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(Klein)Kunst, Kabarett & Comedy in Mainz

Bühne frei – Lars Reichow im Großen Haus des Staatstheaters

Lange galt Mainz als „Stadt der Kleinkunst“. Das Theater unterhaus, das 1972 erstmals den renommierten Deutschen Kleinkunstpreis verlieh, galt als Nabel der bundesweiten Kabarett- Kultur. Heute scheint das nicht mehr so zu sein. „Gibt es die überhaupt?“, antwortet etwa der bekannte Unterhaltungskünstler Lars Reichow mit einem Augenzwinkern auf die Frage, wie es um die hiesige Kabarett- und Comedy-Szene steht.

Kabarettarchiv-Chefin Martina Keiffenheim inmitten von Plakaten und Ordnern

Um das zu klären, beginnt die Suche im Deutschen Kabarettarchiv (DKA). Archivar Matthias Thiel klärt dort zunächst, worum es eigentlich geht: „Kabarett ist eine Verbindung verschiedener Kunstformen wie Monolog, Musik und Schauspiel, oft in Kombination mit Satire, immer aber mit einer Prise Komik und Humor.“ Das Kabarett kam ursprünglich aus der linken Szene und war eine alternative, gesellschaftskritische Kunstform, die nach oben tritt, aber nicht nach unten, so sagt man. Beheimatet in subkulturellen Kellern und Scheunen, ein „Kind der Bohème“, so Thiel – eine Kunstform, die beim Publikum eine gewisse Bildung voraussetzt und auch ernste, traurige und ruhige Momente hat. Darin liegt auch die Abgrenzung zu Comedy, wo oft eine Geschichte aus dem Alltag genutzt wird, um gezielt eine Pointe zu bringen. Kabarett hingegen will zum Denken anregen. Die Übergänge sind fließend, darin sind sich Archivar Thiel und seine Chefin Martina Keiffenheim, die Leiterin des hiesigen Deutschen Kabarettarchivs (DKA), einig: Komik gehört zum Kabarett dazu.

Das Kabarettarchiv: eine Fundgrube für Fans

Keimzelle
Das DKA ist die deutschlandweit einzige Institution, die seit 1961 das kulturelle Erbe des Kabaretts bewahrt und seine Geschichte bis zur Gegenwart dokumentiert. Seit 2004 hat es seinen Sitz im Proviant-Magazin im Herzen der Stadt. „Aber das ist ein reiner biografischer Zufall“, so Thiel und Keiffenheim. Man erzählt, dass dem Archiv-Gründer Rheinhard Hippen auf einer Reise von Frankreich in seine ostfriesische Heimat das Geld ausgegangen sei und er deshalb in Mainz strandete. Es gefiel ihm so gut, dass er blieb und das Archiv ins Leben rief. Neben der bloßen Sympathie zur Stadt sei jedoch auch ausschlaggebend gewesen, dass einer der großen deutschen Kabarettisten, Hanns Dieter Hüsch, damals in Mainz lebte. Dessen Besitztümer gehören demnach auch zu den Herzstücken des DKA. Dicke Ordner stehen regalweise unter niedrigen Decken. Die Wände hängen voll mit alten Plakaten, vergilbten Zeichnungen und Schwarz-Weiß-Fotos. Unterlagen zur gesamten bundesdeutschen Kabarett-Geschichte seit 1901 finden sich in den verwinkelten Räumlichkeiten. Und draußen vor der Tür auf dem Mainzer Kabarett-“Walk of Fame“ liegen die bekannten „Sterne der Satire“. Dort ist auch der bekannte Mainzer Kabarettist Herbert Bonewitz verewigt. Inmitten der Zeugnisse aus über 120 Jahren Kleinkunstgeschichte findet sich eine halbrunde rote Bühne, auf der monatlich Veranstaltungen stattfinden: Chanson-Abende, Lesungen, Theater – hier lebt das Kabarett in all seinen Facetten. Auch wenn die Nachwirkungen der Pandemie der Kleinkunst noch immer zu schaffen machen. Tickets werden oft kurzfristig verkauft, was es Künstlern und Veranstaltenden schwer macht. Das Publikum hat eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne als früher und man kann bei jüngeren Zuschauenden nicht mehr so viel Vorwissen voraussetzen. Zudem sei die Szene sehr in Richtung Event und Entertainment gerückt, so Keiffenheim und Thiel. Kabarett spiegelt also immer eine gesellschaftliche Entwicklung wider. „Ich fände es schön“, sagt die DKA-Leiterin noch, „wenn Mainz erkennt, dass es nicht nur Fastnacht, sondern auch Comedy kann.“

