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Kein Zurück: Bulgarische und rumänische Einwanderer in Mainz


von Ruth Preywisch, Fotos: Katharina Dubno

Katharina B. schaut aus ihrem Küchenfenster in der Mainzer Neustadt auf das Hinterhofdach. Zwischen Essensresten und kaputtem Spielzeug tummeln sich Tauben auf der Suche nach Verwertbarem. „Die Krönung war ein toter Kanarienvogel, den sie einfach aus dem Fenster geworfen haben“, erzählt sie.

Auf dem Bürgersteig vor dem Haus türmt sich Sperrmüll, dazwischen Abfall und Tüten mit alten Klamotten. Ein Mann schraubt an einem aufgemotzten BMW mit bulgarischem Kennzeichen, immer wieder lässt er den Motor aufheulen. Die gerade ausgebaute Zündkerze wirft er samt Verpackung an den nächsten Baum. Mehrere Frauen stehen auf dem Bürgersteig. Kinder toben herum, trotz der kalten Temperaturen nur in dünnen Jacken. In der Fassade des Hauses erscheinen deutlich die Spuren von nachträglich zugemauerten Fenstern. „Das war mal eine ruhige, schöne Straße hier“, sagt Katharina, „jetzt ist es nur noch asozial“. Stein des Anstoßes sind bulgarische und rumänische Familien, die seit einigen Jahren im Nachbarhaus leben. „Sie kommen mir mit ihrer Rücksichtslosigkeit vor wie ein Überfallkommando“. Rund 1.500 Bulgaren und Rumänen sind in Mainz gemeldet, etwa dreimal so viele wie 2011. „Ganze Stadtteile, die fest in der Hand von Rumänen und Bulgaren sind, Müllberge vor den Häusern, Menschen, die an der Straße stehen und ihre Arbeit anbieten, von solchen Zuständen ist man in Mainz weit entfernt“, berichtet Markus Biagioni, Pressesprecher der Stadt Mainz. Er verweist darauf, dass viele der in Mainz gemeldeten Bulgaren und Rumänen hier studieren oder studiert haben. Zudem seien die Mieten hoch und der Wohnraum knapp. Mainz sei für Einwanderer ohne Arbeit und Geld deshalb kein attraktiver Ort, so Biagioni. Doch es gäbe auch hier Anzeichen dafür, dass die Zuwanderung spürbar ist, unter anderem in der Neustadt oder in Mombach.

Desolate Zustände
Beißender Geruch liegt in der Luft, als Wasili Magureanu eine Ecke des Linoleumbodens in seiner Küche hochhebt. Die alten Holzdielen darunter sind komplett verschimmelt. „Der Vermieter hat gesagt, wir könnten ja ausziehen, wenn uns das stört“, schimpft der Rumäne. „Aber wohin sollen wir denn?“ Mit seiner Familie wohnt er seit drei Jahren in der heruntergekommenen Einzimmerwohnung. Wasili schläft auf dem Sofa in der verschimmelten Küche, seine Frau Michaela und die zwei Kinder im Wohn- und Schlafzimmer nebenan. 600 Euro zahlen sie für rund 40 Quadratmeter. „Es gibt Vermieter, die die Not dieser Menschen ausnutzen“, weiß Roland Graßhoff, Geschäftsführer des Initiativausschusses für Migration in Rheinland-Pfalz. Seit 2007 können sich Bulgaren und Rumänen als EU-Bürger in Deutschland niederlassen und arbeiten. Doch der Gesetzgeber hat eine Hürde eingebaut: Anders als andere Europäer brauchen sie noch eine Freizügigkeitsbescheinigung über das Bestehen des Aufenthaltsrechts. Voraussetzung dafür wiederum ist ein fester Wohnsitz. Ansprüche stellen sie dabei weder an Platz noch an Ausstattung oder hygienische Zustände. Auch Natalyia Aldomirova und ihr Partner Ognyan Simenov sind froh über die Einzimmerwohnung, die sie mit ihren zwei Kindern im Nachbarhaus von Nadja S. bewohnen. Dabei gibt es nicht mal eine abgetrennte Küche, die Spüle im Wohn- und Schlafzimmer funktioniert nicht und für einen Herd oder Kühlschrank ist kein Platz. Natalyia kocht auf einem Zweiplattenofen, der auf der Waschmaschine im kleinen Bad steht. Die beiden kamen als Arbeitssuchende nach Deutschland, einen regulären Job haben sie bislang nicht gefunden. Ein Anrecht auf Sozialleistungen oder auch eine Krankenversicherung haben sie deshalb nicht. Ognyan sammelt Flaschen, putzt Treppenhäuser oder fegt die Straße für Privatpersonen. Bis es vor kurzem verboten wurde, hat er auch Schrott gesammelt und verkauft. Was er damit verdient, reicht zusammen mit dem Kindergeld gerade so zum Überleben. Zurück in ihre Heimat wollen sie trotzdem nicht. „Ich hatte nichts in Bulgarien. Keine Arbeit, kein Geld, kein Essen, kein Haus“, erzählt Ognyan.

