von Ulla Grall
Fotos: Frauke Bönsch
„Leider kann ich Ihnen überhaupt nichts anbieten.“ Die alte Dame im Rollstuhl zuckt bedauernd mit den Schultern. Elisabeth Missbach lebt seit einem Jahr im Seniorenzentrum „Jockel Fuchs“ in Mainz-Gonsenheim. Sie bewohnt ein Einzelzimmer in der zweiten Etage. „In Indien“, sagt sie scherzhaft: „Am Ende des Ganges“, und lacht, „ich bin hier Mitglied im Club der Neunzigjährigen. Und ich kann es nicht leiden, wenn nur noch gejammert wird. Man muss sich in die Umstände schicken.“ Bis vor einem Jahr lebte sie in ihrer eigenen Wohnung in Gonsenheim. Obwohl sie bereits auf den Rollator angewiesen war, versorgte sie ihren Haushalt noch weitgehend selbst. „Seit das Knie kaputt ging, sitze ich im Rollstuhl.“ Frau Missbach freut sich über Besuch, der für sie eine Abwechslung bedeutet. Aber langweilig sei es ihr nicht: „Ich mache gerne Kreuzworträtsel“, erzählt die Seniorin.
Umstellung war groß
„Es war eine große Umstellung für mich, meine eigene Wohnung aufzugeben und hierher zu ziehen. Mein Wohnzimmer hatte 40 qm – jetzt mit nur einem Zimmer ist es schon etwas beengt. Aber es ging nicht anders“, sagt sie bedauernd.
Das Einzelzimmer ist hell und freundlich möbliert, zur Einrichtung gehören ein Pflegebett mit Nachttisch, ein Schrank, eine Kommode, ein Tisch mit Stühlen. Die Individualität beschränkt sich auf das Aufhängen eigener Bilder und einige wenige Erinnerungsstücke. „Mittlerweile habe ich mich dran gewöhnt. Dafür ist das Badezimmer schön und großzügig.“
Auch in den Fluren hängen viele Bilder, meistens von den Bewohnern mitgebracht, die sich so ihre Erinnerungen behalten. Auch einige ältere Möbel und Deko-Stücke finden sich im Haus wieder, eine Reminiszenz an den Wohnstil der betagten Mieter. Zu den Mahlzeiten treffen sich alle im großen – „Wohnküche“ genannten – Gemeinschaftsraum. An den Esstischen werden Frühstück, Mittag, Kaffee sowie die Abendmahlzeit eingenommen. Zwei Sitzgruppen mit Sofa und Sesseln laden zum Plausch oder gemütlichen Fernsehen ein. „Wenn eine meiner früheren Nachbarinnen zu Besuch kommt, sitzen wir aber lieber in meinem Zimmer“, sagt Frau Missbach. „Es braucht nicht jeder zu hören, was wir uns erzählen.“
Neue und alte Bekanntschaften
Mittlerweile hat sie auch im Heim Bekanntschaften geschlossen. „In Gonsenheim kannte ich nur wenige Leute“, erzählt sie, „aber ich hatte auch wenig Kontakte im Ort. Die Arbeit, drei Töchter, zwei Helfer im Betrieb – da war ich vollauf beschäftigt. Wir waren jeden Tag sieben Personen am Esstisch.“ Aus ihrer Jugend erzählt die gebürtige Mainzerin: „Von meinem 10. bis zum 21. Lebensjahr lebte meine Familie in Dresden. Darum spreche ich auch keinen Mainzer Dialekt und deswegen verstehe ich viele Gonsenheimer nicht. Meine Mutter verstarb früh, da war ich erst 17. Ich war darum sehr darauf aus, einen Beruf zu lernen und wurde Finanzbuchhalterin.“
An ihre Zeit in Dresden erinnert sie sich gerne, denn dort begegnete sie ihrem Mann Kurt: „Als ich meinen Mann kennen gelernt habe, war ich erst 12 Jahre alt. Es war Liebe auf den ersten Blick! Vorm Haus stand der Möbelwagen und ich suchte nach Ausreden, um noch mal daran vorbei zu gehen und die beiden Brüder aus der Familie der neu Zugezogenen zu begutachten.“ Ihr Auserwählter Kurt hatte aber damals als Oberprimaner noch kein Auge für die kleine Elisabeth. Das kam erst später. Bis dahin „gab es für mich zwar Tanzstunden-Herren, aber keine Liebe.“ Frau Missbach lächelt verschmitzt: „Ich wusste gleich: Der oder keiner!“ Ihre Augen strahlen im Rückblick auf die Ehe mit ihrem Kurt. „Er war Berufssoldat. Nach dem Krieg musste er etwas anderes finden – so kamen wir auf die Idee einer Hühnerzucht, in Mainz, denn Dresden war zerstört. 45 Jahre waren wir glücklich verheiratet, davon muss man zehren!“ Sie weist auf ein Bild der Marienkirche, hinter ihr an der Wand: „Hier wurden wir getraut – kurz bevor die Kirche zerbombt wurde.“ Drei Töchter gingen aus der Ehe hervor: „Annemarie, Monika und Helga. Alle drei sehr gut geraten“, berichtet die stolze Mutter. „Die Älteste wohnt in Speyer und auch die Jüngste lebt nicht in Mainz. Aber meine mittlere Tochter arbeitet an der Uniklinik.“ Sie ist es, die sich um die Neunzigjährige kümmert. Auch die vier Enkel mit den Urenkeln besuchen ihre Oma gerne. Darauf freut sich die alte Dame immer ganz besonders. „Ich komm ja nicht viel raus, wenn ich im Rollstuhl geschoben werde, werd´ ich immer seekrank. Aber es gibt viele nette Veranstaltungen hier im Haus.“ Regelmäßig finden Spiele-Nachmittage statt, dienstags ist Gymnastikstunde, jeden Montagvormittag eine Gesprächsrunde und „am Donnerstag ist Gedächtnistraining, da mach ich immer mit!“ Nicht dass sie es nötig hätte – „Aber man muss ja was für sich tun! Mein größter Wunsch ist, dass mir das Gedächtnis erhalten bleibt.“