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Mobil in Mainz – Schafft die Stadt die Verkehrswende?

Mainz boomt: Im Sommer wurde der 220.000 Einwohner der Stadt begrüßt. Ein Höchststand – so viele Mainzer gab es noch nie. In den letzten 20 Jahren ist Mainz pro Jahr um etwa 2.000 Einwohner gewachsen. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Der Zuwachs stellt Herausforderungen an sämtliche Bereiche. Vor allem auch an das aktuelle Trend-Thema der Mobilität der Zukunft. So gibt es nicht nur immer mehr Menschen, sondern auch immer mehr Kraftfahrzeuge: 113.000 waren 2018 angemeldet.

Zum Vergleich: 1983 waren es noch 80.000. Hinzu kommen 70.000 Berufspendler, die täglich nach Mainz fahren, um hier zu arbeiten. Das Ergebnis dieser Zahlen zeigt sich konkret Morgen für Morgen an Nadelöhren wie dem Pariser Tor im Süden der Stadt, der Saarstraße, den Autobahnen und Rheinbrücken. Zudem sorgen Verbrennungsmotoren für dicke Luft: Die Stickstoffdioxidwerte in Mainz liegen vor allem in der Rheinallee weit über dem europäischen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Laut einer Entscheidung des Mainzer Verwaltungsgericht im Oktober 2018 ein Grund, das Dieselfahrverbot in Mainz einzuführen. Die Stadtspitze tut bisher alles gegen ein solches Verbot, doch ab Januar wird abgerechnet. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat erneut Klage eingereicht. Und es sieht ganz so aus, als ob das Dieselfahrverbot kommen wird. Auf der durch den Zollhafen zugebauten Rheinachse führt nichts am Abgasproblem vorbei.

Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne).

Rettung durch E-Mobilität?
Statt mit einem Dieselfahrverbot würde Verkehrsdezernentin Katrin Eder die Stickstoffdioxidwerte in der Stadt durch die Förderung von Elektromobilität gerne senken. Doch bis es flächendeckend soweit ist, vergeht noch (zu)viel Zeit. Die höhere Priorität liegt auf dem Ausbau des Straßenbahnnetzes: „Dreh- und Angelpunkt für die Verkehrswende ist die Schiene“, weiß Eder sicher. „Mainz ist eine wachsende Stadt und wir können den ÖPNV heute mit Bussen kaum noch abwickeln.“ Die Tram habe wesentlich mehr Kapazität, sie fasse zwei bis dreimal so viele Fahrgäste wie ein Bus. Außerdem fährt die Mainzer Straßenbahn emissionsfrei mit Ökostrom und ist unabhängig vom Stau auf den Straßen. „Ein Innenstadtring entlang der Bauhof- und der Hindenburgstraße könnte umgesetzt werden.“ Auch die 2.000 neuen Wohneinheiten, die im Heiligkreuzareal Richtung Weisenau gebaut werden, ließen sich durch eine Linie anbinden. „Während des Baus der Mainzelbahn gab es zwar viel Kritik, aber seit ihrer Einführung haben wir in Bretzenheim einen Fahrgastzuwachs von 20 Prozent! Außerdem konnten wir seit Inbetriebnahme 600.000 Liter Diesel im Jahr sparen. Vorher waren auf der Strecke 20 Dieselbusse unterwegs.“ Auch eine Citybahn zwischen Mainz und Wiesbaden ist hier im Gespräch. „Die Theodor-Heuss-Brücke ist durch die vielen Autos und Busse an einer Belastungsgrenze. Eine Straßenbahn kann für Entspannung sorgen“, so Eder. Während die Wiesbadener Politik sich der Citybahn gegenüber offen zeigte, regte sich in der Bevölkerung schnell Widerstand: Laut und teuer sei ein solches Projekt. Die Entscheidung, ob die Bahn gebaut wird, soll 2020 in einem Bürgerentscheid fallen. „Sollte die Citybahn scheitern, haben wir aber noch weitere Ideen für Mainz“, verrät Eder. Im November weihte sie auf dem Parkplatz vor dem Stadtwerke-Hochhaus in der Neustadt 20 öffentliche Ladestationen für E-Fahrzeuge ein, weitere 40 Lademöglichkeiten soll es bis 2022 allein in der Rheinallee geben. Damit soll auch der Kauf von E-Autos attraktiver werden. Zusätzlich bietet eine Carsharing-Station zwei Elektroautos der Firma book-n-drive. Den Strom sponsern bis auf Weiteres die Stadtwerke, mittelfristig wird es jedoch kosten. Eine halbe Million habe man bisher in das „Pilotprojekt für die Mobilität der Zukunft“ investiert, ließen die Stadtwerke-Chefs verlauten. Und auch die Mainzer Mobilität (Tochter der Stadtwerke) investiert.

