Direkt zum Inhalt wechseln
| 2

Spritzorgien in rheinhessischen Weinbergen?

An Pfingsten besuchte ich drei Tage lang meine ehemalige Heimat Rheinhessen. Und bekam im wahrsten Sinne keine Luft mehr. Von all dem giftigen Sprühgeruch, welcher die ganzen drei Tage und Nächte lang schwer über Rheinhessen schwebte. In jedem Hohlweg, im Dorf selbst, und überall in der wundervollen Natur. Zuvor war ich ebenso schockiert an der Mosel für ein paar Tage zu Besuch. Dort war dies ebenso vehement. Man sprüht dort grobflächig sogar mit Hubschraubern die giftigen Pestizide über Fauna, Flora und Mensch aus. Und ebenso über den ganzen Tourismus dort, mit all ihren Wohnmobilen.

Bei mir gingen an Pfingsten alle Alarmglocken erschütternd an. Denn ich habe als Jugendlicher in Rheinhessen selbst schwere Schäden durch das Spritzen im eigenen Weingut erfahren, an denen ich noch bis heute mit meinen Atemwegen und Allergien ausheilen darf. Ich wuchs mitten in dieser fast ausschließlichen Monokultur des Weinackerbaus als Kind im Weingut und der Bäckerei meines Großvaters auf, direkt am alten Rathaus in Alsheim. Mein Vater war zudem Weinküfermeister in bekannten rheinhessischen Weingütern. Ich saß in meiner Jugendzeit oft auf dem Traktor meines Großvaters und spritzte jede zweite Woche unsere zahlreichen Weinberge. Mein Großvater hatte einen besonderen Giftschrank mit besonderen Waagen und er setzte dafür die „Giftbrühe“ für mich immer vorab an. In den 70er und 80er Jahren hatte man keinen besonderen Schutz der Atemwege. Man zog lediglich einen gelben Regenmantel an. Ich fuhr mit 15 Jahren oft im Sommer oberkörperfrei auf dem Traktor und war weiß überzogen vom Feinstaub der Gifte. Ich wusch mich danach am „Weißmühlbrunnen“ vor dem Dorf ab. Auch damals war die Luft überall hochschwanger von den giftigen Partikeln, den ganzen Sommer über bis zur Weinlese im Herbst.

Das war „halt damals so“. Jeder spitzte, um Schädlinge, Pilze, Bakterien und alle Kleinstlebewesen in allen Weinbergen stets zu vernichten. Keiner hinterfragte dies. Heute ist es nicht anders. Nur gefühlt stärker, vehementer und häufiger. Ich bin heute ein starkes Barometer dafür und fühlte das ganze Pfingsten über bei jedem kleinen Windhauch schon den Geschmack der „Spitzbrühe“ auf meinen Lippen. Und ich sah tatsächlich Weinbauern überall spitzen, inmitten von Spaziergängern, großen Hoffesten und während allen Tageszeiten. Ich sprach mit Menschen an der Mosel und mit Menschen in Rheinhessen. Und erfuhr, dass die Häufigkeiten der Spritzeiten und ihrer zeitlichen Dichte immer mehr zunehmen seit Jahren. Ebenso aber auch Atemwegserkrankungen, Lungenkrebs und schwere Allergien in den Regionen.

Ich sehe und beobachte. Und zähle nur Eins plus Eins zusammen. Könnte es eventuell gar sein, dass sich kein Mensch in Rheinhessen und an der Mosel wirklich bewusst ist, dass das verstärkte immense Sprühen täglich von Giftstoffen über ganz Rheinhessen und die Mosel, welche lebendige Organismen sofort abtöten, auch irgendwelche direkte Auswirkungen auf die Gesundheit der Bewohner, Besucher und all die Touristen haben könnte?

Ich bin etwas sprachlos. Doch nicht geruchlos. Und eigentlich noch ganz bei Sinnen. Fällt nur mir das auf? Habe nur ich, der heute an der Lahn inmitten von Wald am Fluss wohnt, eine starke Sensibilität dafür? Wer prüft dies überall auf JEDEM Weinberg? Wer setzt dies mit Atemswegserkrankungen wirklich in Bezug? Wer schult und kontrolliert vehement alle Winzer? Gibt es an jedem Weinberg eindeutige Messstellen täglich? Wo liegen die Belastungsgrenzen? Wer ist verantwortlich dafür? Der Winzer selbst? Die kontrollierende Behörde ist der sogenannte „Pflanzenschutz“. Doch wer schützt alle Einwohner von Rheinhessen vor den vielleicht wirklich übergiftigen Exzess-Orgien der neuen Weinbauer-Generation? Gibt es dafür eine „Menschenschutz“-Behörde?

