Direkt zum Inhalt wechseln
|

„Matching-Probleme”: Der Fachkräftemangel in Mainz

Auszubildende auf der Lehrbühne bei „Käuffer“

Ob Kita, Handel, Handwerk oder öffentlicher Dienst – in vielen Bereichen fehlen Arbeitskräfte, auch in Mainz. Die Gründe sind vielfältig. Von „Matching“-Problemen ist dabei häufig die Rede. Sonst könnte davon ausgegangen werden, dass sich die Zahl Arbeitssuchender mit den offenen Stellen deckt. Wird jedoch ein staatlich anerkannter Krankenpfleger gesucht, kann der Posten nicht mit einem Altenpfleger besetzt werden, da es hierfür an der entsprechenden Qualifizierung mangelt und so auch ein „Passungsproblem“ vorliegt.

Heike Strack, Leiterin der Arbeitsagentur, rät zur
Investition in die eigenen Mitarbeiter (Foto: Lukas Görlach, AZ )

Fokus auf Weiterbildung
An dieser Stelle anzusetzen, um Bedarf und Nachfrage besser zusammenzubringen, arbeitet die Mainzer Arbeitsagentur. Zu Jahresbeginn rief man hier das Onlineportal www.mein-now.de ins Leben. Neben Informationen zu Berufen und Branchen bietet das Portal Tests zur Orientierung. Die Qualifizierung bleibt oft das entscheidende Kriterium bei der Jobvergabe: „Bei den allermeisten der neu gemeldeten Stellen wird eine abgeschlossene Ausbildung oder ein Studium verlangt“, so Arbeitsagenturchefin Heike Strack. Deutlich schlechter stehen daher die Chancen für Ungelernte. Da die Betroffenen ein hohes Risiko haben, immer wieder arbeitslos zu werden, setzt die Arbeitsagentur auf die Qualifizierung – von Arbeitslosen, wie von Beschäftigten. Die Investition in die Mitarbeiter zahle sich in vielerlei Hinsicht aus. So könnte durch geeignete Maßnahmen etwa aus dem Helfer ein Facharbeiter werden, was die Nachbesetzung offener Stellen vereinfache. Künstliche Intelligenz spiele zukünftig dabei auch eine zunehmende Rolle.

Verschiedene Faktoren
Die Hauptursache für den Mangel hat jedoch demografische Gründe. Durch die zurückgehende Geburtenrate in Deutschland schrumpft die

IHK-Geschäftsführer Günter Jertz: Früh ansetzen, um
jungen Menschen berufliche Orientierung zu bieten (Foto: Sascha Kopp)

Bevölkerungszahl und damit auch das Reservoir an Arbeitskräften. Überdies steigt der Altersdurchschnitt der Berufstätigen, so dass ein höherer Teil in Rente und ein anderer früher in den Ruhestand geht. Berechnungen gehen davon aus, dass bis 2030 etwa 3,9 Mio. Arbeitskräfte in Deutschland fehlen könnten. Eine weitere Auswirkung ist der höhere Anspruch an den Arbeitsplatz und damit ein Ausbildungsproblem. Während im Niedriglohngruppenbereich noch genügend Kräfte zu Verfügung stehen, verringert sich der Bestand, je mehr Qualifikation nötig ist. Wer sich nicht ständig Anforderungen stellt und sich weiterbildet, wird es in Zukunft schwerer haben, einen Arbeitsplatz zu finden. Unternehmen bleibt deshalb nur, ihre Mitarbeiter weiterzubilden und mit höherem Gehalt zu locken. Dazu kommt, dass die Neigung vieler Schulabsolventen – zum Nachteil der beruflichen Bildung –, ein angeblich vielversprechenderes Studium aufzunehmen, ebenso eine Lücke in den Fachkräftemarkt reißt. Die Nachfrage nach Ausbildungsplätzen lässt dadurch weiter nach, der Kräftemangel steigt. Vor allem bei dieser Entwicklung müssen sich Industrie- und Handwerksverbände an die eigene Nase fassen. Es ist ihnen in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht gelungen, erfolgreich für Ausbildungsberufe zu werben. Das Studium wurde oft zu hoch hingestellt. Ins Gewicht schlägt außerdem – in der gesamtdeutschen Entwicklung betrachtet – nicht nur die örtliche Abwanderung, beispielsweise von Ost nach West oder von Nord nach Süd. Auch der Strukturwandel trägt dazu bei, dass Fachkräfte fehlen. Nur noch ein Drittel aller Beschäftigten bleibt heutzutage im erlernten Beruf. Zuletzt kommt der Faktor „Zeit“ hinzu: die Besetzung von Stellen dauert oft zu lange, sagt Günter Jertz,

Sinnstiftende Rolle des Handwerks als beste Werbung:
HWK-Geschäftsführerin Anja Obermann (Foto: HWK)

Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer für Rheinhessen (IHK). Ein von der Kammer veröffentlichter Fachkräftereport habe gezeigt, dass in Rheinland-Pfalz jedes zweite von 500 befragten Unternehmen drei bis sechs Monate für die Besetzung einer neuen Stelle benötige, „rund 15 Prozent sogar länger als ein halbes Jahr“. Kleinere Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten und besonders von Fachkräfteengpässen betroffene Branchen, zum Beispiel Hotel- und Gaststättengewerbe sowie IT und Kommunikation, benötigten noch länger. Im Bereich der dualen Berufsausbildung suchten Unternehmen in den Branchen Gastronomie, Industrie und Handel zuletzt vergeblich nach Auszubildenden: „Noch immer gibt es zu viele Jugendliche, die nach der Schule nicht wissen, wie es für sie weitergeht. Deshalb ist die Berufsorientierung einer der entscheidenden Schlüssel gegen den Fachkräftemangel“, so Jertz. Die Anzahl der gemeldeten Ausbildungsplätze sei im Jahr 2023 nach den Corona-Jahren gestiegen. „Wir verzeichnen in Rheinhessen ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zum Jahr 2022. Insgesamt ergibt sich dennoch eine höhere Zahl von unbesetzten Ausbildungsplätzen.“

Zukunft fürs Handwerk?
Um den Innovationsgeist aufrechtzuerhalten, den Firmengründer Paul Käuffer 1866 an den Tag legte, investiert das Unternehmen „Käuffer & Co“ im Mombacher Industriegebiet verstärkt in seinen Nachwuchs. Käuffer erfand im 19. Jahrhundert die Niederdruckheizung mit Ventilregelung und

Handwerks-Stippvisite mit OB Haase und
HWK-Geschäftsführerin Obermann

revolutionierte die Heiztechnik. Das Unternehmen beschäftigt bei 27 Gesellschaften in Deutschland 847 Mitarbeiter, 120 davon arbeiten in Mainz, davon sind 23 in Ausbildung. Nicht selten bleiben die Beschäftigten von Anfang bis zur Rente im Betrieb. „Zuletzt haben wir einen Mitarbeiter mit 49 Jahren Betriebszugehörigkeit in den Ruhestand verabschiedet“, so Prokurist Marc Curschmann. Gerade baut die Firma eine neue Lehrhalle mit „Chill-Lounge“, außerdem steht dem Nachwuchs ein Transporter zur Verfügung, um Schulungs- und Weiterbildungsstätten besser zu erreichen. Mit der aktuellen Zahl der Auszubildenden sei man hier zufrieden. Oberbürgermeister Nino Haase und Anja Obermann, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer Rheinhessen, kamen kürzlich vorbei, um sich vor Ort einen Eindruck über die aktuelle Situation des Handwerks zu verschaffen. Neben Käuffer ging es auch noch zur Zimmerei Jacobi und Elektro-Fiebig. Nach den ungewissen Pandemie- Jahren atmen die Betriebe ein Stück weit auf. Aufträge sind vorhanden, der Blick richtet sich in die Zukunft. Bei Käuffer geht es um das Thema Wärmepumpen, bei Jacobi um energetische Sanierung und bei Elektro-Fiebig um Ladesäulen, Photovoltaik, Batterien und Smart- Home. OB Haase: „In Bezug auf die Energiewende können wir noch so viel planen, wir brauchen die Betriebe, die es hier umsetzen. Oft ist uns nicht klar, was an Handwerks-Knowhow benötigt wird, wenn wir an die Planung der Wärmepumpen für die nächsten 30 Jahre denken. Das wird ohne lokale Handwerksbetriebe nicht möglich sein.“ Anja Obermann weiß um die Herausforderungen für die Branche: „Steigende Azubizahlen gibt es zwar in den Klimaberufen wie Elektroniker oder Anlagenmechatroniker. Allerdings ist der Bedarf so stark gewachsen, dass die Betriebe aus diesen Bereichen noch mehr Azubis und ausgebildete Kräfte einstellen würden.“ In einer so starken Wirtschaftsregion wie Rheinhessen buhlen die Unternehmen untereinander um qualifizierte Mitarbeiter. Dies trifft insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen. Die Herausforderung für nicht so große Betriebe sei es, dass sie mit Konzernen um die gleichen Leute konkurrieren. „Das ist natürlich nicht ganz einfach“, erklärt Anja Obermann. Bei Käuffer gelte in diesem Zusammenhang das Solidaritätsprinzip: „Wenn ein Mitarbeiter von einem anderen Betrieb zu uns wechseln möchte, läuft das nur in enger Absprache mit der Geschäftsführung“, so Curschmann. Auch die Handwerkskammer betreibt seit längerer Zeit intensive Werbung, um Fachkräfte zu gewinnen. „Übergeordnet kann man sagen, dass wir die Attraktivität handwerklicher Berufe dadurch herausstellen wollen, indem wir zeigen, wie befriedigend es ist, etwas Eigenes herzustellen, wie gut die Perspektiven im Handwerk sind und wie sehr ein handwerklicher Beruf die eigene Persönlichkeit formt“, so Obermann.

Text Alexander Weiß

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert