von Monica Bege, Fotos: Jana Kay
Hohe Räume wären gut, Türen und schlanke Fenster sollten über die Norm hinaus ragen – Marcus Paul Landenberger brachte diese Inspirationen von einer Frankreichreise mit. Gedacht waren sie für den eingeschossigen Nachkriegswiederaufbau in der Adam-Karillon-Straße 4, der wie ein hässliches Entlein in der hoch aufschießenden Straßenfront kauerte.
Zur Jahrtausendwende ließ Landenberger zusammen mit zwei jungen Architekten daraus einen vierstöckigen Schwan mit Dachterrassen-Haube emporwachsen. Das innenliegende Treppenhaus, ein hoher Rechtkant aus Sichtbeton, durchzieht die quadratischen Wohnungen mittig. Es ist tragendes Element und die Geschossdecken hängen wie waagrechte Äste daran. Der Bauherr bezog das Dachgeschoss und gärtnert fortan urban unter freiem Himmel.
Konzentration auf das Wesentliche
Wohnen und Essen zur Straße hin, das Schlafzimmer geht zum Hinterhof. Gemein ist beiden Bereichen ein auffällig spartanischer Einrichtungsstil. Wenig Mobiliar, nichts liegt herrenlos herum. Aufräum-Sucht, verkrampfter Purismus, Möbelallergie? Nein. Das sei nicht der Grund. „Es ist eher erblich bedingt“, lacht Landenberger. „Meine Mutter wohnt ähnlich reduziert.“ Aber der Mann hat, was er wirklich braucht. Mit Blick auf die beiden Edelstahl-Küchenelemente wird klar, wo hier der Hase in der Pfefferrahmsoße schmort. „Ich koche viel und am liebsten zusammen mit Freunden“, gesteht er. Dass seine drahtige Figur keine Rückschlüsse auf kulinarische Genüsse ziehen lässt, begründet er mit seiner Vorliebe für gute Qualität statt tellerfüllender Masse. Den Wein zur Speise liefert er gleich selbst mit – aus dem eigenen Gewölbekeller. Bis in die zwanziger Jahre wurde hier Wein hergestellt. Unbeschadet vom Kriegsbombardement dümpelte der Keller als Gerümpellager und Partylocation vor sich hin, bis Landenberger ihn seiner ursprünglichen Bestimmung zurückführte.
2 Lagen, 3 Trauben, 4 Weine
Eigentlich sollte Marcus Landenberger den familiengeführten Mainzer Tabakwarengroßhandel in vierter Generation über die Schwelle des 100-jährigen Bestehens führen – hätte die dritte Generation das Unternehmen nicht verkauft. „Das Leben ist ein dynamischer Prozess. So war für mich der Weg als Winzer frei“, reduziert der gelernte Großhandelskaufmann die Turbulenzen der letzen Jahre auf ihren positiven Part. So verwegen er mit zum Zopf gebundenem Haar, Ohrring und Kinnbärtchen wirkt, seine Entscheidung traf er wohlüberlegt. Der erste Weinjahrgang gor vor fast einem Vierteljahrhundert im Keller seiner Großeltern. Im Glasballon. Es folgten Barrique- und Edelstahltanks. Seine Kellertechnik komplettierte er Jahr um Jahr. Das Wissen um Weinberg und Keller vermittelte ihm ein befreundeter Winzer, zahlreiche Fachbücher und erfolgreiches Learning by Doing. Die heute von ihm gepachteten Weinberge in Zornheim und Nackenheim umfassen einen Hektar. Bevor Riesling, Sauvignon Blanc und Spätburgunder in der Adam-Karrillon-Straße dann zu vier unterschiedlichen Weinen vergären, stehen Handund Laufarbeit auf dem Programm. „Die Terrassen im Berg machen den Einsatz des Vollernters unmöglich“, bedauert der 46-Jährige. In großen Bütten fährt er die handverlesenen Trauben mit einem Transporter in die Innenstadt. Dort geht es eimerweise in Hinterhof oder Keller. Ohne die Hilfe von Freunden und Bekannten ginge das nicht.
Kontrolliertes Nichtstun
Er ist der einzige Winzer mit Verarbeitung in der Innenstadt und möglicherweise sogar ein rheinhessisches Unikat. Seine Weine gibt’s nur im kleinen Hofladen, der werktags ab 17 Uhr für zwei Stunden öffnet, denn das eigentliche Geld verdient Landenberger in einem Alzeyer Weinbaubetrieb. Als Nebenerwerbswinzer ist es ihm möglich, experimentell, ertragsreduziert und unkonventionell zu arbeiten – fernab vom Druck großer Flächen und kleiner Zeitfenster. „Oft ist es auch nur kontrolliertes Nichtstun“, gesteht er grinsend ein. Man müsse nur zum richtigen Zeitpunkt die richtige Entscheidung treffen. „Die Weine werden gebietstypischer, vielleicht auch ein wenig anstrengender. Spontangärungen sind immer spannender, dauern aber wesentlich länger“, erklärt er. So liegt sein Roter statt einiger Wochen bis zu einem Jahr in der Maische. „Passt man da nicht auf, kann das tierisch in die Hose gehen“, räumt er ein. Doch das Endergebnis lässt sich sehen: ein zackiger Tropfen, kräftig und mit Kanten. Die Weißen baut er gerne saftig und fruchtbetont aus. „Durch den Wein habe ich viele wertvolle Menschen kennengelernt, denen ich in meinem ersten Leben nie begegnet wäre“, sagt Landenberger. „Sie kamen als Gast zur Weinprobe und gingen als Freunde. Man trifft sich auf einer gemeinsamen Basis.“
www.weingut-landenberger.de