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Mainzer Bürgerinitiativen – Protest oder Expertise?

Bündnis der Bürgerinitiativen (BBI) gegen Ausbau und Umweltbelastungen des Rhein-Main-Flughafens (Foto: Walter Keber)

Die direkte Beteiligung der Bevölkerung an politischen Prozessen gehört zu den Versprechen einer demokratischen Gesellschaft. Geschätzt wird sie von Politikern aber nur bedingt. Während die einen mehr davon fordern, verweisen die anderen auf das System der repräsentativen Demokratie, in der das Volk seine Vertreter wählt. Die sollen dann die entsprechenden Entschlüsse fassen, als Volksvertreter oder Abgeordnete. Nicht selten kommt es hier jedoch zu Differenzen. Nicht nur in Mainz, auch anderswo gibt es viele Bürger, die das Gefühl haben, durchregiert oder überhört zu werden. Stichworte der Zeit sind Transparenz und Bürgerbeteiligung.

Die Stadt Mainz entwickelt vor allem seit dem ersten Mainzer Bürgerentscheid vom 15. April 2018 um den Erweiterungsbau des Gutenberg-Museums (auch bekannt als Bibel- Gate) verstärkt Leitlinien für derartige Prozesse. OB Ebling wägt dabei ab: „Es gibt viele Interessen zu berücksichtigen. Der Aktivitätsgrad einer Initiative muss nicht zwangsläufig ein Qualitätsmerkmal sein.“

Vermehrt wirken BIs dennoch dem parlamentarischen Entscheidungsweg entgegen. Und neue (politische) Akteure tummeln sich auf dem Schachbrett. Einer von ihnen (Nino Haase) kandidiert nun sogar zum Oberbürgermeister von Mainz. Gründe Typische Anlässe für Bürgerinitiativen sind die Rettung kultureller Institutionen, Wohnraummangel oder Fragen der Stadtgestaltung. Auch überregional relevante Umwelt- und Energieversorgungsfragen wie Flughafenerweiterungen, Autobahnbau, Atomkraftwerke oder Mülldeponien nehmen seit den Achtzigerjahren zu.

In Mainz ganz oben rangierte vor etwa 15 Jahren der geplante Bau eines Kohlekraftwerks auf der Ingelheimer Aue, der in der Bevölkerung auf Protest stieß. Die Grünen verknüpften damals die Forderung für das Aus der Kraftwerkspläne als Voraussetzung für die Bildung der ersten Ampelkoalition im Stadtrat. Jetzt stehen, im Zuge der Klimadebatte, Kohlekraftwerke wegen des hohen Ausstoßes von Kohlendioxid bundesweit politisch unter Beschuss.

Während bei anderen Projekten einige Gruppen in eine Vereinsform übergehen oder ihre Einflussmöglichkeiten in überregionalen Dachverbänden bündeln, gründen andere Wählergemeinschaften oder alternative Parteien, um auf die politische Bühne zu kommen. Die von Bürgerinitiativen getragenen Demos gegen die Startbahn-West, Anti-Atomkraftproteste oder in jüngerer Vergangenheit Stuttgart 21 haben ein großes mediales Echo hervorgerufen und wurden sogar zu Massenprotesten. In Mainz sind sechs größere Bürgerinitiativen aktiv, die im Folgenden kurz vorgestellt werden:

