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Wissenschaftsstadt: Fortschritt made in Mainz

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Text Mara Braun Fotos Jonas Otte

Als Universitäts- und Medienstadt ist Mainz schon lange bekannt. 2011 kam das Label „Stadt der Wissenschaft“ hinzu. Was hat sich seitdem getan?

Wer Mainz über den Ring oder via Theodor-Heuss-Brücke ansteuert, hat sie am Rande der Autobahn und vor dem Schloss nach wie vor im Blick: Die grasgrünen Schilder, die uns als „Stadt der Wissenschaft 2011“ ausweisen. Zwar mögen die Buchstaben im Verlauf der Jahre blasser geworden sein, an der Botschaft hat sich nichts geändert: Wissenschaft ist in Mainz auch im Jahr vier nach der Auszeichnung durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ein wichtiger Standortfaktor.

Mainz hat – und das wissen vermutlich die wenigsten – sehr viele sehr gute Forschungseinrichtungen auf engstem Raum versammelt. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Schilder noch stehen, sie sollen das Bewusstsein für dieses Thema wach halten bei all jenen, die sie tagtäglich passieren. Doch welche Rolle spielt das Thema Wissenschaft für Mainz im Jahr 2015? Und was hat das Jahr der Wissenschaft unserer Stadt langfristig gebracht? Antworten auf diese Fragen lassen sich vor allem im Umfeld der Mainzer Wissenschaftsallianz finden. Gegründet im Jahr 2008 war die Allianz zunächst ein treibender Motor bei der Bewerbung als „Stadt der Wissenschaft“ und der späteren Durchführung des Projektjahres 2011. Nach wie vor verfolgt das inzwischen als Verein eingetragene Bündnis vor allem ein Ziel, nämlich die Vernetzung wissenschaftlicher Einrichtungen und ihrer Beteiligten.

Partner finden, Brücken bauen

Diese Vernetzung beginnt mit der eigenen Struktur – insgesamt 20 Mitglieder gehören aktuell zur Allianz. Da sind zunächst die Hochschulen, neben der Johannes Gutenberg-Universität die Universitätsmedizin, die Katholische Hochschule Mainz, die Hochschule Mainz und seit Beginn des Jahres die Fachhochschule Bingen. „Die Mitglieder profitieren gegenseitig von ihrer Expertise“, erklärt Prof. Georg Krausch, Universitätspräsident und stellvertretender Vorsitzender der Wissenschaftsallianz. Dazu tragen auch regelmäßige Treffen in Arbeits- und Projektgruppen bei. Neben den Hochschulen sind das die Max-Planck-Institute für Chemie und für Polymerforschung (MPI-P) und die Akademie der Wissenschaften und der Literatur mit an Bord der Wissenschaftsallianz.

Das Mainzer MPI-P wurde 1983 gegründet und ist eines der 82 Institute, die die Max-Planck-Gesellschaft unterhält. Am Institut arbeiten derzeit über 500 Mitarbeiter aus dem In- und Ausland mit dem Ziel der Herstellung und Charakterisierung von Polymeren, um Grundlagenwissen für neue Anwendungen in den Bereichen Elektronik, Energietechnik, Medizin, Fahrzeugbau und Materialtechnik zu erschließen. So weit also sichere Partner, die in der Stadt bereits recht bekannt sind.

Erforschung von Antimaterie

Daneben gibt es aber noch einige Institute und forschende Unternehmen, deren Arbeit vielen Mainzern eher unbekannt sein dürfte. Zu diesen Forschungseinrichtungen zählt zum Beispiel das Helmholtz-Institut Mainz auf dem Campus. Die Helmholtz- Gemeinschaft ist ein Mitgliedsverbund aus 18 unabhängigen naturwissenschaftlich-technisch und biologisch-medizinisch ausgerichteten Forschungszentren. Ihr Ziel ist es, die großen und drängenden Fragen von Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft zu beantworten. Helmholtz-Institute werden mit 3 bis 5 Mio. Euro pro Jahr gefördert und berufen ihre leitenden Wissenschaftler gemeinsam mit der jeweiligen Partner-Uni.

Durch die Gründung einer Außenstelle in Mainz entstand eine enge Zusammenarbeit bei der Erforschung von Antimaterie. Es werden neue, zukunftsfähige Beschleunigertechniken entwickelt und Atome aus Antimaterie wie z. B. Antiwasserstoff hergestellt und erforscht. Darüber hinaus beschäftigen sich Arbeitsgruppen des Instituts mit der Herstellung und Erforschung neuer, superschwerer Elemente, die in der Natur nicht vorkommen. Klingt kompliziert? Ist es, daneben aber ungemein spannend – immerhin spielt Antimaterie eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung unseres Universums. Wären die Physiknerds aus der US-Serie „The Big Bang Theory“ real, sie würden vermutlich liebend gerne hier forschen – und dabei von der Nähe zu den Instituten für Kernphysik, Physik und Kernchemie auf dem Campus profitieren.

Ressource Wissen

Für Universitätspräsident Prof. Dr. Georg Krausch ist die Ansiedlung solcher Einrichtungen ein sichtbares Zeichen des enormen Potenzials und der wachsenden Sichtbarkeit von Mainz als Wissenschaftsstadt. Die „Ressource Wissen“ sieht der stellvertretende Vorsitzende der Wissenschaftsallianz als „Standort- und Wettbewerbsfaktor sowie Impulsgeber für Wirtschaftswachstum“ – auch dank ihrer Rolle als Jobmotor. In eben jenen Wissenschaftseinrichtungen und forschenden Unternehmen arbeiten rund 20.000 Beschäftigte. Allein 10.000 Mitarbeiter zählen Universität und Unimedizin, die damit der größte Arbeitgeber der Stadt und der zweitgrößte in Rheinland-Pfalz sind. Und die umgekehrt wiederum vom Land finanziell und konzeptionell unterstützt werden, wie die neue Bildungs- und Wissenschaftsministerin Vera Reiß verdeutlicht: „Ein Großteil der Finanzierung der Universität, der Hochschule, der Universitätsmedizin, aber auch einiger Forschungseinrichtungen stammt aus der Landeskasse.“

Für die Hochschulen und die Unimedizin stellt das Land pro Jahr fast 1 Milliarde Euro zur Verfügung. Seit 2005 kommen Gelder aus dem Sondervermögen „Wissen schafft Zukunft“ dazu. Von 2009 bis 2013 waren das 400 Mio. Euro, also 80 Mio. Euro jährlich. Mittlerweile fließen über das Sondervermögen rund 200 Mio. pro Jahr. Mit „Wissen schafft Zukunft“ werden die Grundausstattung der Hochschulen verbessert, die Attraktivität des Studienstandortes gesteigert, die Profilbildung in der Forschung gestärkt sowie der Technologietransfer und die Forschungsinfrastruktur ausgebaut. Mit diesen Ansätzen von knapp 1,2 Milliarden Euro sind Wissenschaft und Forschung wichtige Investitionsposten im etwa 15 Milliarden Euro umfassenden Landeshaushalt.

Forschung nahe am Menschen

Weitere Forschungsinstitute, die sich seit Gründung der Allianz in Mainz angesiedelt haben und heute auch zu ihren Mitgliedern zählen, sind das Institut für Translationale Onkologie (TRON) an der Unimedizin sowie das Institut für Molekulare Biologie (IMB) auf dem Campus. Schwerpunkt am TRON ist die Erforschung der Diagnostik und Behandlung von Krebs. Dabei geht es auch um eine Übertragung der Ergebnisse von Grundlagenforschung in die Anwendung. Viel konkreter kann Forschung kaum werden: Krebs ist hierzulande nach wie vor die zweithäufigste Todesursache und von der Arbeit am TRON können früher oder später viele Betroffene profitieren. Auch die drei Schwerpunktbereiche des IMB – molekulare Entwicklungsbiologie, Epigenetik und DNA Reparatur – sind nahe am Menschen und haben das Potenzial, zukünftig in der Medizin angewendet zu werden. Gefördert wird dieses Exzellenzzentrum von der Boehringer Ingelheim Stiftung – der Pharma-Konzern Boehringer Ingelheim ist seinerseits Mitglied des Vereins.

„Wissenschaft braucht ein attraktives Umfeld“, sagt OB Ebling. Das sei in Mainz in vielerlei Hinsicht gegeben. „Da gelten zunächst universelle Faktoren wie die hervorragende Lage und Verkehrsanbindung der Stadt, ihre Dynamik, der Arbeitsmarkt und die Menschen, die hier leben.“ Trotzdem könnten internationale Spitzenforscher natürlich nicht mit „Weck, Worscht und Woi“ an den Rhein gelockt werden. „Gute Köpfe ziehen weitere gute Köpfe an“, erläutert Ebling eine nach oben offene Entwicklung, in der bestehende Exzellenz neue renommierte Forschung an den Standort bringt. Eine Entwicklung, die auch Uni-Präsident Krausch beobachtet – und die durch konkrete Maßnahmen gefördert wird. Dazu gehört das Dual Career Netzwerk, dessen Ziel es ist, „Doppelkarrierepaaren“ den Schritt nach Mainz zu erleichtern, indem der Partner eines neu in der Stadt ankommenden Forschers bei der Suche nach einem ebenfalls qualifizierten Job unterstützt wird. „Die Zahl dieser Paare, in der beide Partner in gleicher Weise hochqualifiziert sind, nimmt stetig zu“, sagt Krausch – und eine Wissenschaftlerin, die nach Mainz geworben werden soll, nimmt den Job noch eher an, wenn sie weiß, dass auch ihr Mann in seinem Bereich weiter arbeiten kann.

