„Wir leben in einer blockierten Republik“, sagt Kris Kunst. „Wir brauchen eine außerparlamentarische Kraft, um die Politik Deutschlands zu erneuern“. In der Sammlungsbewegung #Aufstehen sieht er diese Chance. Als Sahra Wagenknecht im September 2018 die Ziele der Bewegung vorstellt, weiß er: „Sowas brauchen wir!“ Die Bewegung steht für sichere Arbeitsplätze, höhere Löhne und Renten, eine bessere Pflege, erneuerte Bildung und den Umweltschutz. Auch für Abrüstung, Frieden und Demokratie. „Vor allem an Demokratie mangelt es“, sagt der 48-jährige. „Wenige haben alles und bestimmen alles“. Ein Wandel muss her, aber wie? Die Politik wieder in die Hände der Menschen legen. Das möchte #Aufstehen.
Schneller Anschub
Als Wagenknecht #Aufstehen im September vorstellt, registrieren sich auf einen Schlag 101.741 Menschen online. Im Dezember sind es schon 170.000. Bundesweit gründen sich Regionalgruppen, so auch in Mainz. „Am Tag der deutschen Einheit hatten wir unser erstes Treffen“, erzählt Kunst. Als der Gründungsaufruf kommt, lädt er per Mail sofort alle interessierten Mainzer ein. Rund 50 Leute versammeln sich im Goethepark mit dem Wunsch nach einem neuen Deutschland. „Eine bunte Truppe“, so Kunst. Jung und Alt, mit und ohne Politikerfahrung, vom Linken bis zum Sozialdemokraten.
Wie die Gelbwesten?
Einer der Interessenten ist Joachim Schappert. Von Anfang an hat der 54-jährige Musiker die Bewegung in den Medien verfolgt. Die Namen dahinter sind für ihn Politiker der „Creme de la Creme“, und #Aufstehen ein Versuch, der Mehrheit in der Bevölkerung wieder eine Stimme zu geben. Die Politik ignoriere für ihn wesentliche Themen, darunter Entmilitarisierung, Umweltschutz, Wohnen, Bildung und ein verbesserter Nahverkehr. „Die Leute haben dazu eine klare Meinung. Aber die Politik setzt sie nicht um“, so Schappert. #Aufstehen Mainz möchte diese Themen in Arbeitsgruppen angehen. Schappert ist Teil der AG Frieden, die jetzt an einem Konzept für ein Friedensfestival arbeitet. Eine Mischung aus Musik, Kabarett und Information soll sich gegen zunehmende Militarisierung und Rüstungsexporte starkmachen. Kunst kämpft in der AG Wohnen für einen gerechteren Wohnungsmarkt. Ein konkretes Konzept fehlt noch. Doch ein Wohnungsbündnis „Recht auf Wohnen“ soll für mehr und günstigeren Wohnraum sorgen.
Im Aufbau
Kurz vor dem Jahreswechsel trifft sich die Mainzer Gruppe zu ihrer zweiten Vollversammlung im DGBHaus. Mittlerweile ist sie um die Hälfte geschrumpft, doch der Tenor nach wie vor eindeutig: Wir können nicht länger zuhause rumsitzen und nur zuschauen! Doch auch erste Zweifel mischen sich mit herein: #Aufstehen sei nicht optimal gestartet. Eine Bewegung von oben, wie soll das gehen? Wenn das nicht funktioniert, was dann? „Gerade befindet sich #Aufstehen noch im Embryonalzustand“, gibt Kunst zu bedenken. „Aber die Gelbwesten in Frankreich hat anfangs auch keiner ernst genommen“. An der Basis laufe es gut, 188 Gruppen haben sich deutschlandweit gegründet. Nur in Berlin hake es noch. Die Zentrale sei überfordert, müsse sich erst finden und organisieren. Dazu kommt schlechte Presse, als Wagenknecht sich von der #Unteilbar-Demonstration distanziert. „Jede Bewegung hat Feinde“, sagt dazu Kunst. #Aufstehen werde von den Medien personifiziert und Wagenknecht sei nun mal eine Person, die polarisiere. „Das war auch viel Kampagnenjournalismus“. Natürlich sei #Aufstehen keine rechte Bewegung. Im Gegenteil, das Ziel sei es ein Gegenpol zu AfD und Pegida zu sein. Schappert möchte mit #Aufstehen Mainz den Blick auf gesellschaftliche Themen lenken, abseits von Flucht und Migration. „Unser Hauptthema ist soziale Gerechtigkeit und da kann ja erstmal niemand etwas dagegen haben“.
www.aufstehen.de/rheinland-pfalz
Text Lisa Winter Fotos Stephan Dinges