Die Stadtwerke mit einem Pilotprojekt „Zukunft der Mobilität“.

Im November ging der erste Elektrobus an den Start, der zunächst testweise unter dem Motto „Saubere Sache“ durchs Stadtgebiet tuckert. Der reguläre Linienbetrieb soll mit insgesamt vier E-Bussen im Frühjahr starten. Das Umweltministerium hat eine Förderzusage für die Anschaffung von 23 weiteren E-Bussen im Jahr 2021 erteilt. Noch bevor der Batterie- betriebene Nachschub in Mainz eintrifft, erwartet die Verkehrsgesellschaft allerdings zunächst noch eine andere Lieferung: Im ersten Halbjahr 2020 sollen die ersten vier Brennstoffzellen- Busse in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt ankommen. Das langfristige Ziel: In zehn Jahren sollen 100 Elektrobusse in Mainz fahren. Dafür wurden u.a. auch der komplette Fahrplan und alle Strecken überholt, in einer Größenordnung, die es seit zwanzig Jahren nicht mehr gab. Klimaschutz und Mobilität – nicht zuletzt dank des diesjährigen Wahlkampfes im Fokus der Stadtpolitik. Bei einem Wahlkampftermin im September raunte OB Michael Ebling sogar, „dass in zehn Jahren keine Verbrennungsmotoren mehr in der Innenstadt fahren.“

Lena Weissweiler ist Mitorganisatorin des Mainzer PARK(ing) Days

Zu viel Park- und zu wenig Freiraum
Der Umstieg auf E-Autos allein führt jedoch zu keiner Verkehrswende. Denn nicht nur der fahrende, sondern auch der stehende Autoverkehr ist ein Problem – unabhängig von der Antriebsart. Viele Anwohner drehen vor allem in der Innenstadt unzählige Runden auf der Suche nach einem Parkplatz. „Autos nehmen anderen Verkehrsteilnehmern den Platz weg. Und das, obwohl ein Auto im Durchschnitt nur eine Stunde am Tag gefahren wird“, sagt Lena Weissweiler. Sie ist Mitorganisatorin des Mainzer PARK(ing) Days, der im September zum vierten Mal stattfand. Unter dem Motto „Park statt Parking“ verwandelten Weissweiler und ihre Mitstreiter die Neubrunnenstraße mit Pflanzen, Rollrasen und gemütlichen Sitzgelegenheiten für einen Tag in einen Mini-Park. „Acht Quadratmeter nimmt ein einziges parkendes Auto an Platz ein. Viele Leute, die in der Stadt wohnen, haben kleine Wohnungen, oft auch ohne Balkon. Statt Autos könnte man Sandkästen und Bänke aufstellen, damit die Leute die Zeit draußen mit ihren Kindern genießen können“, verdeutlicht die Grafikdesignerin ihr Anliegen. Mit dem PARK(ing) Day wolle man mit einfachen Mitteln zeigen, was möglich ist. Die 43-Jährige kommt aus dem ländlichen Baden-Württemberg, zog vor 18 Jahren zum Studieren nach Mainz und blieb hier. „Es ist eine tolle Stadt, aber der Verkehr ist schon Wahnsinn.“ Weissweiler selbst hat kein Auto, sondern fährt Fahrrad. Und damit ist sie nicht allein: Ein Viertel aller Mainzer fährt Fahrrad oder E-Bike. Das zeigt eine Mobilitätsbefragung, die Katrin Eders Verkehrsdezernat in der ersten Jahreshälfte durchführte. Im Vergleich zur ersten Erhebung 2008 sind doppelt so viele Fahrradfahrer auf den Mainzer Straßen unterwegs. Doch die sind dafür immer noch nicht ausreichend ausgelegt – auch das wurde in der Befragung klar. „Wirklich Spaß macht mir das Radfahren in Mainz nicht“, bestätigt auch Lena Weissweiler. Häufig seien Markierungen nicht eindeutig und Fahrradwege endeten im Nichts. „Als Fahrradfahrerin konkurriere ich immer mit dem Auto – und was habe ich schon für eine Chance gegen 1,5 Tonnen Blech?“ Ihr Wunsch wären richtige Fahrradstraßen – nicht nur aufgemalte Fahrräder auf geteilten Bürgersteigen „und Tempo 20-Zonen, damit Autos nicht immer den Impuls haben, mich zu überholen.“