Ich möchte nun einfach nur hinterfragen und sensibilisieren. Vielleicht liege ich ganz falsch damit. Und es ist einfach vollkommen irre, diesen weißen Feinstaub überall in der Luft in Rheinhessen und an der Mosel von April bis August, der ja zur direkten Tötung und Vernichtung vieler Kleinstlebewesen führt, in Bezug zum Menschen zu setzen. Ich bin ja nur Künstler. Und noch dazu im Wald-Exil. Ich appelliere jedoch an alle Winzer und Bewohner in diesen Regionen, dies selbst bei ihrem Spaziergang durch Rheinhessen und an der Mosel einmal zu erspüren. Und einfach alles einmal bewusst zu hinterfragen. Zu prüfen. Sich selbst. Die Luft. Und ihren Atem. Ich kann mich auch vollkommen irren. Viel zu sensibel sein, wer weiß da schon … Bis jetzt nur der Pflanzenschutz! Und all die Winzer. Denn nur sie wissen, was sie tun.

Ein Gastbeitrag von Yvelle Gabriel (Ex-Rheinhesse und Künstler)

www.gabriel.international

Foto: SWR

Infos unter https://www.pflanzenschutz.rlp.de |

https://www.pflanzenschutz.rlp.de/Pflanzenschutz/Aktuell/2024-16-RebschutzhinweisRheinhessen-Nahe-Mittelrhein28052024

 

Leserbrief zum Thema

Meine Familie bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb und ein Weingut im Herzen Rheinhessen und ich bin selbst ausgebildete Diplom-Agrarbiologin mit Schwerpunkt Pflanzenschutz. Meine Diplomarbeit entstand in Zusammenarbeit mit einem großen Pflanzenschutzmittelhersteller in Deutschland. Zusätzlich habe ich mich als Agrarbetriebsfachwirtin weiterqualifiziert. Warum erzähle ich Ihnen das? Ich will mich damit nicht rühmen, sondern Ihnen nur klar machen, dass ich vom „Fach“ bin und Ihren Gastbeitrag fachlich kritisch gelesen und beurteilt habe.

Während ich nun meinen Kommentar zu Ihrem Gastbeitrag schreibe, sitze ich auf dem Traktor, denn gerade muss mein Mann wieder mit Nachschub an Wasser und Pflanzenschutzmitteln versorgt werden, damit die „Spritzorgie im Weinberg“ ohne Zeitverlust weitergehen kann. Den „giftigen Spritzgeruch“ kann ich nicht wahrnehmen, oder sollen meine Sinne schon so vernebelt sein?

Schon längst werden „giftige Pestizide“ nicht mehr „einfach so über Fauna, Flora und Menschen“ ausgebracht, vielmehr erfolgt eine Pflanzenschutzmaßnahme in Abhängigkeit von Befallsdruck im Weinberg, der Wirkungsdauer der eingesetzten Fungizide und den gegebenen Witterungsbedingungen. Vorrangiges Ziel ist es, unsere Ernte zu schützen und gesundes Erntegut zu produzieren. Jede Pflanzenschutzmaßnahme kostet Geld und erfordert jede Menge Zeit und Einsatz vom Betriebsleiter und ist nicht immer mit Spaß verbunden, wie dies bei einer „Orgie“ vielleicht sein sollte, sondern mit großer Anspannung, Stress und wenig Schlaf verbunden.

