelten hier zahlreiche Quellen, die schon von den Römern angezapft wurden, sowie die drei Bäche Königsbornbach, Kirchborn und Aubach.
Die Kanalisation und Begradigung von Bächen, die Einleitung von Abwässern, die Fassung der Quellen zu Brunnen und die Flächenversiegelung nicht nur in Finthen führten jedoch dazu, dass die kleineren Gewässer im Stadtbild heute kaum mehr sichtbar sind. Die Bäche, die es noch gibt, sind zu eingezwängten Rinnsalen geworden, und der beschleunigte Abfluss des Regenwassers soll mit Rückhaltebecken kontrolliert werden. Tieren und Pflanzen wurde so Lebensraum entzogen. Auch der größte Finther Bach, der Aubach, erlitt das Schicksal vieler Gewässer im Deutschland der 60er- und 70er-Jahre durch Begradigungen und Zubetonierung des natürlichen Bachlaufs: „Man war froh, dass das Wasser weg war und man möglichst wenig Unterhaltungsaufwand hatte“, bringt es Volker Schweikard vom Grün- und Umweltamt auf den Punkt. Doch mittlerweile hat ein Umdenken stattgefunden und nach dem Gonsbach (2013 bis 2015) soll nun – mit zwei Jahren Verspätung – ein Abschnitt des Aubachs zwischen „Am Elmerberg“ und „Altem Wasserwerk“ renaturiert werden. Nicht nur weil es schöner aussieht, sondern auch um Gewässer im Kampf gegen die Folgen des Klimawandels zu stärken.
Beispiel Gonsbach
„Der Gonsbach etwa war vor der Renaturierung in einem erbärmlichen Zustand“, erinnert sich Volker Schweikard. Seitdem ist auf 1,2 Kilometern Länge mittlerweile ein kleines Naturidyll entstanden. Der Gonsenheimer Friedrich Heßel führt als „Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen“ seine Gäste hier entlang – vorbei
an duftenden Rosen, Kräuterbeeten und hübsch gestalteten Gärten. Und zwischendurch schlängelt sich, mal schmaler, mal breiter, der längste Mainzer Bach wieder in seinem natürlichen Bett. „Für uns Anwohner hat das neu gestaltete Gonsbachtal an Freizeitwert gewonnen, man hat hier ein paar echte Oasen geschaffen“, freut sich Heßel. Früher spielten seine Kinder an der einbetonierten Rinne des Bachs direkt hinter dem Haus. Fing es an zu gewittern, wurden sie sofort reingerufen. „Da konnte man zuschauen, wie der Bach innerhalb von Minuten überlief“, erinnert er sich. Für den Hochwasserschutz wurde daher im Rahmen der Baumaßnahme eine riesige Überflutungsfläche als Puffer angelegt. Nur an der Pflege der Flächen rund um den Gonsbach hapere es manchmal noch, so sei der eine oder andere Baum schon wieder eingegangen. Und auch der BUND warnt vor einer „Verbuschung“ des renaturierten Gebiets.
Schwankungen in der „Gewässergüte“
Der rechtliche Startschuss für die Renaturierung von Gewässern fiel im Jahr 2000, als die EU-Wasserrahmenrichtlinie in Kraft trat, die von den Mitgliedsstaaten einen „guten Gewässerzustand“ forderte. Als Volker Schweikard vor 35 Jahren beim Grün- und Umweltamt anfing, wurde der Gewässerzustand ausschließlich an der Gewässergüte festgemacht, also an biologisch- chemischen Parametern. „Aber man hatte den Zustand der Aue nicht im Blick. Von Natur aus fließen Bäche normalerweise nicht geradeaus. Sie schlängeln oder mäandern durch die Landschaft“, erklärt Raimund Schüller. Der Diplom-Geograf ist Experte für Auen- und Gewässerentwicklung und Berater rheinland-pfälzischer Landeseinrichtungen und Kommunen bei der Renaturierung von Fließgewässern. Durch den natürlichen, schlängelnden Verlauf fließt das Wasser langsamer ab, was zum Beispiel nach starken Regenfällen, die bedingt durch den Klimawandel häufiger werden, von Vorteil ist. Schüllers Botschaft lautet daher: „Zurück zur Natur!“
