Text Ejo Eckerle Illustration Lisa Lorenz
Während im Bundestag über die Reform des Sterbehilfe-Gesetzes diskutiert wird, setzen Ärzte und Helfer auf andere Angebote.
„Für mich und meinen Mann war der Aufenthalt wie ein Sechser im Lotto“. Dieser Satz steht im Gästebuch der Palliativstation der Mainzer Universitätsmedizin. Es sind die Worte einer Frau, deren Mann hier die letzten Wochen seines Lebens zubrachte. Der Einfall, die begrenzte Lebenszeit auf einer Krankenstation mit einem Glücksspiel-Gewinn zu vergleichen, mag seltsam anmuten. Zumal an einem Ort, wo es nicht mehr darum geht, unterstützt vom Waffenarsenal der High-Tech-Medizin die Klingen mit Meister Tod zu kreuzen, sondern den Patienten das zu geben, damit sie „nicht nur in Frieden sterben, sondern auch bis zuletzt leben können“, so wie es die Gründerin der modernen Hospizund Palliativbewegung, Cicely Saunders, einmal formulierte.
Menschen, die hier aufgenommen werden, haben oft eine lange und schmerzvolle Odyssee von Therapien und Krankenhausaufenthalten hinter sich. Sie wissen, wenn sich die Tür des kleinen Pavillons hinter ihnen schließt, dass sie auf den letzten Metern angekommen sind. Jetzt geht es oft nur noch um die Linderung von Schmerzen, von Übelkeit und Erbrechen, um das Bewältigen von Angst vor dem, was kommt und keiner kennt. Sind die Beschwerden zu stark, können Ärzte die Sterbenden auch in ein künstliches Koma versetzen. Sterbehilfe im aktiven Sinne ist das nicht.
Ärzte im Gewissenskonflikt
Die Debatte um den Tod auf Verlangen hat Fahrt aufgenommen, seit der Bundestag über ein neues Gesetz zur Sterbehilfe diskutiert. Eine Gruppe um Abgeordnete der großen Koalition plädiert für eine gesetzliche Zulassung ärztlich assistierter Sterbehilfe. Verzweifelte Menschen sollen sich nicht an kommerzielle Sterbehilfevereine wenden müssen, sondern sich ihrem Arzt anvertrauen können, sagen die Befürworter. Dabei formulierten die Abgeordneten sieben Voraussetzungen für die ärztliche Hilfe bei der Selbsttötung: Unter anderem müsse der Sterbende volljährig und voll einsichtsfähig sein; es müsse sich um eine unheilbare Krankheit handeln, die unumkehrbar zum Tod führe; der Patient müsse erkennbar leiden und umfassend über andere, besonders palliative Behandlungsmöglichkeiten beraten worden sein.
Das lateinische Wort „Pallium“ bezeichnet einen Mantel, der den Kranken in seinem Leid und Schmerz schützend und wärmend umhüllt, auch wenn die Krankheit an sich nicht überwunden werden kann. Das Konzept umfasst längst nicht nur die medikamentöse Behandlung: Angebote aus der Physio- und Musiktherapie, Seelsorge und Sozialarbeit unterstützen es. Sterbehilfe, oder ärztlich unterstützter Suizid, sind für den Leiter der Palliativabteilung, Professor Martin Weber, eher schwierige Themen. „Die Beihilfe zum Suizid ist keine ärztliche Aufgabe. Andererseits ist es auch problematisch zu sagen, das darf man nie und nimmer tun und wenn ein Arzt in einem Ausnahmefall einem Schwerstkranken entsprechende Medikamente verschreibt, riskiert er, seine Berufszulassung zu verlieren.“
Selbst, sagt Professor Weber, habe er noch nie vor dieser Entscheidung gestanden. Warum das so ist, erzählt er an einem Beispiel aus seinem beruflichen Alltag. Vor wenigen Tagen wurde ein schwerkranker Mann auf seine Station gebracht. Er litt an einem weit fortgeschrittenen, unheilbaren Tumor. Massive Wassereinlagerungen in den Beinen beschwerten ihn, eine wachsende Unruhe setzte ihm zu. „Er sagte mehr als einmal zu uns: ich möchte gerne gehen“. Professor Weber und sein Team besprachen die Situation. Es gelang ihnen, die Symptome des Mannes mit einem Hypnotikum unter Kontrolle zu bringen. Er kam körperlich und seelisch zur Ruhe. Zwei Tage später schlief er friedlich ein. Der Mann starb an den Folgen seiner Krankheit, nicht an der Wirkung der Droge. Das sedierende Medikament erleichterte ihm lediglich seine letzten Stunden.