 

Fastnacht, Kabarett, Fernsehen: Lars
Reichow ist überall zuhause

Idealer Nährboden
„Halbvoll ist das neue ausverkauft”, sagt auch Lars Reichow zur Situation in der Unterhaltungsbranche. Reichow ist Kabarettist, Komponist, Sänger, Fernsehmoderator, Entertainer, Pianist, Fastnachter und 1964 in Mainz geboren. Er steht für die Riege der Etablierten in der Comedy- und Kabarettszene; aus Mainz wären hier noch Tobias Mann zu nennen, Sven Hieronymus, evtl. noch Ramon Chormann und Matthias Jung. Reichow ist tief verwurzelt in der Mainzer Unterhaltungsszene und liebt „seine“ Stadt. Für ihn gibt es hier den idealen Nährboden für Kultur. Künstler gastierten gerne in Mainz, das Publikum sei begeisterungsfähig, die Stadt in der Veranstaltungsbranche beliebt und geschätzt. Eigentlich. Denn neben den Folgen der Pandemie, die es der Kleinkunstszene erschweren, sieht er auch die Kulturpolitik der Stadt Mainz in der Verantwortung. In Bezug auf Kleinkunst fehle es an Ideen und der Entschlossenheit. Ein Beispiel dafür sei das unterhaus, „jahrzehntelang die wichtigste Kleinkunstbühne Deutschlands, wo die Großen auflaufen“, erinnert er sich. Diese Situation habe sich verändert, einige zog es – wie ihn selbst auch – in größere Theater und Hallen. Aber dennoch liegt ihm das unterhaus am Herzen. „Nirgendwo ist die Stimmung so dicht, die Begeisterung so geballt.“ Aber es gebe bis heute keine Lösung, den Standort zu sanieren: „Die Stadt schläft auf ihren Kulturschätzen, vom Nimbus des unterhauses ist schon viel zerstört.“ Es brauche mehr politischen Willen und mutige Investition, gerade jetzt. Was Lars Reichow sich auch wünscht, ist Nachwuchs: Menschen, die mit Begeisterung und Aufopferung etwas aufbauen wollen. „Und mehr Frauen“, ergänzt er, „auf und hinter der Bühne. Dann wird es gelingen!“

 

unterhaus-Chefin Britta Zimmermann holt die Stars und Sternchen nach Mainz

Garant für gutes Programm
Eine dieser Frauen ist Britta Zimmermann, 27 Jahre alt und seit Ende 2021 mit Gianluca Caso als Geschäftsführerin des bundesweit bekannten Kleinkunstmagnets unterhaus tätig. Seit dessen Gründung 1966 treten auf zwei Bühnen täglich die Stars der Szene neben hoffnungsvollen Newcomern auf. Ein Auftritt im unterhaus gilt noch immer als Ritterschlag für Kleinkunst und Kabarett. Britta Zimmermann kam 2015 für ihre Ausbildung als Veranstaltungskauffrau nach Mainz. „Ich habe hier eine unheimlich große Vielfalt vorgefunden“, sagt sie über ihre ersten Eindrücke: Ob Stand-up-Comedy, Musik, klassisches Kabarett, Puppentheater oder Liedermacher – von allem gäbe es etwas. Von ihrem Pensum her bucht sie bis zu zehn Künstler pro Woche. Früher habe man einen Künstler die ganze Woche im Programm gehabt. Doch diese Zeiten sind vorbei: „Die Menschen müssen heute nicht mehr rausgehen, um etwas Besonderes zu sehen. Unsere Aufgabe ist also zu zeigen, dass es das Live- Erlebnis ist, das Erinnerungen schafft.“ Derzeit en vogue sind vor allem Open-Mike-Formate und Mixed-Shows. Im unterhaus gastiert regelmäßig der Chaos Comedy Club und – exklusiv in Mainz – die Show „Poesie und Wahnsinn“. „Die ist unheimlich gerne gesehen“, so Britta: „Mainz ist jedenfalls eine Stadt, in der Kleinkunst ein gutes Zuhause hat.”