Die meisten Bach- und Flusslandschaften waren ursprünglich in eine Waldlandschaft eingebettet. „Die Waldböden der Auen wirken wie ein Schwamm, die Gehölze wie ein Kamm, der bei Hochwasser umgefallene Baumstämme und andere Feststoffe auffängt und diese daran hindert, ungebremst weiterzutreiben“, so Schüller. Gehölze spenden Bächen außerdem Schatten und verhindern im Sommer einen übermäßigen Anstieg der Wassertemperatur: „In Rheinland-Pfalz sind mehr als 50 Prozent der Fließstrecken von Flüssen und Bächen überhaupt nicht mehr mit Gehölzen bewachsen.“ Wenn man dem Bach mehr Fläche gibt, verdunstet mehr, und das trägt auch zur Abkühlung bei. Eine Gewässerrenaturierung, die dem ursprünglichen Bachlauf wieder mehr Raum gibt und auch seine Aue berücksichtigt, kann ein wichtiger Puzzlestein im Kampf gegen den Klimawandel sein. In einem guten ökologischen Zustand sind allerdings nur etwa 35 Prozent der rheinland-pfälzischen Gewässer. Und auch am Gonsbach geht es mit der erhofften Verbesserung der Wasserqualität nur langsam bergauf. Der ökologische Zustand wurde vom Landesamt für Umwelt 2022 erneut als „schlecht“ eingestuft. Die Artenvielfalt bei Pflanzen und Fischen hat sich gegenüber 2015 leicht verbessert. Der schlechte Gewässerzustand liegt auch daran, dass der Gonsbach, so idyllisch er plätschert, Teil des städtischen Entwässerungssystems ist. Um die Kanalisation zu entlasten, darf bei starken Regenfällen auch stark verdünntes Abwasser in den Bach geleitet werden. Um ihn dabei vor grober Verschmutzung zu schützen, sind mehrere Feinsieb-Rechen eingebaut. Wenn diese aber verstopfen, etwa weil Müll in die Toilette geworfen wird, können Fäkalien und Abfälle in den Bach gelangen. Wir haben es also zum Teil selbst in der Hand, wie sauber der Gonsbach ist.
Neues Leben für den Aubach
Nun steckt die Aubach-Umgestaltung in den Startlöchern. Beton soll entfernt und das Ufer abgeflacht werden. „Wir erwecken den Aubach zu neuem Leben“, freut sich Umweltdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne). „Die durch die Stadt Mainz erworbenen Ufergrundstücke werden dabei genutzt, um Inseln und wechselfeuchte Zonen mit entsprechenden Pflanzungen anzulegen und so zusätzliches Retentionspotenzial mit neuen Lebensraum- Angeboten für Flora und Fauna zu schaffen“, erklärt sie. Die Stadt sieht in der bevorstehenden Aubach- Renaturierung zudem einen Beitrag für den Hochwasserschutz, auch in den bachabwärts gelegenen Bereichen. So würden auch die Menschen in Gonsenheim von der Maßnahme in Finthen profitieren. „Mit der Renaturierung wollen wir keinen fertigen Zustand schaffen, sondern dem Gewässer ermöglichen, sich eigendynamisch zu entwickeln“, erklärt Volker Schweikard. Aber dafür braucht man zunächst einmal Platz. Die Stadt muss sich also im Vorfeld um den Erwerb von Grundstücken bemühen – wie im Fall des
Aubachs bereits vor Jahren geschehen. Das sei mitunter die größte – und teuerste – Hürde. Und der Grund, warum die Stadt sich bislang „nur“ diese beiden Teilstücke vorgenommen hat: die 1,2 Kilometer am Gonsbach und die 530 Meter am Aubach. Wenn es nach der Stadt und auch nach Anwohnern wie Friedrich Heßel ginge, würde man auch noch weitere Teile des Gonsbachs der Natur zurückgeben. Doch dies sei bisher an der mangelnden Verfügbarkeit von Grundstücken gescheitert. „Natürlich wäre so etwas auch innerstädtisch schön. Den Zahlbach werden wir aber nicht wieder ausbuddeln, da ist Bebauung drüber, Kosten und Nutzen stünden in keinem Verhältnis“, so Schweikard. Solche Baumaßnahmen würden in Mainz daher ausschließlich zwischen den Orten Sinn machen. Und so verschwindet auch in Zukunft der Gonsbach bei der Waggonfabrik endgültig unter der Erde und mündet unbemerkt auf der Höhe des ehemaligen „Schorsch“ am Zollhafen in der Neustadt in den Rhein.