Es stimmt, in der heutigen Zeit werden synthetische Fungizide zur Bekämpfung von Plasmopara viticola (Falscher  Mehltaus), Uncinula necator (Echter Mehltau) und im späteren Verlauf gegen Botrytis cinerea (Schimmelpilze) verwendet und etwa im Abstand von 8 bis 10 Tagen ausgebracht. Gleichzeitig ist der Einsatz von Kontaktmitteln wie Schwefel, Kupfer, Backpulver oder verschiedenen Gesteinsmehlpräparaten möglich, um die Pilzsporen abzutöten. Ziel aller Maßnahmen ist es jedoch die Pilzsporen zu bekämpfen und nicht gänzlich die ganze Flora und Fauna zu „vergiften“, denn die Wirkungsmechanismen dieser Präparate greifen gezielt in den Lebenszyklus des Pilzes ein. Tatsächlich sind die Spitzabstände zum Teil kurz, aber gerade im ökologischen Anbau, denen nur Kontaktmittel zur Verfügung stehen, muss nach einem Regenguss erneut gespritzt werden, da die Mittel zum Teil abgewaschen werden. Ebenso sind in den letzten Jahren die Dosierungen deutlich zurückgefahren worden und die Auflagen von Seiten des Ministeriums deutlich erhöht worden. Bei der Ausbringung der Pflanzenschutzmittel verlassen wir Winzer uns zu einem auf unseren Sach- und Fachverstand, auf Erfahrungen und noch viel mehr auf die Beratungen von offiziellen Stellen. Ebenso unterliegen unsere Pflanzenschutzgeräte einem „Spritzen-TÜV“ der zweijährig aufgefrischt werden muss und jeder Anwender besitzt einen Sachkundenachweis, der ebenso alle 3 Jahre erneuert werden muss. In welchem Berufsstand gibt es das noch? Ohne Sachkundenachweis kein Pflanzenschutz! So wäre es heute undenkbar, einen 15-Jährigen spritzen zu lassen, denn erst mit der Berufsausbildung (Lehre oder Studium) erwirbt man die Sachkunden. Wenn Sie damals als 15-Jähriger schlechte Erfahrungen gemacht haben, dann tut mir dies sehr leid. „Das war damals so“, auch mein Schwiegervater und Vater mussten unter diesen Bedienungen arbeiten, weil die Väter aus dem Krieg nicht heimkehrten oder schwer verletzt waren. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich seit dieser Zeit viel verändert hat. Heute geht die Entwicklung zu Kabinenschleppern, abdriftmindernden Düsen, Recycling- und Tunnelspritzen, so dass die „Spritznebel“ über Rheinhessen der Vergangenheit angehören. Tatsächlich wurden früher auch giftige Insektizide eingesetzt, z.B. Parathion besser bekannt als E605, um den Traubenwickler zu bekämpfen. E 605 war aufgrund seiner Giftigkeit durchaus als „Schwiegermuttergift“ für einige Morde und Suizide verantwortlich, weil es eben äußerst toxisch gegen Insekten und Warmblüter wirkte, in dem es die Acetylcholinesterase irreversible blockierte. Aber genau aus diesem Grund ist das Insektizide seit 2002 verboten und der Traubenwickler wird erfolgreich durch eine biotechnologische Maßnahme bekämpft, nämlich durch den Einsatz von Pheromonen. Werden heute Pflanzenschutzmittel zugelassen, unterliegt dies strengen Auflagen, denn die Zulassung ist ein zweistufiges Verfahren. Die Wirkstoffe werden von der EU-Kommission genehmigt, nachdem unzählige Unterlagen zur Wirkungsweise und Toxizität vorliegen. Oft dauert der Genehmigungsprozess viele Jahre. Anschließend werden diese genehmigten Wirkstoffe dann national zugelassen vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Gerade in Deutschland gelten die höchsten Vorschriften im europäischen Raum und Verbrauchersicherheit seht immer im Vordergrund.

Sie sehen wir, Landwirte und Winzer, machen schon lange nicht mehr, was wir wollen. Auch wir haben heute ein Pflanzenschutzmittellager nach Vorgaben der ADD und dies ist nicht mit dem „Giftschrank“ und der „Giftküche“ Ihres Großvaters vergleichbar. Gespritzt wird zum Schutz unseres Erntegutes und nicht um „Spaziergänger zu ärgern“ oder „Hoffeste zu stören“, gespritzt wird, wenn es die Situation erfordert und manchmal auch an Sonntagen oder rund um die Uhr. Unsere Kollegen an der Mosel greifen dazu auch oft auf den Einsatz von Hubschraubern zurück, wenn dies die Situation erfordert.