Prof. Heiner Mohnheim kritisiert das Mobilitätskonzept.

Mainzer Mobilität endet an der Stadtgrenze
Heiner Mohnheim ist Professor für Angewandte Geographie, Raumentwicklung und Landesplanung an der Universität Trier. Er behauptet: „Die Mainzer Verkehrsprobleme entstehen zu großen Teilen regional durch die starken Stadt-Umland-Verflechtungen“. Der 73-Jährige gilt als einer der renommiertesten Verkehrsexperten in Deutschland und setzt sich seit Jahren mit modernen Verkehrskonzepten für Großstädte auseinander. Gerade für die vielen Berufspendler gäbe es im Mainzer Raum keine attraktive Alternative zum Auto. Im Moment ende das ÖPNVNetz an der Stadtgrenze: Die Mainzelbahn fährt bis zum Lerchenberg – dann ist Schluss. Wohnt man nicht gerade an einer Trasse der Regionalbahn, zum Beispiel Richtung Alzey oder Bingen, ist man auf halbstündlich bis stündlich verkehrende Buslinien angewiesen. Für Pendler, die auch nachts oder am Wochenende Dienst haben, sind sie keine Option. „Um hier einen massenhaften Umstieg auf den ÖPNV zu erreichen, braucht man Verlängerungen der bestehenden Straßenbahnlinien als Stadt-Umland-Bahnen sowie neue Haltepunkte auf den bestehenden Bahnstrecken. Viele Regionalbahnen rauschen ohne Halt durch die suburbane Kulisse und verschenken damit große Potenziale“, so Mohnheim. Auch Ortsbusnetze müssten ausgebaut werden und in engeren Takten verkehren. Vor allem die komplizierten Fahrpläne mit den vielen Ausnahmeregelungen und Fußnoten seien für die Kunden ein Problem: „Vorbild ist hier die Schweiz, dort funktionieren die Fahrpläne nach einfachen Schemata. Die Leute wissen, dass der Bus oder die Straßenbahn immer um die gleiche Uhrzeit bei ihrer Haltestelle losfahren. Dadurch steigt die Akzeptanz.“ Einen ersten Schritt in diese Richtung unternimmt Mainz mit dem „Fahrplan 2020“: Der neue Nahverkehrsplan der Stadt, der mit Bürgerbeteiligung erarbeitet wurde, gilt ab dem 15. Dezember und sieht optimierte Streckenführungen, neue Takte und teilweise neue Linienwege vor. Während vorher fast alle Linien sternförmig über den Hauptbahnhof führten, werden nun Stadtteile über Direktverbindungen miteinander verbunden. Leider enthält auch er viele Fußnoten und wenig Neues für Menschen aus dem Umland. Zudem sind die Ticketpreise immer noch vergleichsweise hoch.