Makrele in Flüssen
Den Zuschlag für die Baudurchführung am Aubach hat übrigens das Mainzer Büro „Francke & Knittel“ bekommen, seit Jahrzehnten Experte für Gewässerrenaturierung. Geschäftsführer Alexander Kiefer machte zuletzt vor allem für sein Hafenbad- Vorhaben „Heilige Makrele“ im Zollhafen von sich reden: „Wir freuen uns sehr über den Auftrag“, so Kiefer. Die Renaturierung werde nicht nur dazu beitragen, die „natürliche Schönheit unserer Heimat“ zu erhalten, sondern
auch die ökologische Vielfalt und die Lebensqualität in der Umgebung zu verbessern. Francke & Knittel gehen von einem Baubeginn im Winter 2023/24 aus. Letzten Endes müsse man aber erst das Artenschutzgutachten abwarten. Und: Anders als am renaturierten Gonsbach soll es am Aubach keine Spazierwege geben – dort soll der Naturschutz stärker im Vordergrund stehen. Ein weiteres Projekt, an dem Volker Schweikard mit seiner Behörde beteiligt ist, war die rund zwei Kilometer lange Renaturierung des Laubenheimer Rheinufers im Bereich des ehemaligen Campingplatzes. Hatte man früher vor allem den güterverkehrlichen Ausbau und Erhalt des Rheins als „Bundeswasserstraße“ im Blick, sollen im Rahmen der bundesweiten Aktion „Blaues Band“ nun auch wieder naturnahe Entwicklungen angestoßen werden. Beim Modellprojekt in Laubenheim wurde daher teilweise die Befestigung des Ufers entfernt und mit Sand und Kies aufgeschüttet, damit sich abhängig vom Wasserstand kleine Buchten mit einer vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt entwickeln können. Entstanden ist ein frei zugängliches Areal, das rund um die Nato-Rampe durch ein Naherholungsgebiet mit Spielplatz und Weinprobierstand aufgewertet wurde.
Trinkwasserbrunnen für Mainz?
Neben Flüssen und Bächen sorgen in aufgeheizten Städten Brunnen, Wasserspielplätze und Trinkwasserspender für die nötige Abkühlung. Die Bundesregierung hat mit ihrer Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes vom Januar dieses Jahres beschlossen, dass künftig Trinkwasser aus dem Leitungsnetz an möglichst vielen öffentlichen Orten frei verfügbar sein muss. Kommunen sollen Trinkwasserbrunnen in Parks, Fußgängerzonen oder Einkaufspassagen aufstellen, „sofern dies technisch machbar ist und dem lokalen Bedarf entspricht“. Die neue Regelung zielt darauf ab, möglichst allen Bürgern Zugang zu qualitativ hochwertigem Trinkwasser zu gewähren, was zudem Verpackungsmüll spare.
In Mainz gab es früher mehrere solcher Trinkwasserbrunnen, der letzte auf dem Rebstockplatz am Brand wurde während Corona abgestellt. Seitdem gibt es keine einzige öffentliche Stelle in der Innenstadt, an der rund um die Uhr kostenloses Trinkwasser zu bekommen ist. Bereits 2019 hatte die SPD einen Antrag gestellt, der im Stadtrat einstimmig angenommen wurde. Zehn Trinkwasserspender sollten aufgestellt werden. Doch passiert ist seitdem: nichts. Ganz vorne mit dabei im Kampf um Trinkwasserspender ist Ilona Mende-Daum von der SPD Mainz-Altstadt. „Zuletzt haben wir in einem einstimmig im Ortsbeirat verabschiedeten Antrag am 16. November 2022 die Verwaltung um Prüfung von geeigneten Standorten am Münsterplatz, Neubrunnenplatz, Schillerplatz, Leichhof, Fischtorplatz und Hopfengarten für die Altstadt gebeten“, berichtet sie. Immer wieder habe sie sich mit ihren Mitstreitern auch in persönlichen Gesprächen dafür stark gemacht, wie Probleme der Wartung behoben und die Kosten reduziert werden könnten. In anderen Städten – Mende-Daum nennt als Vorbild Berlin und Frankfurt – funktioniere es doch auch. Im Januar nun wurde von Umweltdezernentin Janina Steinkrüger in Aussicht gestellt, dass die „Verwaltung mit den Mainzer Netzen als Trinkwasserversorger für Mainz in Kontakt treten wird, um Standorte eines Trinkwasserspenders in der Altstadt zu prüfen“. Eventuell könne der vorhandene Standort auf dem Rebstockplatz zeitnah in Betrieb gehen. Inzwischen befänden sich die Kollegen des Grün- und Umweltamts im Vorbereitungsprozess. „Wir gehen aber davon aus, dass mindestens ein Trinkwasserbrunnen noch in diesem Jahr eingeweiht werden kann und spätestens im kommenden Jahr weitere folgen“, zeigt sich Steinkrüger optimistisch. Für die Mainzer bedeutet dies jedoch einen weiteren heißen Sommer ohne kostenlose Erfrischung in der Innenstadt.
Text Katja Marquardt Fotos Kristina Schäfer