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Nahverkehr: Warten auf die S8

Text: Sophia Weis
Foto: Michael Grein

„Fast 97 Prozent der S-Bahn-Züge und im Schnitt mehr als 90 Prozent aller Regionalzüge im Rhein-Main-Verkehrsverbund waren im ersten Quartal 2011 pünktlich“, hieß es in einer Pressemitteilung, die der RMV letzten März veröffentlichte. „Die Pünktlichkeit der S-Bahn-Linie 8 zwischen Wiesbaden und Hanau liegt bei 95 Prozent und ist damit überdurchschnittlich“, so RMV-Pressesprecher Peter Vollmer in einem aktuellen Statement weiter.
Für viele Mainzer Pendler sind solche Äußerungen nur schwer nachzuvollziehen. Die S8 ist mit über 70 km eine der längsten Strecken und hat eines der stärksten Fahrgastaufkommen. „Bei dieser Linie gibt es häufig Probleme und in letzter Zeit ist es mit den Störungen wieder besonders schlimm“, sagt Stephanie Winfried. Das ständige Zittern, es mit der S-Bahn pünktlich zu ihrem Arbeitsplatz am Frankfurter Flughafen zu schaffen, gehört für sie zum Alltag. Auch Jennifer Lindemaier kennt die Situation nur zu gut, wenn am Mainzer Hauptbahnhof die Durchsage kommt, dass die S8 Verspätung hat. Sie fährt täglich nach Frankfurt und ärgert sich über die Unzuverlässigkeit der Bahn: „Vor allem wenn ich nach einem anstrengenden Tag im Büro nur noch nach Hause will, machen mir Verzögerungen und Ausfälle zu schaffen.“

Schöngerechnet und abgespeist

Der Landesverband Rheinland-Pfalz des Verkehrsclub Deutschland (VCD) sieht die vom RMV veröffentlichten Zahlen ebenfalls kritisch. So gilt eine Bahn, die bis zu 6 Minuten Verspätung hat, immer noch als pünktlich. Doch gerade im Nahverkehr kann eine Verspätung von knapp sechs Minuten schnell dazu führen, dass Fahrgäste einen Anschlusszug verpassen oder weitere Bahnen sich verzögern.
Nicht nur die Störungen selbst, auch der Umgang der Bahn mit diesen ist für viele Menschen ein Ärgernis. Die Begründungen des RMV sind meistens schwammig, oft werden Fahrgäste am Gleis mit einer „technischen Störung“ abgespeist. Fragt man genauer nach, wird das Hauptproblem schnell offensichtlich: Die S-Bahnen im Rhein-Main-Gebiet haben nur wenige eigene Gleise. Aufgrund der dichten Streckenbelegung ist das Schienennetz gerade im Bereich des Flughafens häufig überlastet. Alle fünf bis sieben Minuten fährt dort eine S-Bahn durch, hinzu kommen die Regionalbahnen. Schnellen Zügen der Deutschen Bahn muss Vorfahrt gewährt werden. Die Pendler in den Regionalbahnen haben somit das Nachsehen, nicht selten bleibt eine S-Bahn mitten auf der Strecke für mehrere Minuten stehen, um einen ICE vorbeizulassen.
Das Ausmaß der Verzögerungen geht aus einem Qualitätsbericht des RMV hervor. Darin werden für 2009 im Regionalverkehr über 250.000 Verspätungsminuten aufgeführt, nur etwa 35.000 durch technische Störungen und 65.000 durch Bahnsteigwenden. Wirklich planmäßig fuhr lediglich die Hälfte aller S-Bahnen. Auch wenn sich die Werte bis heute leicht verbessert haben, können solche Bedingungen weder für Fahrgäste noch für die Bahn zufriedenstellend sein.

Reklamation beschränkt möglich

Die Möglichkeiten der Fahrgäste, sich zu wehren und Fahrten zu reklamieren, sind beschränkt: Wer mit einer RMV-Einzelfahrkarte mit dem Zug unterwegs ist, kann bei einer Verspätung am Zielort ab einer Stunde 25 Prozent des Fahrpreises erstattet bekommen, ab zwei Stunden 50 Prozent. Entschädigungen werden allerdings erst ab vier Euro ausbezahlt, meist wird dieser Betrag bei Einzelfahrkarten jedoch nicht erreicht. In den Tarifgebieten zwischen Frankfurt und Darmstadt gibt es seit Kurzem die 10-Minuten-Garantie für U-Bahnen, Straßenbahnen und Busse. Wird das Fahrtziel mit mehr als 10 Minuten Verspätung erreicht, bekommt man sein Fahrgeld zurück. Würde man die Garantie für den S- und Regionalbahnverkehr einführen, hätte das für den RMV trotz guter Statistiken weitreichende finanzielle Konsequenzen. Im Moment befindet sich der RMV in den Vorbereitungen zur Neuvergabe der Verkehrsleistungen der S-Bahn Rhein-Main. In den Ausschreibungen wurde die Toleranzzeit auf 2:59 Minuten heruntergeschraubt. Wenn zum Jahreswechsel 2014/15 die Gewinner der Ausschreibungen auf ihren Strecken den Betrieb aufnehmen, soll ein Zuspätkommen von mehr als drei Minuten bereits offiziell als Verspätung registriert werden. Bei den derzeitigen Bedingungen der Infrastruktur ist das jedoch kaum umsetzbar. Ein Ausbau der Trassen wäre laut VCD Rheinland-Pfalz theoretisch möglich und sollte von der Deutschen Bahn und dem RMV geprüft werden. Bis diese sich dazu durchringen kann, heißt es für viele Bahnfahrer in Mainz und Umgebung weiterhin tief durchatmen und Ruhe bewahren. Der nächste Zug kommt bestimmt (nicht).