Sie sehen, ich habe mir sehr viel Zeit genommen Ihnen zu antworten und bis zum Schluss bin ich sprachlos und wütend, welche Falschaussagen Sie treffen und verbreiten, und dass obwohl Sie doch im ländlichen Raum aufgewachsen sind. Ich bin ebenso wütend auf die Redaktion des Sensor-Magazins, die so einen Beitrag ohne Sachverstand abdruckt, aber es ist ja auch zu einfach, die Landwirte und Winzer an den Pranger zu stellen. Zum Schluss empfehle ich Ihnen zukünftig in Ihrem „Wald-Exil“ zu bleiben und auf Spaziergänge durch die rheinhessischen Weinberge zu verzichten oder aber gezielt das Gespräch mit Winzern (auch in Ihrer Familie) und Sachverständigen zu suchen, um Ihre Ängste und Sorgen abzubauen. Ach übrigens, haben Sie schon einmal bedacht, dass auch Flugzeuge über Ihr „Wald-Exil“ fliegen, Kerosin und Feinstaub ausstoßen, und damit Ihre heile Welt vielleicht „vergiften“ könnten, um mit ihren Worten zu sprechen.

Vielleicht nehmen Sie sich die Zeit, über meine Worte nachzudenken, es würde mich sehr freuen.

Hochachtungsvoll, Melanie E.

Volksinitiative: Kein Gift in Naturschutzgebiete

49 verschiedene Gifte auf der Vegetation in und um Naturschutzgebieten im Landkreis Mainz-Bingen, im Schnitt 11 pro Probe. Das ist das Ergebnis einer am 28. Mai in Ingelheim vorgestellten Pilotstudie der RPTU Kaiserslautern-Landau zusammen mit dem Naturschutzverein ANUK e.V.

Die höchste gemessene Konzentration war 7,3 mg/kg des Wirkstoffs Folpet im Juli 2023 auf dem Westerberg bei Ingelheim. Eine Raumanalyse zeigt keinen Unterschied der Pestizidbelastung in und außerhalb der Naturschutzgebiete. Art. 69 der Landesverfassung verpflichtet: „Der Schutz von Natur und Umwelt als Grundlage gegenwärtigen und künftigen Lebens ist Pflicht des Landes, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie aller Menschen.“

„Die Landesregierung scheint hoffnungslos überfordert zu sein, ihre Verpflichtung aus Art. 69 zu erfüllen“ so Matthias Reimann, 2. Vorsitzender von ANUK e.V. Eine Volksinitiative, die von 30.000 Menschen unterzeichnet ist kann den Landtag direkt beauftragen, sich mit der Pestizidreduktion zu befassen. Auch Frau Theresa Pfeifer vom Bauern- und Winzerverband Süd hat am 28. Mai die Notwendigkeit einer Pestizidreduktion eingeräumt. Franz Botens, 1. Vorsitzender von ANUK e.V. schließt sich dem gestrigen Appell des Imkerverbandes Rheinland-Pfalz an und lädt alle Naturschutzverbände und anderen gesellschaftlichen Kräfte dazu ein, die Volksinitiative „Kein Gift in Naturschutzgebiete“ zu unterstützen: „Ziel ist eine strukturierte Pestizidreduktion und endlich auch Planungssicherheit für die Landwirtschaft. Wir Bürgerinnen und Bürger von Rheinland-Pfalz können das Heft selbst in die Hand nehmen. Wir alle zusammen haben die Macht ein Thema zu setzen und auch im Volksentscheid durchzusetzen“, so Botens.

https://www.anuk.info/index.php/presse-infos/nachrichten/pestizide-im-bienenbrot

https://www.anuk.info/images/images/nachrichten/2024-05-28_einladung_pestizide2.pdf

https://www.imkerverband-rlp.de/umweltschutz-ade-ministerium-missachtet-europarecht-gefahr-fuer-unsere-naturschutzgebiete/

Wirkstoffliste, Standortkarte und Presseinfo stehen zum download auf anuk.info

2 responses to “Spritzorgien in rheinhessischen Weinbergen?

  1. Ich weiß nicht, warum ich diese Mail bekam. Ich bin nicht Abonnentin Ihres Magazins und habe keine Genehmigung meiner Mail-Adresse erteilt.
    Ich finde das sehr unschön und bitte umgehend mich aus Ihrem Verteiler zu streichen.
    Danke!

