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So wohnt Mainz: Familiäre Gemeinschaft statt Verzicht

Text: Katharina Bosliakov
Fotos: Frauke Bönsch

Fast erwartet man, dass Peter Lustig oder Fritz Fuchs aus dem Bauwagen herauskommen und das Intro von „Löwenzahn“ ertönt. Doch das hier ist keine Fernsehsendung und unser Gastgeber ist eine Gastgeberin: Merle Staab, 25 Jahre alt. In der Nähe der Zentralmensa auf dem Campus biegt man in einen schmalen Pfad, vorbei am Haus Mainusch, und landet auf einem Bauwagengelände. Merles Zuhause ist dunkelgrün gestrichen, die Fensterrahmen orange. Ein langes Ofenrohr zeigt aus dem Bauwagen in die Luft. Wie es wohl dort drinnen aussieht? Wir klettern auf die Stufe und klopfen an.

Spannendes Bauwagenleben

Fröhlich und locker heißt Merle uns in ihrem Reich willkommen: fünf mal zweieinhalb Meter, ausgestattet mit Hochbett, Schränken, Regalen, Esstisch und Stühlen, Mini-Küche und einer Menge Kram. Bunte Kleinigkeiten in jeder Ecke und viele Bilder, die bis zur gewölbten Wagendecke reichen. „Dass ich relativ wenig Platz habe, liegt ja nicht am Bauwagenleben selbst, sondern an diesem Wagen. Meiner ist der zweitkleinste hier auf dem Platz“, sagt Merle. Seit etwa viereinhalb Jahren wohnt sie hier. Warum eigentlich? „Gleich die schwierigste Frage zu Beginn!“, lacht sie. „Also, als Kind habe ich immer Peter Lustig geguckt. Meine Mutter sagt, dass es daran liegt, aber das glaube ich nicht. Ich fand das einfach schon immer spannend.“ In ihrer Teenie-Zeit begann Merle sich mit Musik auseinanderzusetzen, vor allem mit Hardcore-Punk. Auf einem Bauwagenplatz in Köln fand einmal ein Konzert statt. „Das würde ich auch gerne mal machen“, dachte Merle und setzte ihren Plan ein paar Jahre später in die Tat um. Sie zog aus dem Ruhrgebiet nach Wiesbaden, später nach Mainz. Im Haus Mainusch, einem autonomen Kulturzentrum auf dem Campus, veranstaltete sie Konzerte und erfuhr, dass zu diesem Haus auch ein Bauwagenplatz gehört. „Irgendwann wurde ein Platz frei und ich habe gesagt: Hier bin ich“, erzählt sie.

Familiärer als eine WG

Während wir im Bauwagen sitzen, probt eine Band im Garten des Hauses Mainusch für ihren Auftritt. Merle wippt mit ihren Füßen im Takt dazu. „Das ist das Schöne: Wenn man allein sein will, kann man in seinen Wagen gehen. Aber gleichzeitig hat man auch eine ganz enge Gemeinschaft mit sehr netten Leuten. Wir unternehmen viel zusammen, das ist mein Freundeskreis. Es ist etwas ganz Besonderes. Und obwohl wir nicht wirklich zusammenwohnen, ist es familiärer als in einer WG“, berichtet Merle.
Die Gemeinschaft besteht aus etwa 16 Bewohnern und ihren Gästen. Über Außenleitungen werden die 20 Wagen mit Strom versorgt. Merle kocht auf einem kleinen Gasherd und hat einen Wasserkanister in der „Küche“. Viele denken: Hier zu leben heißt auch, verzichten zu müssen. Merle sieht das anders: „In meinen Augen ist das kein wirklicher Verzicht. Sondern eher ein bewusster Umgang mit Energie. Ich bin ja deswegen kein Öko!“ Im Toilettenwagen gibt es fließendes Wasser und sogar eine Waschmaschine. Geheizt wird mit einem Holzofen. Pro Bauwagen fallen im Monat 60 Euro Miete an.
Viele Leute fänden das Leben im Bauwagen interessant, könnten sich das aber selbst nicht vorstellen. Sie denken, es gebe viel auszuhalten – „aber das stimmt nicht. Es ist klein, spartanisch. Aber keineswegs armselig“, sagt die Musikliebhaberin. Und gemütlich: der Möbel-Mix, die vielen Habseligkeiten, das schummrige Licht, das sich seinen Weg durch das wuchernde Grün in den Bauwagen bahnt. „Dass ich hier wohne, hat keine finanziellen oder politischen Gründe – es ist einfach schön. Einen gewissen Hang zur Natur braucht man aber schon.“ Natürlich hat man auch Kontakt zu anderen Bauwagenplätzen im Land, man ist vernetzt. Auf die Frage, ob sie Bauwagenbewohner beschreiben könne, sagt Merle: „Es ist schon ein bestimmter Schlag Menschen, aber wir sind trotzdem alle unterschiedlich. Nicht alle sind Ökos, Hippies oder Punks. Es gibt Schüler, Studenten und sogar Professoren, die in Bauwagen wohnen. Oder Rentner. Es gibt alles.“
Obwohl Merle diesen Ort liebt und ihre „Familie“ hier hat, wird sie wegziehen. In einem Jahr beendet sie ihr Volontariat zur Requisiteurin am Mainzer Staatstheater und plant mit ihrem Freund Albert zusammen zu ziehen. Am Bodensee. „Erstmal wohl in eine Wohnung. Aber mein Traum ist ein Haus aus Baucontainern!“, schwärmt sie. Wenn es eines Tages so weit ist, würden wir sie gerne wieder besuchen kommen.