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Stadtumbau: Das Mainz der Zukunft

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von Andreas Schröder, Illustrationen: Lisa Lorenz

Das Gesicht der Stadt verändert sich, denn Städte sind ein bisschen wie wir Menschen. Sie wachsen und gedeihen oder sie entwickeln Krankheiten und schrumpfen. Mainz wächst dank seiner Hochschulen, einer stabilen Wirtschaft und einer attraktiven Lage im Rhein-Main-Gebiet. Aber auch dieser Prozess will begleitet werden. Die Stadt muss auf sich achtgeben. Stadtentwicklung, nennt man das. Seit einigen Jahren tritt das Thema mit großen Projekten wie der Ansiedlung von Möbel Martin, dem Kohlekraftwerk auf der Ingelheimer Aue oder dem geplanten ECE-Einkaufszentrum immer weiter in den Vordergrund. Denn die Menschen wollen mitentscheiden, wie sich ihre Stadt entwickelt. Einige dieser Vorhaben sind bereits abgeschlossen, andere wurden nach langer Diskussion gestrichen. Doch viele städtebauliche Großprojekte stehen in den Startlöchern und werden das Gesicht unserer Stadt nachhaltig verändern. Wie? sensor begibt sich auf eine Tour durch eine mögliche Version des Mainz von Morgen.

2017 – Vom Stadtpark in die Innenstadt
Der Anblick der Winterhafen-Häuser, die gelb in weiß zwischen Bahndamm und DB Schenker hervor blitzen, ist 2017 Normalität geworden. Inzwischen zieht ein anderes Bauwerk die Blicke auf sich. 95 Meter lang und vier Stockwerke hoch begrüßt der Neubau des Römisch-Germanischen Zentralmuseums RGZM alteingesessene Mainzer und Besucher. Es ist der erste Bauabschnitt des Archäologischen Zentrums (AZM) und war mit einem Gesamtbudget von 41 Millionen Euro das größte Bauprojekt des Landes. Von der Holzhofstraße kann man zwischen dem Museum für Antike Schifffahrt und dem Cinestar-Kino hindurch die Arbeiten am zweiten Bauabschnitt des AZM erkennen. In der ehemaligen Neutorschule entsteht die neue Heimat der Landesarchäologie. Eine Bürgerinitiative hatte sich erfolgreich für den Erhalt des historischen Schulgebäudes eingesetzt, das nach ersten Plänen hätte abgerissen werden sollen. Der großzügige Platz, der zwischen dem Neubau und der Neutorschule entstanden ist, wird einen „südlichen Abschluss der Altstadt“ bilden, betonte Finanzminister Carsten Kühl bei der Übergabe des Bauantrags 2013. Folgt man der Holzhofstraße weiter, vorbei an den vor wenigen Jahren fertiggestellten neuen Hopfengarten-Gebäuden und hinauf in die Weißliliengasse, gelangt man an die größte Baustelle in der Innenstadt. Zwischen Weißliliengasse, Ludwigsstraße, Gutenbergplatz, Bischofsplatz und Eppichmauergasse baut Investor ECE für 200 Millionen Euro ein neues Einkaufszentrum. Das Projekt war eines der umstrittensten der jüngsten Stadtplanungsgeschichte. Über zwei Jahre lang hatten ECE, die Stadt, allerlei Interessenvertreter und eine Bürgerinitiative (BI) um die Form gerungen. Wie bei der Neutorschule konnte auch hier die organisierte Bürgerschaft einige Erfolge für sich verbuchen, zum Beispiel, dass das Zentrum aus fünf durch Gassen getrennten Gebäuden und nicht als monolithische Shopping-Mall errichtet wird. In anderen Punkten, wie bei der geplanten Quadratmeterzahl, musste man sich mit einem Kompromiss zufrieden geben. Einige der Gebäudeblöcke und die Hintere Präsenzgasse sind bereits deutlich zu erkennen. Spätestens Ende kommenden Jahres, 2018, soll der Komplex fertiggestellt sein.