Schwung aus 2011 genutzt 

Doch weiter im Thema der wichtigen Einrichtungen: Die Erforschung der historischen Grundlagen Europas in der Neuzeit hat sich das Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG) mitten in der Stadt am Höfchen zur Aufgabe gemacht. Dessen Gründungsauftrag, zum Verständnis zwischen den europäischen Völkern beizutragen, wirkt derzeit erschreckend aktuell. Komplettiert wird die Reihe der im Verein verbundenen Forschungseinrichtungen von den Museen, darunter dem Landesmuseum Mainz, dem Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) und dem Naturhistorischen Museum (NHM) sowie dem Institut für geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz.

Für OB Ebling veranschaulichen die Museen besonders gut, wie sich Kooperationen aus dem Jahr der Wissenschaft entwickelt haben: „Hier hat man sich mit den Hochschulen bekannt gemacht, der Austausch ist intensiver geworden und durch neue Projekte wie Ausstellungen auch weiterhin sichtbar.“ Sichtbarkeit ist für ihn das wesentliche Stichwort: „Wissenschaft war lange ein Fremdkörper. Inzwischen haben die Menschen das Thema angenommen“, lautet seine Meinung. Und auch Wissenschaftsministerin Reiß glaubt: „Die ‚verstaubte Wissenschaft‘ und den viel zitierten ‚Elfenbeinturm‘ gibt es nicht mehr.“ Dazu trage auch der jährliche Wissenschaftsmarkt inmitten der Stadt bei, auf dem sich die Mainzer Wissenschaftsinstitutionen, allen voran die Uni, der Öffentlichkeit „bürgernah“ präsentieren. Wobei sich die Frage stellt, ob das Konzept des Marktes nicht inzwischen ausgereizt ist und es neuer Formate bedürfte – eine These, die Ebling allerdings vehement verneint: „Ich verstehe die Sehnsucht nach Veränderung, aber wenn Projekte wie dieses, die ‚Universität im Rathaus‘ oder die ‚Nachtvorlesungen‘ funktionieren und gut angenommen werden, sehe ich keinen Anlass, sie zu ändern.“

Ein ursprünglich geplantes „Haus der Wissenschaft“ wie in Bremen (Stadt der Wissenschaft 2005) scheiterte hier in Mainz an der Finanzierung. Zwar urteilt der stellvertretende Allianz-Vorsitzende Prof. Krausch, ein solcher Ort der Begegnung sei „nicht unbedingt erforderlich“, weil sich „sämtliche Museen als ‚Häuser des Wissens definieren‘“, dennoch dürfte klar sein: Ein fester Ort für Veranstaltungen und als Treffpunkt hätte auch in Mainz einen Schub beim Thema Wissenschaft und Bürgeraustausch ermöglicht – insofern hat man hier eine Chance verpasst.

Zuletzt vervollständigen vier Unternehmen das Gesamtbild: Neben Boehringer Ingelheim sind dies das Biotechnologieunternehmen BioNTech, das auf den Gebieten der molekularen Genetik und Biotechnologieforschung tätige Unternehmen GENterprise sowie das Institut Fraunhofer ICT-IMM im Industriegebiet Hechtsheim. Die Fraunhofer-Gesellschaft fördert und betreibt anwendungsorientierte Forschung für die Wirtschaft. Die Mainzer Dependance ist eine von 70 weltweit und forscht und entwickelt in den Bereichen Energietechnik, chemische Verfahrenstechnik, medizinische Sonden und technische Sensorik, mikrofluidische Analysesysteme und Nanopartikel-Technologien.

Und noch ein letztes höchst interessantes Netzwerk-Projekt findet sich in Mainz: das Ci3 Cluster für individualisierte Immunintervention auf der Kupferbergterrasse. Beteiligte sind wieder alte Bekannte, unter anderem TRON, Boehringer, IMB, Universität und Unimedizin, GENterprise sowie das MPI-P. Gefördert werden die Forscher vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, dessen „Spitzencluster Wettbewerb“ sie 2012 gewannen. Die Mission von Ci3, das Ministerin Reiß als das aktuell „für mich wohl spannendste Projekt“ bezeichnet, ist die Entwicklung individualisierter immuntherapeutischer und diagnostischer Produkte – also die bessere Behandlung von zum Beispiel Krebs. Kernziel der Ci3 Strategie ist es, den individuellen Immuntherapien national und international zum Durchbruch zu verhelfen. Und das in Mainz – nicht zuletzt als Konsequenz aus der „Stadt der Wissenschaft 2011“.

 

Gerne hätten wir noch das Projekt „Medienhaus“ auf dem Campus vorgestellt. Darin sollen die bislang über sieben Standorte verteilten Institutionen der Medienforschung der Universität und der Hochschule Mainz zentral zusammengeführt werden. Leider war derzeit nicht mehr dazu zu erfahren als der „avisierte Baubeginn 2015“. In Kürze möchte das Finanzministerium mehr dazu verraten.

Ebenfalls steht die Idee, ein „virtuelles Haus der Wissenschaft“ zu errichten. Die Wissenschaftsallianz hat dazu für 2015 bis 2017 drei Themenjahre unter dem Slogan „Mensch der Wissenschaf(f)t“ entwickelt. 2015: Mensch und Wissenschaft im Dialog, 2016: Mensch und Medizin, 2017: Mensch und Umwelt.