Wirklichkeit schlägt Fantasie
In Mainz und Umgebung sind die Bedingungen vergleichsweise ideal, wenn es um die Versorgung schwerkranker und sterbender Menschen geht. Neben der Palliativabteilung der Uniklinik leistet die Spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SPAV) des Mainzer Hospizes eine Betreuung in den eigenen vier Wänden der Patienten. Das Hospiz bietet auch eine 24-stündige Rufbereitschaft an. Im stationären Hospiz in Drais können Menschen die letzte Zeit ihres Lebens zu Ende leben. Pflegedienstleiter Michael Schwarz wird oft mit Ängsten konfrontiert, die häufig darauf beruhen, dass immer noch zu wenig über die Möglichkeiten der palliativen Pflege in der breiten Öffentlichkeit bekannt ist: „Die Fantasie ist meist schlimmer als die Wirklichkeit.“
Das Christophorus- Hospiz ist eines von knapp 250 Einrichtungen dieser Art bundesweit. Nur ein sehr kleiner Teil der Sterbenden kommt darin unter. Der Deutsche Hospiz- und PalliativVerband schätzt, dass 10 bis 15 Prozent aller Sterbenden eine spezielle Versorgung, wie sie in festen Häusern oder von ambulanten Diensten geleistet werden kann, benötigt. Das beträfe rund 80- bis 120.000 Menschen pro Jahr! Wenn keine adäquate palliativmedizinische Versorgung möglich sei, so Professor Weber, könnte es ethisch ausnahmsweise vertretbar sein, dass in einem vergleichbaren Fall wie dem seines verstorbenen Patienten der Hausarzt dem Kranken das entsprechende Medikament in die Hand gibt, auch auf die Gefahr hin, dass dieser es in einer Dosis nimmt, die ihn tötet.
Anspruch auf Versorgung
„Aber“, sagt Professor Weber, „palliative Medizin ist nicht die Antwort auf alles.“ Und auch dafür hat er ein Beispiel. Er erinnert sich an eine Patientin, die an einer schweren Arthrose litt. „Mit Morphin konnten wir die Patientin schmerzfrei bekommen.“ Dennoch habe sich die Kranke irgendwann entschieden, in die Schweiz zu fahren, um dort mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben zu scheiden. Was die Frau vor allem schreckte, war die Aussicht, irgendwann ein Pflegefall zu sein. „Es stellt sich also die Frage, wie viel sind wir als Gesellschaft bereit zu investieren, damit diese Angst nicht mehr aufkommt.“
Angesichts der Tatsache, dass in allen fünf Gesetzesentwürfen, die derzeit im Bundestag auf dem Prüfstand stehen, Einigkeit über den Ausbau und eine bessere Finanzierung der Palliativversorgung herrscht, kommt Weber ins Grübeln: „Es gibt für jeden Betroffenen seit 2007 einen gesetzlichen Anspruch auf eine ambulante Palliativversorgung. Durchgesetzt ist dieser aber noch lange nicht, oft fehlt es an Geld.“
Das Mainzer Hospiz hat seine Gründung unter anderem einem kurzfristigen Geldsegen zu verdanken, den das Bistum Mainz ereilte: ein nicht eingeplanter Überschuss der Kirchensteuereinnahmen. 2002 sind in dem Barockbau aus dem Jahr 1750 acht Zimmer für Todkranke entstanden. Aktive Sterbehilfe ist auch hier kein Thema. „Unser Motto lautet: zuhören, annehmen und begleiten“, beschreibt Hospiz-Leiter Schwarz seine Arbeit. Im Schnitt leben die Menschen hier noch vier Wochen. Oft finden sie dabei eine Aufgabe, die es zu bewältigen gilt. „Ein Mann kam zu uns, um seiner Familie zu zeigen, wie Sterben abläuft“, erinnert sich Schwarz. Ihm war klar, wenn die letzte Reise bevorsteht, geht es um das Leben, das bleibt.