2018 – Saarstraße bis Innenstadt
Die Ampelanlage mitten auf der Saarstraße ist etwas irritierend. Auf der rechten Seite werden wir von der 2017 fertig gestellten Mainzelbahn überholt. Die neue Straßenbahnlinie bindet Universität und Coface Arena an die Innenstadt an und führt bis zum Lerchenberg. Dass die Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG) dieses bedeutende Infrastrukturprojekt relativ schnell vollenden konnte, verdankt sie nicht nur Bund und Land, die mehr als die Hälfte der 84 Millionen Euro hohen Projektkosten beisteuerten, sondern auch der eigenen Beweglichkeit. Frühzeitig hatten Stadt und MVG die Bürger in ihr Vorhaben eingebunden und konnten so Streitpunkte erkennen, wie zum Beispiel die Linienführung über den Lerchenberg. Am Binger Schlag angekommen, fällt das neue Herzzentrum ins Auge, das die Mainzer Aufbaugesellschaft und die Firma Molitor an der Stelle des ehemaligen Autohauses Kraft errichtet haben. Vor etlichen Jahren hatte sich der Kulturverein PENG hier eingenistet. Vor uns fährt ein LKW mit Baumaterial. Er ist wahrscheinlich auf dem Weg zum neuen Stadtquartier M1, welches gerade am Hauptbahnhof auf dem alten Bahngelände zwischen Mombacher Straße und Gleisanlage entsteht.

2019 – Wohnen in der Neustadt
Gegenüber der neuen Feuerwache II wird am nördlichen Ende des Zollhafens kräftig gebaut. Hier entsteht der Gewerbekomplex, der die Wohnbebauung gegen die Geräuschkulisse des Industriegebiets abschotten soll. Die bereits vor fast drei Jahren fertiggestellten Wohn- und Geschäftshäuser nahe der Kunsthalle und die Wohnungen auf der Südmole sind von hier aus hinter der Baustelle kaum noch zu erkennen. Allein in den Baufeldern „Molenkopf Süd“ und „Rheinpromenade“ sind 250 Wohnungen entstanden. Auch auf der anderen Seite der Rheinstraße, hinter dem „Kulturzentrum Kommissbrotbäckerei“, ragen Kräne in die Höhe. Nach langer Verzögerung gehen dort die Arbeiten am Stadtentwicklungsprojekt „Neuer Quartiersplatz – Nördliche Neustadt“ weiter. Während die zentralen Gebäude zwischen Wallaustraße und Emausweg schnell errichtet werden konnten, führten die komplizierten Eigentumsverhältnisse in den anderen Teilen zu Verzögerungen. Bis das gesamte Areal entwickelt ist, wird es noch Jahre dauern. Die Planungsgeschichte des „Neuen Quartiersplatz“ ist etwas Besonderes, denn die Initiative zu dem Projekt ist aus einem Bürgerforum hervorgegangen, nämlich 2009 im Rahmen des Städtebauprogramms „Soziale Stadt“. Folgt man Rheinallee und Rheinstraße, vorbei am Kurfürstlichen Schloss, dem Deutschhaus und dem Landtag, schiebt sich hinter der Rheingoldhalle das Mainzer Rathaus am Jockel-Fuchs-Platz langsam ins Bild. Nur Beobachter mit guter Ortskenntnis nehmen die Veränderungen am vom Stararchitekten Arne Jacobsen entworfenen und 1974 fertiggestellten „Fuchs-Bau“ wahr. Darauf hatte der Denkmalschutz vor und während der zweijährigen Sanierungsarbeiten Wert gelegt. Seit etwas weniger als einem Jahr arbeiten wieder Verwaltungsmitarbeiter in dem Gebäude. Drei Jahre Planung, Erstellen von Gutachten und Machbarkeitsstudien, Bürgerbeteiligungen und Diskussion waren nötig, bis der Stadtrat im Frühjahr 2015 eine Grundsatzentscheidung zugunsten der Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes gefällt hatte. Der lange diskutierte Vorschlag eines Neubaus hatte sich ebenso wenig durchsetzen können wie die vorgeschlagene „Klima-Hülle“, ein Glasbau, der den Innenhof des Rathauses hätte überspannen sollen. Trotzdem ist die größte äußere Veränderung erst vom Rheinufer zu erkennen: Die große Freitreppe hinunter zum Adenauer Ufer, die zwar schon von Arne Jacobsen gewollt war, aber nie aktiviert wurde, wird inzwischen vor allem bei feierlichen Anlässen als repräsentativer Eingang zum Fuchs-Bau genutzt.

2023 – Günstiger Wohnraum in Weisenau & Co.
„Nie lebten mehr Menschen als heute in Mainz. Und unsere Gesellschaft wird älter und bunter. Das hat Auswirkungen auf den Bedarf an Wohnraum“, skizzierte damals, 2013, Oberbürgermeister Michael Ebling zutreffend unsere Gegenwart. Heute, zehn Jahre später, hat sich das ehemalige IBM-Gelände am Heiligkreuzweg in Weisenau zu einem belebten Stadtquartier entwickelt. Krankenpfleger, Polizisten, Busfahrer, Erzieher, Verkäufer und alle anderen, die sich trotz eines regelmäßigen Einkommens die horrenden Mieten in Mainz nur schwer leisten konnten, haben sich hier angesiedelt. Für sie hat die Stadt auf dem Heilig-Kreuz-Areal 2.500 bezahlbare Wohnungen geschaffen. Damit die auch bezahlbar blieben, haben die Bewohner auf einiges verzichtet: Badewannen, Aufzüge oder Tiefgaragen. Denn in einer Umfrage hatten die Projektpartner 2013 erhoben, welche Annehmlichkeiten für die Bürger zu Gunsten bezahlbarer Mieten von bis zu 750 Euro im Monat entbehrlich sind. Das war nur ein kleiner Ausschnitt aus jeder Menge Großprojekte in Mainz. Diese können, müssen aber nicht wie beschrieben eintreten. Für einige der Projekte, wie das ECE-Einkaufszentrum oder die nördliche Neustadt, stehen noch keine Zeitpläne fest. Für andere sind mehrere Konzepte im Gespräch. Ob also alles so kommen wird, wie beschrieben, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Fest steht, dass sich das Gesicht von Mainz verändern wird. Und Heilig- Kreuz-Areal, Rathaus, Ludwigsstraße und Co. sind nicht die einzigen Punkte im Stadtgebiet, an denen große Veränderungen anstehen: In Finthen wird ein vierter Anlauf zum Bau einer Mehrzweckhalle unternommen. Wird sie anstelle des Bürgerhauses oder in der Nähe der Römerquelle errichtet werden? Gelingt eine Finanzierung? Mombach wehrt sich gegen den Bau einer Klärschlammverbrennungsanlage im Industriegebiet: „zu groß“, argumentieren die Kritiker. Der Stadtteil sei schon genug belastet. Auch das alte Allianz- Gebäude an der Ecke Bauhofstraße / Große Bleiche solle einem Neubau weichen und früher oder später wird auch der Neubau der Stadtbibliothek wieder die Diskussion in Mainz beleben. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs … Die im Text beschriebenen Auswirkungen der Projekte beruhen allein auf der persönlichen Einschätzung des Autors. Es wird kein Anspruch auf Richtigkeit erhoben.

Zu Stadtentwicklungsprojekten werden viele Stimmen gehört. sensor sprach mit Oberbürgermeister Michael Ebling über diesen komplizierten Prozess.

Stadtentwicklung in Mainz: Dazu gehören der Stadtrat, die Ortsbeiräte und zahlreiche Bürgerbeteiligungen; das Bauamt, das Denkmalamt und das Stadtplanungsamt; GWM, MAG und Stadtwerke… Habe ich etwas vergessen?

