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Die Wüste lebt: Was macht die Mainzer Kunst-Szene?

Im Atelierhaus „Waggonfabrik“ in Mombach vergibt die Stadt günstigen Raum an lokale Künstler – für ein paar Jahre

Wie steht es um die Kunstszene in Mainz – zwischen Raumnot, kreativen Nischen und lebendiger Eventkultur? Wir werfen einen facettenreichen Blick auf Künstler, Initiativen und Galerien, die trotz schwieriger Bedingungen Vielfalt und Engagement zeigen. Ob Layenhof, Panzerwerke oder „KunSTück“ – die Kunst lebt, kämpft und findet neue Wege, sich zu zeigen.

Vom Berliner Stadtteil Wedding hieß es mal: „Der Wedding is ne Wüste – aber die Wüste lebt!“ Der Spruch mit Bezug zu einem alten Tierfilm-Titel kam beim Nachdenken über die Mainzer Kunstszene. Wie sieht es aus mit dem künstlerischen Leben in Mainz? „Viva – Die Mainzer Kunstszene in Zeiten der Veränderung“ titelten wir selbst vor 5 Jahren. Corona war in vollem Gange, und es klang wie ein Aufruf zum Durchhalten. In Zeiten der Schließung von Geschäften, Museen und Galerien waren alternative Konzepte gefragt. Und noch ein Jahr später waren die neuen „Schaufenstergalerien“ Thema. Was ist davon geblieben? Wo entsteht die Kunst, wo ist sie zu sehen und wo zu kaufen?

Astrid Eisinger hat schon viele Umzüge hinter sich

Künstler ohne Raum?
Wer Künstler in ihren Arbeitsräumen besucht, hört von langer Wanderschaft – man kann auch „Odysseen“ sagen – auf der Suche nach geeigneten, bezahlbaren und langfristig nutzbaren Ateliers. Zum Beispiel die Malerin und Performance-Künstlerin Astrid Eisinger. Mitte der 90er war sie eine der ersten Künstlerinnen auf dem Layenhof, dann kamen Stationen im Eckgebäude Große Bleiche 1 (da gab’s mal die Ateliers „art‘n act“), das „Atelier Neun“ (aufgelöst), die Heidelbergerfassgasse (privat) und verzweifelte Suchaktionen mit Zetteln in Briefkästen, Google-Earth-Blick auf ungenutzte Hinterhöfe und Kontaktversuche zu Hausmeistern. Als sie es leid war, entschloss sie sich, den Keller des Mietshauses einer Eigentümergemeinschaft zu räumen und einen neuen Treppenzugang zu bauen. Ohne Zweifel vergleichsweise privilegiert, ist sie da sicher vor Kündigung und kann ihre Aktzeichen- Kurse durchführen – denen die fensterlosen Räume zugutekommen.

Bunte Künstlerschar in den Ateliers am Layenhof in Finthen

Exklave Layenhof
Der Layenhof in Finthen, seit Jahrzehnten städtisches Entwicklungsgebiet, wirkt beim Spazieren immer noch wie ein Abenteuer-Spielplatz. Nach 20 Minuten mit Bus 56 erreicht man ein weitläufiges Gelände am Rande des Flugplatzes, auf dem sich Schuppen, Baugruben, Fabrikhallen und Militärgebäude abwechseln. Leute trifft man selten, die Mischung der Nutzer von Autofreaks, Musikbands, Hobby-Fliegerei, Designbüros und vielen anderen lässt sich kaum zusammenfassen. Seit 30 Jahren haben auch künstlerisch tätige Menschen hier ihre Wirkungsstätte – nicht nur Profis – in heute drei Gebäuden, darunter die Malerin Juliane Gottwald. Ihrer ersten Phase in den 90ern folgten zehn Jahre in der städtisch geförderten Waggonfabrik, doch seit elf Jahren ist sie wieder hier, in zwei Räumen mit zusammen 60qm für 400 Euro kalt. Heizung, Strom und Wasser funktionieren, die Hausmeister der stadteigenen Grundstücksgesellschaft sind „OK“, aber ob nicht irgendwann abgerissen und neu gebaut wird, weiß keiner. Folglich hat sie auch nicht viel in die Räume investiert, doch für die tägliche Arbeit reicht das helle Atelier. Viel Austausch mit den etwa 30 anderen Kreativen auf dem Gelände gibt es nicht, aber man versteht sich, und wenn es um gemeinsame Aktionen wie die landesweiten „Offenen Ateliers“ und das jährliche „Layenhof Open“ geht, helfen die meisten mit.