Initiative gegen Fluglärm
Die Mainzer „Initiative gegen Flughafenerweiterung“ oder die „Initiative gegen Fluglärm e.V.“ setzen sich gegen Fluglärm, den Flughafenausbau und die ökologischen Folgen ein. Letztere hat sich im Juni 2019 in Initiative Klima-, Umwelt- und Lärmschutz im Luftverkehr e.V. umbenannt, um die schädlichen Auswirkungen des Flugverkehrs zu bekämpfen. Die konkreten Forderungen sind die Deckelung der Flugbewegung auf 350.000 Flüge pro Jahr, ein absolutes Nachtflugverbot zwischen 22 und 6 Uhr, die Schließung der Nord-West Bahn sowie die Verhinderung des weiteren Ausbaus des Frankfurter Flughafens. Die BI zeigt auf, dass Fluglärm physisch und psychisch negativ das Leben beeinträchtigt durch etwa Schlafstörungen, Stresssymptome und zunehmende Aggressivität. „Es gibt zahlreiche Studien zur Auswirkung von Fluglärm auf die Gesundheit, etwa vom Mainzer Kardiologen Prof. Münzel. Da es sich aber um ‚nur’ eine Million Betroffene handelt, werden diese von der Politik geopfert“, stellt der Vorsitzende Jochen Schraut fest. Zudem richte der Lärm einen finanziellen Schaden an, wenn Häuser und Grundstücke aufgrund der verminderten Wohnqualität an Wert verlieren, was der gesamten Region als Wirtschaftsstandort schade. Als Druckmittel gegen Fraport ruft die BI zur Einreichung von Fluglärmbeschwerden auf und demonstriert regelmäßig am Flughafen. Rückenwind erhält man vom hessischen Landesamt für Naturschutz, welches die hohe Feinstaub- Konzentration in Flughafennähe bestätigt.

BI Neustadt-Ufer
Eine weitere Gruppe, die die Gefahren der Feinstaubemission für Mensch und Umwelt thematisiert, ist die „Bürgerinitiative Neustadt-Ufer“. Sie engagiert sich seit September 2018 gegen die geplante Schiffsanlegestelle und die Autoabsatzanlage Höhe Feldbergplatz. Bis zu 16 Frachtschiffe in Vierer-Reihen sollen hier nach Plänen des Bundes anlegen. Sowohl Anwohner als auch die BI befürchten, dass Dieselabgase und Schiffslärm die Lebens- und Luftqualität der Neustadt weiter verschlechtern. „Die vorliegenden Gutachten zeigen, dass durch den Betrieb der geplanten Anlage Grenzwerte für Lärm- und Abgasemissionen überschritten werden“, kritisiert der Sprecher der Initiative Torsten Kirchmann Auch die Stadt Mainz räumt zuletzt ein, dass die Auswirkungen „in den Planunterlagen noch nicht ausreichend berücksichtigt“ wurden und fordert nun ebenfalls Gutachten. Nach einer Menschenkette im Oktober letzten Jahres sammelt die BI weiterhin über eine Online-Petition Unterschriften dagegen

 

Mainz 21 Mülldeponie
Im Laubenheimer Steinbruch plant die Stadt eine Mülldeponie zu errichten. Während es sich laut der Fürsprecher lediglich um harmlosen Bauschutt handele, befürchten Kritiker, dass auch gesundheitsgefährdende Giftstoffe abgesetzt werden. Einige Anwohner haben daher die Bürgerinitiative „Mainz 21 – Nein zur Mülldeponie“ in Mainz ins Leben gerufen. Die BI kritisiert neben den Umweltgefahren, dass auch die Baukosten auf die Bürgerschaft umgelagert würden und kein ausreichender Schutzabstand zu Wohngebieten bestehe. Das wiederum mindere den Wert der Immobilien. Zwei Chemiker der Initiative konnten unter den 139 von der Deponieverordnung zugelassenen Materialien 42 potenziell gesundheitsschädigende Stoffe feststellen. „Diese Gefahrenstoffe verursachen nicht nur üblen Gestank, sondern führen auch zu Vergiftungen oder Krebs“, warnt der Vorsitzende Antonio Sommese. Dem widerspricht das Umweltdezernat: „Es wird so verfüllt, dass keine Belastung der dort wohnenden Menschen oder der Umwelt erfolgt“, sagt Bürgermeister Günter Beck (Grüne). Da die Mehrheit des Stadtrats für die Deponie gestimmt hat, bereitet sich die Initiative nun auf eine juristische Auseinandersetzung vor und hat hierfür bereits 10.000 Euro Unterstützungsgeld erhalten.

