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Portrait: Gestaltenwandlerin Mina Hahn

Energie und Gelassenheit lautet das Credo von Mina Hahn

Am Flugplatz Layenhof, dort wo die Obstfelder fast den Himmel berühren, liegt das Qi-Gong Studio von Mina Hahn. Steigt man im Gebäude 5856 die Treppen empor, so gelangt man in einen ruhigen, großen Raum voller Spiegel und Fenster gen Wald. Dort unterrichtet Mina ihre Schüler. Die 62-Jährige ist herzlich, spricht laut und lacht gerne. Eher zufällig begann sie im Jahr 1996 mit Qi-Gong, als eine Freundin sie zur Teilnahme an einer Stunde drängte. „Ich dachte damals, das wäre nichts für mich. Ich bin sehr impulsiv und wusste nicht, dass ich auch ruhig sein kann“, sagt sie schmunzelnd. Doch sie lernte schnell: „Wenn man „zu“ aktiv ist, wird man durch Qi-Gong ruhiger. “ Energie und Gelassenheit merkt man Mina heute an. Während mehrerer China-Reisen vertiefte sie ihre Fähigkeiten unter Anleitung verschiedener Meister. Seit 2002 hält sie die „Lizenz als Fachübungsleiterin C, Schwerpunkt Qi-Gong“ des deutschen Turnbundes. Dass sie zu unterrichten begann, war eher einem Zufall zu verdanken: Eine Freundin bat sie während einer stressigen Phase ihres Lebens, ihr Wissen weiterzugeben.

Leben
Qi-Gong heißt für Mina: „Ruhe in Bewegung“. Für ein bewegtes Leben wie das ihre mag das eine gute Lebenseinstellung sein. Denn Mina ist in Afghanistan geboren, hat das Land jedoch bereits seit langem hinter sich gelassen. Während der Revolution 1978 wurden Mitglieder ihrer Familie ermordet. Die Familie war mit dem gestürzten Präsidenten Mohammed Daoud Khan verwandt und hatte nach Ausrufung der Demokratischen Republik Afghanistan keinen Platz mehr im Land. Mina selbst wurde inhaftiert und floh, alsbald sie freikam: erst in den Iran, dann weiter nach Europa. Sie hat geheiratet, ist für ein paar Jahre in die USA gegangen und schließlich wieder zurück nach Deutschland gekommen. „Es macht mir heute nichts mehr aus über meine Vergangenheit zu reden“, sagt Mina, während sie in traditionellen chinesischen Kleidern langsame und kontrollierte Bewegungen ausführt. Es komme ihr ohnehin so vor, als hätte sie schon viele Leben gelebt: eine Mina in Afghanistan, eine auf der Flucht, und eine, die Qi-Gong und sich selbst neu kennengelernt hat. Heute fällt es ihr leichter gute Entscheidungen zu treffen und vor allem sich selbst zu lieben.

Gleich neben dem Flugplatz ist alles im Fluss

Träumen
Mina freut sich ihr Wissen wieder weitergeben zu können. Während der Corona-Zeit waren Kurse nur per Skype oder unter freiem Himmel möglich. Gewöhnlich unterrichtet sie jedoch in diversen Schulen, Sportvereinen und ihren eigenen Räumlichkeiten. Am Kreativhof in Bretzenheim macht sie zudem Qi-Gong mit Rheuma- Patienten. Bei Schülern mit MS oder Parkinson stellten sich bereits positive Veränderungen ein. Auf einer Frankreich-Reise mit ihrem Mann entdeckte sie zudem ein zum Verkauf stehendes Haus. Sie spürte gute Energie an diesem Ort: „Meine Hände kamen mir vor wie zwei Bälle, voller Energie.“ Sie kaufte das Haus, renovierte es und bietet seitdem auf Anfrage Qi-Gong Seminare an. Im Haus gibt es Platz für vier Leute. Wer an einem ihrer Seminare teilnimmt, steht morgens mit der Sonne auf und nimmt nach dem ersten Tee an Stunden im Freien teil. Mit dem Haus hat sich Mina einen Traum erfüllt. Fauchen Qi-Gong ist ein Teil traditioneller chinesischer Medizin (TCM). Die langsamen, fließenden Bewegungen fördern die Entfaltung innerer Kräfte. Umso besser man die Bewegungen beherrscht und umso mehr man bei sich ist, umso größer die Entspannung. Mina lehrt die „18 Wege zum Berg Wu Dang“ – achtzehn aufeinanderfolgende Bewegungen, von der jede einen Namen trägt: etwa „dreht der Phönix seinen Kopf“ oder die „Libelle berührt das Wasser“. Am Ende einer Stunde schreien alle Kursteilnehmer in einem Kreis stehend alle negative Energie heraus. „Normalerweise gibt es fünf Schreie, aber jetzt habe ich noch den Corona- Schrei hinzugefügt“, sagt Mina: „Und wer nicht schreien will, kann fauchen wie ein Drache.“

Text Lena Frings Foto Simon Spieske