Panzerwerke Mombach
Wie immer hängt es vom Engagement der Beteiligten ab, ob eine Gruppe funktioniert. So auch in den 14 Räumen in der Mombacher Waggonfabrik, ehemals Mainzer Panzerwerke. Die neuerdings auf fünf Jahre begrenzte Mietdauer und die Altersobergrenze von 35 Jahren erschweren allerdings die kontinuierliche Verankerung im lokalen Kunstbetrieb. Bewerbungen für frei werdende Ateliers werden von der Stadtverwaltung teilweise zu kurzfristig ausgeschrieben. Zudem hemmen immer mehr Vorschriften des Vermieters den Enthusiasmus bei der Veranstaltung von Kunstwochenenden, Konzerten, Partys usw., die Publikum ins Haus bringen könnten (Brandschutz, Versicherungspflicht u. a.). Dennoch lieben die Künstler ihre hohen, zweckmäßigen und nicht überrenovierten Räume, die sie für günstigste 4 Euro pro qm von der Stadt bekommen, die als Hauptmieter die Etage subventioniert.

Atelier Global
Die Raumnot in der Kunstproduktion ist in Mainz nach wie vor groß – für viele Kreative ein Grund, der Stadt den Rücken zu kehren. Es gibt aber auch Glücksfälle. So konnte der Maler Christian Felder auf der Suche nach einer Bleibe nach dem Ende des Atelier Neun gemeinsam mit dem Hausbesitzer Kumad Singh – der leider gerade verstorben ist – ein großes Untergeschoss in der Heidelbergerfassgasse zum Gemeinschaftsatelier mit sechs Abteilen einrichten. In der Gemeinschaft fühlt er sich wohl, würde ungern nur allein „in seinem Loch“ arbeiten. Die Ateliergruppe nennt sich „Global“ – und das ist auch Programm. In der nur wenige Meter entfernten Ateliergemeinschaft Stiftsstraße mit Christiane Schauder, Sandra Heinz und Nicolaus Werner finden immer wieder Veranstaltungen statt, hauptsächlich Musik, was der Hausbesitzer, auch ein Kulturfreund, vor Jahren gleich im Vorvertrag genehmigt hat.

Event-Kunst
Ein Hauptfaktor in der Vermittlung und Bekanntmachung von Kunst ist aber auch die Eventkultur. Denn: Mit der reinen Ausstellung von Kunst ist es heute nicht mehr getan. Es muss Ereignisse, Happenings, geben, bei denen man der Kunst und den Menschen, die sie machen, begegnen kann. Zu den Vernissagen kommen die Finissagen, auch mal die Midissagen, dazu Partys, Sommerfeste, Jazzabende, Lesungen und Vorträge. Nicht alle, aber die meisten Kunstorte sind dabei. Genannt seien die größeren Ereignisse: Die Mainzer Museumsnacht, an der auch Ateliers und Galerien teilnehmen, zieht viele Familien an; der Gallery Crawl PART ist besonders bei jungen Leuten beliebt, und die Offenen Ateliers des BBK im September laden sogar landesweit ein. Seit 1997 werden in der Mainzer Neustadt alle zwei Jahre private Räume (Wohnungen, Büros, Höfe, Gärten) für ein Wochenende zu Ausstellungsräumen: „…3xklingeln!“ heißt das etablierte Erfolgsmodell, in diesem Jahr am letzten September-Wochenende!

Tausendsassa Thilo Weckmüller – fast schon ein Mainzer (Künstler) Urgestein

Alternative, Etablierte, Mäzene
Ereignisse wie diese bieten auch den alternativen Konzepten Gelegenheit, sich zu präsentieren, und die sogenannte „freie Szene“ ist vielleicht der aktivste Lebensraum im künstlerischen Mainzer Wüstenbiotop. Nicht mehr wegzudenken und bei allen größeren Kunstaktionen beteiligt ist die Walpodenakademie, seit 2008 in der Neubrunnenstraße (Motto: „Wir bilden uns ein, auszubilden“). Die Macher Brandstifter (das ist der mit dem gezwirbelten Schnurrbart) und Tanja Roolfs sind die treibenden Kräfte in dem etwa 50-köpfigen Betreiberverein, der in einem Ladengeschäft unermüdlich ein übergreifendes, auch internationales Programm anbietet – von Ausstellungen über Performances, Musik, Film, Vorträge, Aktionen bis zu Literatur und Phänomenen, die kaum einzuordnen sind. Der Betrieb trägt sich durch einen Verein und Projektmittel; dauerhafte institutionelle Förderung hätte das Projekt verdient. Übrigens erhalten ausstellende Kunstschaffende eine Ausstellungsvergütung. Ein weiterer wichtiger Verein ist der Kunstverein Eisenturm Mainz e. V., ein im Jahr 1975 gegründeter deutscher Kunstverein, der die überregionale zeitgenössische Bildende Kunst in Ausstellungen und Publikationen fördert. Auch Exkursionen und Kurse für die derzeit 400 Mitglieder werden regelmäßig veranstaltet. Noch halb in den Startlöchern, aber nicht weniger lebendig ist die Initiative Kulturbäckerei, ebenfalls mit Vereinsstruktur, und sie ist öffentlich gefördert! Über das Vorhaben eines soziokulturellen Zentrums mit Büros von Kulturvereinen, Atelierräumen und Veranstaltungsräumen wurde und wird ständig berichtet. Hier soll nur das K-Lab als vorläufige Vorschau-Galerie erwähnt werden, ein Ausstellungsraum am Karoline-Stern-Platz 11, der vom Verein für 200 Euro pro Woche gemietet werden kann, Technik extra. Wenn im nächsten Jahr nebenan die ehemalige Heeresbäckerei von der Wohnbau fertiggestellt ist, soll der Umzug in dieses neue, riesige Kulturgebäude erfolgen – zusammen mit einem bisher noch nicht bekannten Generalpächter, der die unteren Stockwerke dann u.a. mit einem Club bespielt. Ende 2026 ist als Eröffnung anvisiert. Last not least sind hier auch junge Initiativen zu nennen, wie etwa der Verein & Ladenlokal „KunSTück“ & Co. in der Altstadt.

Galeristen
Irgendwo zwischen freier Szene und kommerzieller Galerie bewegt sich dagegen Thilo Weckmüller. Selbst Künstler, wurde er als Mitbetreiber des „Werkstattladens uah!“ bekannt, der sich auf Drucktechniken und Mainz-Ansichten spezialisiert hat. Im Jahr 2020 – während Corona – stellte ihm die Mainzer Aufbaugesellschaft Räume im Erdgeschoss des Allianzhauses zur Verfügung, und jetzt werden dort in den sechs großen Schaufenstern wechselnd Werke des „Künstlerkollektivs Vitrine“ (auch mit Gästen) gezeigt. Die Kostenbeteiligung pro Schaufenster beträgt 300 Euro für drei Monate und enthält auch den Aufwand für Werbung, Vernissage usw. Die Aktiven des Kollektivs kuratieren die Ausstellungen selbst, Thilo ist „nur“ der verantwortliche Hauptmieter (wir berichteten 2021). Seit drei Jahren hat er nun eine eigene Galerie, die „Vitrine“ in den Geschäftsräumen des ehemaligen Haushaltswarengeschäfts Moritz in der Klarastraße. Dabei geht es ihm um noch unbekannte (aber nicht nur junge) Kreative, um Vielfalt ohne Festlegung auf eine Richtung und zusätzlich auch um niedrigschwellige Angebote für den kleinen Geldbeutel, sprich: Kunstdrucke, Postkarten, kleine Objekte, Bücher. Der Zuspruch ist gut, auch weil die Schaufenster Laufkundschaft und Touristen anlocken, die durch die Gassen spazieren. Klassischer als die Vitrine wirkt die Mainzer Kunst Galerie in der Altstadt, aber auch sie hat ihre Besonderheit, denn die Betreiber Christian und Susanne Vahl müssen und wollen keinen Gewinn erzielen, nehmen bei Verkäufen also auch keine Provision. Man kann das Unternehmen vielleicht als Mäzenatengalerie bezeichnen. Die Vahls wollen keine Freizeitkünstler, legen Wert auf Qualität, versuchen, die „Besten“ aus den Abschlussjahrgängen der Kunsthochschule zu zeigen, und interessieren sich für Kunst aus der Region, weswegen sie auch gerne Ateliers besuchen. Das Spektrum des Gezeigten ist bunt, der Zuspruch bei den Eröffnungen rege, und gern werden Prominente um Grußworte zur Vernissage gebeten. Christian-Friedrich Vahl, Herzchirurg im Ruhestand, greift auch mal zu seiner Gitarre. Nebenbei leitet er noch die Initiative Römisches Mainz und verleiht den Mainzer Medienpreis. Und „richtige“ Galerien – außer dem langjährigen Flaggschiff Dorothea van der Koelen, das wir hier nicht besonders erwähnen müssen? Die Szene ist dünn geworden, die Spezies scheint seit Jahren ausgestorben. Kreiter-Kuhnt, Bausmann, Alf-Krister Job, Rehberg – das waren noch Zeiten! Aber halt: Seit fünf Jahren arbeitet Annette Emde erfolgreich in der nördlichen Neustadt. Das Konzept einer Mischung von regional und überregional, gegenständlich und abstrakt, Malerei, Fotografie und Plastik ist aufgegangen, trotz des schwierigen Starts mitten im ersten Corona-Jahr. Im Juli und August sind die Künstler der Galerie nebst Gästen zum Jubiläum in zwei Gruppenshows zu sehen.