 

Die Impro-Comedy-Szene (hier Die Affirmative) erholt sich langsam von der Pandemie

Impro-Theater
Neben heimischen Ensembles und aufsteigenden Kabarettisten haben sich in den letzten Jahres die Impro-Theater-Gruppen verstärkt hervorgetan. In Mainz bringt „Die Affirmative“ seit 2010 – als Studi-Theatergruppe gegründet – Comedy und Sketche auf die Bühne. Die elf Männer und Frauen zwischen 20 und 40 Jahren sind mit ihrem Programm besonders in Mainz und der Region, aber auch im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs. „Unser Ziel ist es, dass die Menschen bei uns so lachen, wie sie sonst in ihrem Alltag nicht lachen“, sagt die künstlerische Leitung Claudia Behlendorf. Und das funktioniert. Ihre Shows etwa im unterhaus und im KUZ oder ihre Comedy-Dinner sind regelmäßig ausverkauft. Zudem leitet das Team die größte Impro-Theater-Schule Deutschlands am Münsterplatz. Dort – unweit von unterhaus und Kabarett- Archiv – finden jährlich14 Impro-Comedy-Kurse statt. Die Schauspieler beeindrucken auf der Bühne mit Witz, Spontanität und Tiefgang. Das schätzt das Publikum, das hauptsächlich aus Millenials oder Studis besteht. Doch auch der Impro-Szene steckt die Pandemie noch in den Knochen: „Vor fünf Jahren hatten wir eine große Szene in Mainz, die mit Corona gestorben ist, und sich gerade wieder erholt“, sagt Claudia. So wird im April 2024 das erste Mal seit Corona wieder das internationale Mainzer Improtheaterfestival stattfinden, für das die deutsche und europäische Impro-Szene in die Stadt kommt. Claudia wünscht sich dafür und generell mehr Förderung vonseiten der Politik und mehr Spielstätten, besonders im Sommer. Den Vorschlag der Linken, in Mainz die Dragoner-Kaserne zum Pendant des Wiesbadener Schlachthofs zu machen, findet sie super: „Es wäre schön, für die freie Szene in Mainz Raum zu haben.“

Scusi: Eine Bühne, auf der auch
mal was danebengehen darf

Stand-Up-Boom
Doch auch ganz frische, neue Formate erobern die Stadt: etwa die Open-Mic-Bühne „Scusi Comedy“, die seit Mai 2022 jeden zweiten Montag im „the good coffee“ in der Steingasse stattfindet. Einer der Gründer ist Zain Qureshi, ein engagierter 30-Jähriger, aufgewachsen in Saarbrücken, der sich selbst auf Social Media als „just a small pakistani boy trying to live his dream“ beschreibt. Fünf Jahre ist er als Stand-Up-Comedian und Moderator durch Deutschland getourt. Seit 2021 wohnt er nun in Mainz. Mit seinen zwei Comedy-Kollegen Mathias Haze und Amir Shahbaaz hat er Scusi Comedy so ins Leben gerufen, die so sein soll, wie seine Sprüche auf der Bühne: spontan, treffsicher, gekonnt. „Wir wollten die etwas rare Stand-Up-Comedy-Schiene in Mainz aufbauen”, sagt Qureshi. Nachdem er lange vergeblich nach einer Location gesucht hatte, kam er eines Tages bei seinem täglichen Espresso im Kaffee mit Mitarbeiter Teo ins Gespräch, der eine Idee hatte: „Warum nicht hier?“ Anlage, Bühne, genug Platz: alles war da. Nur der Name fehlte. Weil Zain und seine Kollegen dachten, Teo sei Italiener, nannten

Kein Platz bleibt frei, wenn Scusi im the good coffee zu Gast ist

sie ihr Baby „Scusi“, auf Italienisch Entschuldigung (vorab für etwaige schlechte Witze). Erst später, als die Plakate schon gedruckt und ein Logo entworfen war, stellte sich he-raus, dass Teo Kroate ist. Der Name blieb trotzdem und sechs Wochen später fand die erste Show statt. Auch aus Berlin, Köln und Stuttgart kommen die Künstler dabei angereist. „Wir haben sehr viele Anfragen“, freut sich der Moderator. Die Abende sind gerappelt voll, die Hütte brennt. Ab September wird es zusätzlich eine Open-Stage im KUZ geben und auch mit der Uni ist man im Gespräch. Zain wünscht sich dennoch mehr Bühnen und Leute, die sich trauen, etwas auszuprobieren. Und auch an das Publikum hat er einen Appell: „Viele Leute hängen derzeit am Handy auf Instagram oder TikTok und ziehen sich irgendwelche Reels rein, aber: Das echte Leben passiert zwischenmenschlich!“ Es erneuert sich also etwas. Die Szene ist in Bewegung. Mainz als Stadt der Kleinkunst? Vielleicht ist es bald wieder soweit.

Text Hannah Weiner Fotos Jana Kay