365-Euro-Ticket für alle?
Die Tarife stellen eine Hürde für viele Menschen dar: Im Moment kostet die Jahreskarte in Mainz stolze 815,60 Euro – allein für das Tarifgebiet 6500 Mainz/Wiesbaden. Da ist Mainz deutschlandweit preislich ganz vorne mit dabei. Wohnt man jenseits der Stadtgrenzen und will nach Mainz, muss ein ordentlicher Aufpreis gezahlt werden. Wer etwa aus dem Südraum Richtung Alzey kommt, verlässt das Tarifgebiet des RMV und muss eine Anschlusskarte des Rhein-Nahe-Nahverkehrsbundes (RNN) zahlen. „Es braucht ein Tarifsystem mit attraktiven Jahresabos auf Flatrate-Basis, das aus bisherigen Seltenoder Nie-Kunden Gewohnheitskunden macht“, empfiehlt Verkehrsexperte Mohnheim. Aktuell könnte ein solches Flatrate-Angebot in greifbare Nähe rücken: Eine Idee, die in allen Stadtratsfraktionen auf Konsens stößt, ist die Einführung des 365-Euro-Tickets nach Wiener Vorbild. Für einen Euro pro Tag sollen Mainzer das ganze Jahr lang Bus und Bahn im Stadtgebiet nutzen können. Über die Umsetzung wird im Stadtrat noch gestritten. Das Hauptproblem stellt die Finanzierung dar: „Wir geben als Stadt jetzt schon jedes Jahr 16,5 Mio. Euro in den ÖPNV. Die Mainzer Mobilität ist defizitär. Allein kann Mainz das 365-Euro-Ticket nicht stemmen“, weiß Verkehrsdezernentin Eder. So gebe es in Hessen zum Beispiel das 365-Euro-Schülerticket sowie das kostenlose Hessenticket, mit dem Bedienstete des Landes den ÖPNV nutzen können. Beide Tickets gelten jedoch im ganzen Bundesland und werden somit auch vom Land finanziert. Grüne und SPD verwiesen in der Stadtratssitzung im Oktober auf die Stadtgrenzen- Problematik: Ein 365-Euro-Ticket für Mainz löst das Problem der Pendler nicht, eine einheitliche Lösung für das gesamte Rhein-Main-Gebiet müsse her. Die Gespräche laufen.

Wie wollen wir uns künftig fortbewegen?

Zukunft im Blick
Mainz hat in Mobilitätsfragen viele Pläne. Für Verkehrsdezernentin Eder lautet die zentrale Frage: „Wie bewegen sich die vielen künftigen Einwohner von Mainz fort?“ In ihrer Vorstellung am liebsten mit Bahn und Rad. Bei Letzterem träumt sie sogar von Freiburger Verhältnissen: Dort herrscht statistisch mehr Rad- als Autoverkehr. Professor Mohnheim sieht in der Debatte ein nationales Problem: „Deutschland wollte viel zu lange Autoland sein und daraus ist dann ein Stauland geworden. Die Verkehrswende erfordert jetzt eine Abkehr von der Priorisierung des Autoverkehrs in den öffentlichen Investitionen.“ Dafür will auch Eder in Mainz bereit sein: „Die Klimadebatte hat eine neue Dynamik in die Mobilitätsdebatte gebracht. Wir wollen unsere Pläne für die Streckennetze von Bahn und Rad fertig haben, wenn in diesem Rahmen Fördergelder für Projekte freigegeben werden.“ Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg. Der grüne Stadtrat ein gutes Omen? Werden die Pläne umgesetzt, ist Mohnheim vorsichtig optimistisch: „Wenn die Stadt Mainz zusammen mit dem Umland Mobilität kreativ gestaltet, dann kommt die Region mit einem Viertel des heutigen Autoverkehrs aus. Dann gibt es keine Staus mehr und dann kann Mainz aufatmen und seine Lebensqualität wieder erhöhen.“

Text: Sophia Krafft
Fotos: Stephan Dinges