BI Ludwigsstraße
Ein weiteres Bauvorhaben, das viele Mainzer umtreibt, ist die geplante Shopping Mall am Standort des Karstadt-Gebäudes auf der Ludwigsstraße. Nachdem der Investor ECE aus Hamburg abgesprungen ist, hat Baulöwe Gemünden aus Ingelheim das Ruder übernommen und alle nötigen Flächen gekauft. Auch die Stadtverwaltung drückt aufs Gaspedal. Bereits im Herbst soll ein Architekten- sowie Bauleitplanverfahren starten. Die „Bürgerinitiative Ludwigsstraße“ kritisiert u.a., dass die Bevölkerung bei solch einem drastischen Eingriff ins Stadtbild unzureichend miteinbezogen werde, öffentliche Flächen verschenkt und historische Architekturen übergangen würden. „Dort sollen aktuell 28.450 qm vermietbare Fläche gebaut werden. Ein Riesenbetonhaufen und ein großes Hotel (155 Zimmer mit 7.300 qm) oben drauf. Wie viele Hotels brauchen wir eigentlich noch? Wieviel zusätzlichen Verkehr? Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir heute fast froh sein könnten, wenn ECE damals ein normales, kleineres ‚Geschäftshaus‘ mit gerade mal 16.000 qm Verkaufsfläche gebaut hätte “, sagt der Sprecher der Initiative Hartwig Daniels. Nach den letzten beiden Bürgerbeteiligungen haben die Investoren nachgebessert. In einigen Punkten wird man sich jedoch nicht einig.

BIs Gutenberg-Museum
In der Causa Bibelturm (Erweiterungsbau des Gutenberg-Museums) gibt es gleich zwei Bürgerinitiativen: eine dafür und eine dagegen. Die „Bürgerinitiative Gutenberg-Museum“ hatte das Ziel, den Bau des geplanten „Bibelturms“ zu verhindern und machte neben ästhetischen und funktionalen Einwänden auf die problematische Finanzierbarkeit und das mangelhafte Architekturkonzept aufmerksam. Sie konnte 13.500 Unterschriften gegen den Bau des Bibelturms sammeln und im Jahr 2018 einen Bürgerentscheid durchsetzen, der mit 77,3 Prozent Nein-Stimmen bei einer Beteiligung von 40 Prozent eine klare Entscheidung der Bevölkerung gegen das Bauvorhaben bedeutet.
Gleichzeitig setzte sich die „Bürgerinitiative Mainz für Gutenberg“ für den Bau des Bibelturms ein. Sie argumentierte mit der Zukunftsfähigkeit der Stadt als Kulturstandort und verwies auf die Expertise der Planungsbeteiligten.
Mittlerweile arbeiten beide Initiativen zusammen mit der Stadtverwaltung in einer Planungswerkstatt zum Museum. Es geht um alternative Standorte und die große Frage der Finanzierung eines Neubaus oder einer Sanierung. Der Vorsitzende der BI Gutenberg-Museum Thomas Mann bemängelt das Ungleichgewicht der Vertreter der Bürgerinitiativen im Vergleich zu der Stadtverwaltung in den Diskussionsrunden: „Die Bürger/ innen in der Arbeitsgruppe stellen in jeder Sitzung unter Beweis, wie kompetent und lösungsorientiert sie sind“, doch „es werden immer weniger Teilnehmer, die zu den Treffen kommen“. Auch Johannes Kohl, Sprecher der BI Mainz für Gutenberg, bestätigt, dass die Beteiligten „konstruktiv, sachbezogen und zielorientiert“ zusammenarbeiten und „das Grundanliegen einer guten Zukunft von allen geteilt“ wird. Mit etwas Glück und vermehrtem Engagement wird das Museum so eines Tages vielleicht doch noch zum Weltmuseum der Druckkunst.

Fazit
Können die Mainzer Bürgerinitiativen an die Erfolge der Kohlekraftwerkgegner anknüpfen oder stehen die Zeiten schlecht für bürgerschaftliches Engagement? Immerhin geben knapp 60 Prozent regional agierender Gruppen an, ihre Ziele in Teilen oder vollständig erreicht zu haben. Dabei steigen die Chancen einer Initiative, wenn sie konkrete und vor Ort realisierbare Lösungsvorschläge formulieren kann. Die in den Streitfragen hohe fachliche Expertise vieler Mitglieder macht die Bürgerinitiativen zu ernst zu nehmenden politischen Kräften, die nicht nur besser informiert sind als viele Abgeordnete, sondern auch Bürger für ihre Sache gewinnen können.

Thomas Bittel

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