  2. Sehr geehrter Herr Kehl,
    mit großer Verwunderung habe ich Ihre E-Mail im Postfach der IG Gartenführer Rheinhessen entdeckt, für die ich verantwortlich bin. Einen Zusammenhang zwischen Ihrem Gastbeitrag im Sensor-Magazin zu den Gärten bzw. den Gartenführern in Rheinhessen kann ich allerdings nicht erkennen.
    Nichtsdestotrotz habe ich mir die Zeit genommen, Ihre E-Mail zu lesen und ich muss Ihnen sagen, dass ich, sowohl über Ihren fehlenden Sachverstand zum Thema Pflanzenschutz, der zu Falschaussagen führt, als auch über Ihrer Wortwahl mehr als schockiert bin, die ich jedoch im Rahmen der künstlerischen Freiheit nur belächeln kann.
    Meine Familie bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb und ein Weingut im Herzen Rheinhessen und ich bin selbst ausgebildete Diplom-Agrarbiologin mit Schwerpunkt Pflanzenschutz. Meine Diplomarbeit entstand in Zusammenarbeit mit einem großen Pflanzenschutzmittelhersteller in Deutschland. Zusätzlich habe ich mich als Agrarbetriebsfachwirtin weiterqualifiziert. Warum erzähle ich Ihnen das? Ich will mich damit nicht rühmen, sondern Ihnen nur klar machen, dass ich vom „Fach“ bin und Ihren Gastbeitrag fachlich kritisch gelesen und beurteilt habe.
    Während ich nun meinen Kommentar zu Ihrem Gastbeitrag schreibe, sitze ich auf dem Traktor, denn gerade muss mein Mann wieder mit Nachschub an Wasser und Pflanzenschutzmitteln versorgt werden, damit die „Spritzorgie im Weinberg“ ohne Zeitverlust weitergehen kann. Den „giftigen Spritzgeruch“ kann ich nicht wahrnehmen, oder sollen meine Sinne schon so vernebelt sein?
    Schon längst werden „giftige Pestizide“ nicht mehr „einfach so über Fauna, Flora und Menschen“ ausgebracht, vielmehr erfolgt eine Pflanzenschutzmaßnahme in Abhängigkeit von Befallsdruck im Weinberg, der Wirkungsdauer der eingesetzten Fungizide und den gegebenen Witterungsbedingungen. Vorrangiges Ziel ist es, unsere Ernte zu schützen und gesundes Erntegut zu produzieren. Jede Pflanzenschutzmaßnahme kostet Geld und erfordert jede Menge Zeit und Einsatz vom Betriebsleiter und ist nicht immer mit Spaß verbunden, wie dies bei einer „Orgie“ vielleicht sein sollte, sondern mit großer Anspannung, Stress und wenig Schlaf verbunden.
    Es stimmt, in der heutigen Zeit werden synthetische Fungizide zur Bekämpfung von Plasmopara viticola (Falscher Mehltaus), Uncinula necator (Echter Mehltau) und im späteren Verlauf gegen Botrytis cinerea (Schimmelpilze) verwendet und etwa im Abstand von 8 bis 10 Tagen ausgebracht. Gleichzeitig ist der Einsatz von Kontaktmitteln wie Schwefel, Kupfer, Backpulver oder verschiedenen Gesteinsmehlpräparaten möglich, um die Pilzsporen abzutöten. Ziel aller Maßnahmen ist es jedoch die Pilzsporen zu bekämpfen und nicht gänzlich die ganze Flora und Fauna zu „vergiften“, denn die Wirkungsmechanismen dieser Präparate greifen gezielt in den Lebenszyklus des Pilzes ein. Tatsächlich sind die Spitzabstände zum Teil kurz, aber gerade im ökologischen Anbau, denen nur Kontaktmittel zur Verfügung stehen, muss nach einem Regenguss erneut gespritzt werden, da die Mittel zum Teil abgewaschen werden. Ebenso sind in den letzten Jahren die Dosierungen deutlich zurückgefahren worden und die Auflagen von Seiten des Ministeriums deutlich erhöht worden. Bei der Ausbringung der Pflanzenschutzmittel verlassen wir Winzer uns zu einem auf unseren Sach- und Fachverstand, auf Erfahrungen und noch viel mehr auf die Beratungen von offiziellen Stellen. Ebenso unterliegen unsere Pflanzenschutzgeräte einem „Spritzen-TÜV“ der zweijährig aufgefrischt werden muss und jeder Anwender besitzt einen Sachkundenachweis, der ebenso alle 3 Jahre erneuert werden muss. In welchem Berufsstand gibt es das noch? Ohne Sachkundenachweis kein Pflanzenschutz! So wäre es heute undenkbar, einen 15-Jährigen spritzen zu lassen, denn erst mit der Berufsausbildung (Lehre oder Studium) erwirbt man die Sachkunden. Wenn Sie damals als 15-Jähriger schlechte Erfahrungen gemacht haben, dann tut mir dies sehr leid. „Das war damals so“, auch mein Schwiegervater und Vater mussten unter diesen Bedienungen arbeiten, weil die Väter aus dem Krieg nicht heimkehrten oder schwer verletzt waren. Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich seit dieser Zeit viel verändert hat. Heute geht die Entwicklung zu Kabinenschleppern, abdriftmindernden Düsen, Recycling- und Tunnelspritzen, so dass die „Spritznebel“ über Rheinhessen der Vergangenheit angehören. Tatsächlich wurden früher auch giftige Insektizide eingesetzt, z.B. Parathion besser bekannt als E605, um den Traubenwickler zu bekämpfen. E 605 war aufgrund seiner Giftigkeit durchaus als „Schwiegermuttergift“ für einige Morde und Suizide verantwortlich, weil es eben äußerst toxisch gegen Insekten und Warmblüter wirkte, in dem es die Acetylcholinesterase irreversible blockierte. Aber genau aus diesem Grund ist das Insektizide seit 2002 verboten und der Traubenwickler wird erfolgreich durch eine biotechnologische Maßnahme bekämpft, nämlich durch den Einsatz von Pheromonen. Werden heute Pflanzenschutzmittel zugelassen, unterliegt dies strengen Auflagen, denn die Zulassung ist ein zweistufiges Verfahren. Die Wirkstoffe werden von der EU-Kommission genehmigt, nachdem unzählige Unterlagen zur Wirkungsweise und Toxizität vorliegen. Oft dauert der Genehmigungsprozess viele Jahre. Anschließend werden diese genehmigten Wirkstoffe dann national zugelassen vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Gerade in Deutschland gelten die höchsten Vorschriften im europäischen Raum und Verbrauchersicherheit seht immer im Vordergrund.
    Sie sehen wir, Landwirte und Winzer, machen schon lange nicht mehr, was wir wollen. Auch wir haben heute ein Pflanzenschutzmittellager nach Vorgaben der ADD und dies ist nicht mit dem „Giftschrank“ und der „Giftküche“ Ihres Großvaters vergleichbar. Gespritzt wird zum Schutz unseres Erntegutes und nicht um „Spaziergänger zu ärgern“ oder „Hoffeste zu stören“, gespritzt wird, wenn es die Situation erfordert und manchmal auch an Sonntagen oder rund um die Uhr. Unsere Kollegen an der Mosel greifen dazu auch oft auf den Einsatz von Hubschraubern zurück, wenn dies die Situation erfordert.
    Sie sehen, ich habe mir sehr viel Zeit genommen Ihnen zu antworten und bis zum Schluss bin ich sprachlos und wütend, welche Falschaussagen Sie treffen und verbreiten, und dass obwohl Sie doch im ländlichen Raum aufgewachsen sind. Ich bin ebenso wütend auf die Redaktion des Sensor-Magazins, die so einen Beitrag ohne Sachverstand abdruckt, aber es ist ja auch zu einfach, die Landwirte und Winzer an den Pranger zu stellen. Zum Schluss empfehle ich Ihnen zukünftig in Ihrem „Wald-Exil“ zu bleiben und auf Spaziergänge durch die rheinhessischen Weinberge zu verzichten oder aber gezielt das Gespräch mit Winzern (auch in Ihrer Familie) und Sachverständigen zu suchen, um Ihre Ängste und Sorgen abzubauen. Ach übrigens, haben Sie schon einmal bedacht, dass auch Flugzeuge über Ihr „Wald-Exil“ fliegen, Kerosin und Feinstaub ausstoßen, und damit Ihre heile Welt vielleicht „vergiften“ könnten, um mit ihren Worten zu sprechen.
    Vielleicht nehmen Sie sich die Zeit, über meine Worte nachzudenken, es würde mich sehr freuen.

    Hochachtungsvoll
    Melanie Ebling

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert