von Gabriel Werchez
Fernab von Spielhallen und Wettbüros gibt es in Mainz eine sehr aktive Spielerszene. Am liebsten zocken sie mit bunten Spielkarten.
Ortstermin beim „Friday Night Magic“ im Orcish Outpost in der Zanggasse. Am Nachbartisch tönt es selbstbewusst: „Der kann nur bei Delirium gespielt werden!“ Die Antwort geht im allgemeinen Geraune an den Tischen zwischen Fantasy-Miniaturen, Brettspielen und Modellfarben unter. Im Outpost treffen sich freitagabends bis zu zwanzig hauptsächlich männliche Sammelkartenfans. „Booster-Draft“ wird gespielt. Jeder Teilnehmer zahlt eine Startgebühr von zehn Euro. Dafür verteilt der Ladeninhaber drei in bunte Folie eingeschweißte Päckchen mit jeweils 15 druckfrischen Karten („Booster“) aus der aktuellen Kartenedition. Jeder darf sich eine Karte aus seinem Stapel aussuchen, dann werden die Booster reihum weitergegeben. Nachdem alle Karten verteilt sind, baut sich jeder daraus ein Deck, mit dem nun gespielt wird.
Eine weltweite Gemeinde
Seit Mitte der 90er haben Sammelkartenspiele („Trading Card Games“) weltweit Konjunktur. Karten mit verschiedenen Namen, Bildern, Effekten und Seltenheitsstufen werden miteinander kombiniert und von den Spielern zu „Decks“ zusammengestellt. Die bedeutendsten Spielsysteme heißen Magic: The Gathering und Yu-Gi- Oh. Ersteres spielt in einem Fantasy- Universum, während Letzteres sich thematisch an der gleichnamigen Anime-Fernsehserie orientiert.
Michael ist Magic-Spieler der ersten Stunde und Stammgast. Er kommt bereits seit 13 Jahren in den Outpost. Bedächtig blättert er durch seinen Tauschkartenordner. Die Karten sind ordentlich in Einzelfächern aus Klarsichtfolie sortiert, so dass sich jeder Interessent einen schnellen Überblick verschaffen kann. Im Gespräch taut der freundliche Mittfünfziger schnell auf. Er berichtet stolz, dass sein Sohn auf einem Magic-Turnier eine Reise nach Sydney zu einem Magic Grand Prix gewonnen hat. Bei diesem dreitägigen Turnier geht es nicht nur um Ruhm und Ehre, sondern um viel Geld. Als Hauptpreis locken 10.000 Dollar und alle Teilnehmenden bekommen eine heißbegehrte, exklusive Promo-Karte.
Duell auf dem Lerchenberg
Auch Jochen ist Zocker. Er erzählt vom monatlichen Magic-Turnier auf dem Lerchenberg. Jeden dritten Sonntag treffen sich 60 bis 80 Spieler zum „Deck, Woscht & Woi“ im Bürgerhaus. Es wird von einem ehrenamtlichen Team organisiert und die Teilnehmer kommen aus der ganzen Region. Gegen eine Startgebühr von zehn Euro kann sich jeder mit eigenem Deck anmelden. Wer dem Event einen Besuch abstattet merkt, dass Sammelkartenspiele hauptsächlich bei männlichen Wesen beliebt sind. Deshalb liegt nicht nur Adrenalin in der Luft, als der Turnierleiter die ersten Paarungen bekannt gibt. Die Turniersieger erhalten wertvolle Sachpreise. Wenn das eigene Deck ein Turnier gewinnt, ist die Genugtuung selbstverständlich unbezahlbar.
Alexander Demmler betreut für den Spielwarenhändler „Wirth – Der Kinderladen“ das Event. Neben seiner Leidenschaft für Gesellschaftsspiele ist das Turnier für ihn als Mitveranstalter auch eine Maßnahme der Kundenbindung: „Wir wollen für unsere Kunden hier in Mainz etwas tun, um im Wettbewerb mit Internethändlern die Nase vorn zu haben.“ Für ihn ist ganz klar, was die Faszination von Sammelkartenspielen ausmacht. Es sei nicht nur das Sammeln und Tauschen der Karten. Auch der Turnierwettbewerb und das Spiel gegen andere machen den Reiz des Spiels aus. Aber vor allem der ökonomische Charakter von Sammelkartenspielen übe auf viele Jugendliche eine starke Anziehung aus. Jede Karte hat je nach Spielstärke und Seltenheit einen bestimmten Geldwert.
Der Kurs für die Karte schwankt, da fortwährend neue Karteneditionen auf den Markt kommen und in den verschiedenen Spielformaten nur bestimmte Editionen eingesetzt werden. Es existiert auch ein sehr umfangreicher Sekundärmarkt im Internet. In diversen Foren werden Karten von Privatpersonen zum Verkauf angeboten. So mancher Spieler bessert sich dort sein Taschengeld mit An- und Verkauf seiner Schätze auf. Demmler ist sich sicher, dass hierin die wichtigste Motivation liegt: „Die Gier ist einfach zu groß, auf dem Markt die besten Karten zu ergattern und dadurch im Spiel vorne mitzumischen.“
Nerds am Tisch
Sogar ganz ohne trendige Hornbrillen wirken die Männer auf den ersten Blick wie echte Nerds. Doch hinter der Leidenschaft für ein Kartenspiel steckt viel mehr. Weltweit gab es 2013 laut Herstellerangaben über 12 Mio. Spieler und insgesamt über 14.000 verschiedene Magic-Karten. Viele der Spieler können die Effekte und den Wert der einzelnen Karten aus dem Kopf abrufen. Sie setzen sich intensiv und akribisch mit einem sehr speziellen Thema auseinander. Parallel zu der sozialen Komponente des Gesellschaftsspiels wird oft und gerne über die verschiedenen Karten gefachsimpelt.
Durch den ökonomischen Aspekt des Spiels lernen sie gleichzeitig die Gesetze der freien Marktwirtschaft. Während der Altersdurchschnitt der „Magic: The Gathering“-Spieler bei Mitte bis Ende 20 liegt, sind die Yu- Gi-Oh-Spieler in der Regel jünger. Im Mai fand in der Rheingoldhalle die deutsche Meisterschaft statt, an der 1.000 Spieler teilnahmen. Ein Treffpunkt für regelmäßige Turniere ist der Trading Card Game-Laden in der Großen Bleiche. Er gehört zum Spielwarenhändler Wirth. Aus dem Geschäft leuchtet auch tagsüber violettes Neonlicht und der kleine Verkaufsraum ist meist gut gefüllt.
Christian ist für Yu-Gi-Oh im Laden zuständig. Mit Mitte zwanzig ist er schon einer der Älteren hier. Er spielt seit 15 Jahren Yu-Gi-Oh und ist immer noch ein begeisterter Fan. Auf die Frage, was die Faszination ausmacht, antwortet er: „Man kann sich treffen, miteinander austauschen und spielen. Es macht einfach Spaß.“ Das junge Publikum zelebriert in dem Laden donnerstags und samstags ein Turnier. Gegen ein Startgeld von fünf Euro kann jeder am Wettbewerb mit seinem Deck an den Start gehen. Aufgrund der starken Nachfrage ist mittelfristig geplant, das Untergeschoss des Gebäudes für die Sammelkartenspieler auszubauen, um so auch größere Veranstaltungen in den eigenen Räumen abzuhalten. Sammelkartenspiele haben keine Nachwuchsprobleme und solange auch Ältere dem Hobby treu bleiben, verbringen sie ihre Freitagabende nicht im Delirium.