Wenn man Stadtentwicklung umfassend begreift, gehören nahezu alle städtischen Unternehmen und Ämter, die Anteil an der Zukunftsentwicklung von Mainz haben, dazu. So zumindest verstehe ich Stadtentwicklung: als vielfältige, zentrale Aufgabe, das soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leben zu strukturieren und zukunftsfähig zu gestalten.

Sicher könnte die Verwaltung mit weniger Politik und die Bürger mit weniger Verwaltung leben…

Eine kühne Hypothese, hinter der sich die Frage nach der Funktionsfähigkeit unseres Rechtsstaates verbirgt. Ich denke, der Ist- Zustand hat sich durchaus bewährt. Die gewählte Politik gestaltet und gibt der Verwaltung Richtung vor, die Verwaltung setzt die Vorgaben in die Praxis um. Das ist teils kompliziert, aber gerade diese Komplexität trägt erheblich zur Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens bei. Richtig ist: Wir müssen uns in der verständlichen Vermittlung unserer Aufgaben und Ziele auch weiterhin richtig anstrengen.

In Mainz wird seit einiger Zeit so viel gebaut, wie lange nicht mehr, und weitere Großprojekte sind in Planung. Woran liegt das?

Mainz hat sich seit den Zerstörungen des Krieges ständig erneuert und weiterentwickelt. Es gab immer aktivere, aber auch weniger aktive Zyklen. Im Augenblick stehen vier große Projekte im Fokus: das Einkaufsquartier an der „Lu“, die Zollhafenbebauung, der Winterhafen und neue Optionen für bezahlbares Wohnen. Vielleicht entsteht Ihr Eindruck als Folge dessen, dass es uns im vergangenen Jahr gelungen ist, bei den ersten beiden Projekten den scheinbar gordischen Knoten zu lösen. Sicher spielt daneben die hohe Attraktivität der wachsenden Stadt Mainz und der damit verbundene Druck auf den Wohnungsmarkt ebenso eine Rolle, wie die stabile Mehrheit im Rat und die effektivere Steuerung und Koordination der Verwaltung und der städtischen Beteiligungsgesellschaften.

Gerne wird von den „Bausünden der Vergangenheit“ gesprochen. Können wir sicher sein, keine ähnlichen „Sünden“ zu begehen?

Niemand weiß, wie künftige Generationen unsere zeitgenössische Architektur bewerten werden. Wir müssen uns heute mit der Vergangenheit auseinandersetzen. Wie weit hier die Meinungen auseinander gehen können, zeigt die aktuelle Diskussion um die Zukunft unseres denkmalgeschützten Rathauses.

Bürgerbeteiligungen werden immer populärer. Manchmal gewinnt man den Eindruck, die gewählten Repräsentanten versuchen, sich der Verantwortung zu entziehen…

Bürgerbeteiligung ist ein politisches Gebot der Stunde – und ich finde auch zu Recht. Wir haben viele positive Erfahrungen damit gemacht, die Bürgerinnen und Bürger stärker als früher in Entscheidungsprozesse einzubinden. Aber es stimmt: am Ende darf sich die Politik nicht verstecken, sondern muss die Verantwortung übernehmen, die unsere repräsentative Demokratie ihr zuweist. In Mainz funktioniert das gut, das haben zuletzt der Beschluss zur Planreife im Zollhafen und der Aufstellungsbeschluss für das ECE-Projekt bewiesen.

Nicht selten entsteht der Eindruck, dass auch sehr engagierte Bürger zu wenig über die Zuständigkeiten und Arbeitsabläufe der öffentlichen Hand wissen und ihre Interessen deshalb nicht effektiv vertreten können…

Wer sich aktiv in Entscheidungsprozesse einbringen möchte, sollte sich so gut wie möglich informieren und wissen, über was er bzw. sie spricht. Das kostet Zeit und es erfordert die Bereitschaft, sich ernsthaft mit den Argumenten Anderer auseinanderzusetzen und sich klarzumachen, dass am Ende demokratischer Prozesse selten die reine Lehre, sondern mehrheitsfähige Kompromisse stehen. Die sind dann auch von allen Beteiligten zu akzeptieren.