Text Mara Braun Fotos Jana Kay
„Sehen Sie, wie das hin und her springt, wie unplatziert das ist?“ Reinhard Schaerf wirft eine Handvoll Salz locker aus dem Gelenk auf die Straße. Hoch und weit hüpfen die groben Körner auseinander. „Deshalb mischen wir Calciumchlorid als Sole bei, das verbessert die Haftung.“ Der Abteilungsleiter Technik und Betriebsstätten des Entsorgungsbetriebs der Stadt Mainz ist in seinem Element. Rund 25 Jahre hat er als Einsatzleiter den Winterdienst organisiert, war früher selbst Fahrer. „Damals war man in umgebauten Reinigungs-Fahrzeugen unterwegs. Die waren ganz schlecht beheizt, das waren Zeiten!“ Der 58-Jährige schüttelt den Kopf und strahlt dabei.
Den Busbetrieb sichern
Der 1. November markiert jedes Jahr den offiziellen Beginn der Winterdienstzeit. Bis zu 37 Fahrzeuge und 128 Mitarbeiter stehen dafür im Extremfall bereit, erklärt Ralf Peterhanwahr von der städtischen Pressestelle. Organisatorisch sind die aufgeteilt in zwei Teams, von denen eines die Geh- und Radwege betreut, das zweite die Straßen im Stadtgebiet. Auf Landes- und Kreisstraßen sowie Autobahnen sind Straßen- und Autobahnmeisterei zuständig, sagt Schaerf und erklärt die Prioritätsstufen beim Streueinsatz: „Die gehen von eins bis vier, wobei eins Hauptverkehrsachsen sind, zwei die Verbindungsstraßen, drei Wohnstraßen und vier kaum befahrene kleine Gassen.“
Ein wichtiger Punkt sei zudem das Timing bezüglich der Busse: „Wir versuchen, überall zu streuen, bevor die MVG durch muss. Einmal, damit der Nahverkehr gewährleistet bleibt, zum zweiten, weil die Busse recht schnell liegen bleiben auf Eis und das auch unsere Leute behindert.“ In der Einsatzzentrale neben Schaerfs Büro hängt ein Plan mit den Routen, auf einer Magnettafel sind die Fahrer und Fahrzeuge organisiert. Die amüsierte Bemerkung, diese Szene brauche den Vergleich mit „King of Queens“ nicht zu scheuen, quittiert er grinsend mit einem Dialog aus der TV-Serie über einen Paketfahrer in Queens. Die umstehenden Kollegen lachen. Es ist ein kalter Novembertag, doch die Stimmung im kleinen Flachbau im Hof der Zwerchallee 24 ist wohlig. Kaffeeduft zieht durch die Räume. „Man kennt sich und viele arbeiten hier schon lange zusammen“, nickt Schaerf zustimmend in die Runde.
Milde Winter freuen die Stadtkasse
Rund 1.600 Tonnen Salz hat die Stadt für den Winterdienst im Bestand, teils in einer Halle und Silos beim Entsorgungsbetrieb, teils in Außenlagern. „Wir kaufen an, wenn das Salz günstig ist“, erklärt Peterhanwahr – sprich, nicht im dicksten Winter, wenn der Bedarf überall steigt. Finanziell gesehen dürften Schnee und Eis für die Stadt am liebsten sowieso ausbleiben: „Ein milder Winter verursacht Kosten von etwa 130.000 Euro, ein harter um die 1,5 Millionen“, eine wahnsinnige Spannbreite also. Zu dem Salz kommen 40 Tonnen Basaltsplitt und 83.000 Liter der eingangs erwähnten Sole, die dem Salz direkt bei der Fahrt beigemischt wird. Vorne räumen, hinten streuen und möglichst nicht rutschen – auf diese Formel lassen sich die Fahrten im Winterdienst bringen.
Mit Pflügen befreien die Fahrzeuge die Straße vor sich vom Schnee, die Streumischung rieselt automatisiert über einen Drehteller am Fahrzeughinterteil auf den Asphalt. Wer glaubt, die nächtlichen Einsätze durch die stille Schneelandschaft seien idyllisch, täuscht sich aber: „Man steht unter Strom“, sagt Michael Berndsen. Seit 14 Jahren arbeitet der 48-Jährige beim Entsorgungsbetrieb, je nach Jahreszeit in der Straßenreinigung oder dem Winterdienst. „Bei einigen Wetterlagen ist man erst mit dem Streufahrzeug und mittags mit der Kehrmaschine unterwegs“, sagt er lachend. Der größte Unterschied zwischen seinen beiden Einsatzbereichen – die Arbeit im Winter ist weniger kalkulierbar, Dinge gehen auch ohne wirkliche Fehler mal schief: „Einmal bin ich bei Eisglätte in ein Auto gerutscht.“ Wie in Zeitlupe sei das passiert. „Ich konnte nur zugucken, wie es näher kam, aber nichts mehr tun.“ Die Besitzer haben zum Glück sehr nett reagiert, „und mir erst mal Kaffee gemacht.“
Mit Döner durch die Nacht
Der Winterdienst bringt alle zwei Wochen Rufbereitschaft mit sich, rund um die Uhr. Wird der Entsorgungsbetrieb in Sachen Wetter und Straßenzuständen mitten in der Nacht alarmiert, zum Beispiel durch Polizei oder Verkehrsbetriebe, müssen die Fahrer zum Dienst antreten. „Ich schlafe mit dem Telefon am Bett“, sagt Berndsen und ergänzt: „Meist klingelt es, wenn man gerade eingeschlafen ist.“ Derweil erinnert sich Reinhard Schaerf an eine Einrichtung zu Zeiten, als es für diese Rufbereitschaft noch keine Diensthandys gab. „Kennst du auch die Schneebrettchen?“, fragt er Berndsen belustigt. Kopfschütteln. „Früher“, erinnert sich Schaerf, „haben die Fahrer die gebaut: Sie waren am Fenster angebracht und wenn der Schnee darauf fiel, hat eine Feder eine Klingel ausgelöst, die den Fahrer weckte. Oder seine Frau, und die weckte den Fahrer.“ Er lacht, Berndsen ebenso. In diesem Job, stimmen die Männer überein, hat sich über die Jahre viel verändert. „Es gab Zeiten, da haben die Fahrer in besonders harten Wintern manchmal sogar im Betrieb geschlafen, weil es zu gefährlich war, nachts mit dem Privatauto zum Diensteinsatz zu kommen.“
Geblieben aber sind Rituale wie gemeinsame Kaffeepausen zwischen den Fahrten und überhaupt der Zusammenhalt. „Man hilft sich auch über den Funk, wenn einer unterwegs nicht weiter weiß“, so Schaerf. „Ich erinnere mich an den Funkspruch eines Kollegen, der fuhr gerade vom Lerchenberg Richtung Marienborn und kam ins Rutschen. Dem haben wir erklärt, wie er den Pflug als Bremse einsetzen kann.“ Berndsen nickt zustimmend: „Dafür muss man aber schon recht geübt sein.“ Dann wieder Schaerf: „Und einmal waren die Männer nachts alle hungrig und man bekam nirgends mehr etwas zu essen. Da hat ein Kollege Döner für alle vorbeibringen lassen. Unsere Rettung!“
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