Annette Emde (selbst Fotografin und Kunsthistorikerin) in ihrem Atelier

Weitere Schauplätze
Das Bild der Ausstellungsaktivitäten kleinerer Veranstalter wäre unvollständig ohne die Erwähnung lobenswerter Initiativen im Nebenbetrieb. Buchhandlungen wie Cardabela und die Büchergilde laden ein. Irgendwo zwischen, vor oder über den Regalen finden sich immer noch Plätze für Grafik oder Illustrationen. Von Kneipen und Cafés wie z. B. der „Bar jeder Sicht“ ganz zu schweigen. Coworking Spaces wie The Pier oder Tip Top Express beteiligten sich an der letzten Museumsnacht. Und viele Büros, Arztpraxen und Bankenfoyers schmücken ihre Räume auf Zeit und gegen Kaufmiete mit Kunstwerken lokaler Akteure. Der Landtag pflegt seit Jahren die Präsentation von Kunst aus den verschiedenen Landesteilen. Die Industrie- und Handelskammer Rheinhessen startete gerade mit der neuen Reihe „Wirtschaft trifft Kunst“. Dass unsere französischen Freunde im Haus Burgund und im Institut français ihre Räume immer wieder für Kunst öffnen, nicht nur aus der von ihnen repräsentierten Region, sondern sehr gern auch im Dialog mit hiesigen Kreativen, dürfte bekannt sein. Auf dem Campus wartet die „Schule des Sehens“ als Schauund Experimentierraum auf Besucher, und die Akademie der Wissenschaften und der Literatur ist auch nicht untätig. Zu vergessen sind nicht zuletzt auch die Events, bei denen dann auch mal Kunst gekauft wird und wo auch etwas Geld unterwegs ist, etwa bei den Ausstellungen in der Mainzer Volksbank oder dem kürzlich wieder stattfindenden „Kunst bei Karrie“ einem der größten Bauunternehmer der Region. Hier sitzt sowieso das große Geld, und so ist nicht auch die Familie Gemünden einer der ganz großen Mäzene der Region mit eigenem Kunstmuseum in Winterheim.

Lebt also die Mainzer Kunstwüste?
Ja. Sie lebt nicht nur, sie blüht. Denn am Ende sind es nicht nur die kleinen, sondern die ganz dicken Fische von Mainz, die den Löwenanteil ausmachen: Seit 17 Jahren hat Mainz eine Kunsthalle für zeitgenössische Kunst im Zollhafen. Wir haben Leuchttürme wie das neue LEIZA und vor allem das Gutenberg- Museum, welches auch bald neu und international ausstrahlen soll. Dazu eine eigene Kunsthochschule sowie das Studienfach Kunstgeschichte, aber natürlich auch die Hochschule Mainz mit ihren Medien-Künstlern und dem LUX auf der Lu. Im Juli läuft übrigens der jährliche „Rundgang“ der Kunsthochschule in Kooperation mit der Kunsthalle – ganz heißer Tipp! Doch leider zieht es immer wieder viele Künstler raus aus der Stadt in begüterte Regionen. Die, die hier bleiben, können sich allein von der Kunst selten ernähren, viele werden am Ende dann immerhin zu Kunst-Lehrern. Nicht zu vergessen sind auch die einen oder anderen Kunst-am-Bau-Projekte, auch des Landes. Mainz hatte mal eine Kunstmesse in der Rheingoldhalle. Das wäre vielleicht mal wieder was. Möglicherweise kann dabei der neue Kunstbeirat helfen, der aktuell den alten abgelöst hat, mit einer schönen Kunstinstallation am Rheinufer, der OPELGANG von Helena Walter, leider nur temporär im Rahmen der restlichen Rheinufer-Galerie, die wir an dieser Stelle natürlich auch noch erwähnen wollen. Viele Themen für eine Fortsetzung …

Text: Minas
Fotos: Franziska Gill

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