Probleme bei Krankheit und Schwangerschaft
„Solange sich die Leute irgendwie durchschlagen, geht es ihnen hier meist noch besser als zu Hause“, sagt Roland Graßhoff. „Erst wenn sie krank werden oder schwanger, wird es kritisch.“ Denn EU-Bürger ohne Arbeit erhalten auch in gesundheitlichen Notlagen oder im Fall einer Schwangerschaft keine staatlichen Leistungen und die Krankenversicherung können viele nicht bezahlen. „Damit sind sie schlechter gestellt als Flüchtlinge aus Drittstaaten oder sogar Menschen ohne Papiere“, erklärt Graßhoff. Welche Auswirkungen das hat, merken auch die Mitarbeiter von medinetz. Der Verein kümmert sich um die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere und Krankenversicherung in Mainz. „Früher kamen mehr Illegale zu uns, mittlerweile kommt fast die Hälfte aus Bulgarien“, sagt Simon Schuster, Mitarbeiter von medinetz. Eigentlich besteht in Deutschland für EU-Bürger sogar eine Versicherungspflicht. „Aber selbst wenn sie sich freiwillig versichern wollen, werden ihnen von den Krankenkassen Steine in den Weg gelegt“, erzählt Schuster von seinen Erfahrungen. Natalyias Tochter ist gerade sieben Monate alt, sie kam in der Mainzer Uniklinik zur Welt. Dort werden dank der Initiative von medinetz Geburten zu einem Preis von 450 Euro angeboten, solange keine Komplikationen auftreten. Das ist zwar billig, doch Menschen, die gerade so überleben, haben das Geld dafür nicht. Natalyia und Ognyan müssen es anderswo einsparen und haben deshalb seit einem Monat keine Miete mehr gezahlt. Wie es weitergeht, wissen sie nicht. „Ich habe Angst um meine Kinder“, sagt Ognyan.

Es geht auch anders
„Das haben wir gerade neu gekauft“, stolz zeigt Angel Mihanov auf das Bett und den Kleiderschrank in seinem Schlafzimmer. Er lebt mit seiner Frau Tinka, ihrem Sohn und den Großeltern in einer Dreizimmerwohnung in Mombach. Um seinen Sohn machen sie sich keine Sorgen. „Im Kindergarten sind sie sehr zufrieden mit ihm, er spricht gut deutsch und tröstet die anderen Kinder“, erzählt Angel. Im Moment erhält die Familie ALG2. Angel und seine Frau besuchen einen Sprachkurs. Die Großeltern arbeiten beide bei einer Reinigungsfirma. Angel freut sich auf die Abschlussprüfung. „Ich brauchte die Hilfe, aber wenn der Kurs vorbei ist, werde ich arbeiten. Ich möchte den ganzen Tag arbeiten und eigenes Geld verdienen“, sagt er. Dabei war der Start der Familie nicht einfach. Zwar fanden sie direkt Arbeit bei einer türkischen Reinigungsfirma, waren angestellt und sozial- bzw. krankenversichert, doch die Bezahlung war schlecht. Für fünf Euro brutto die Stunde putzte die Familie quasi den ganzen Tag. Als die Aufträge ausblieben, wurden aus den Angestelltenverträgen Minijobs, Kranken- und Sozialversicherung fielen weg. Dann wurden die Stunden weniger und am Ende wurden die Löhne gar nicht gezahlt. Arbeitsverhältnisse wie diese sind kein Einzelfall. „Es gibt Unternehmen, die von dem Ganzen profitieren“, sagt Graßhoff. Reinigungs-, Renovierungs- und Umzugsfirmen oder Landwirte brauchen billige Arbeitskräfte. Oft werden sie nicht einmal angestellt. Mit einem Gewerbeschein arbeiten sie auf eigene Rechnung, meist scheinselbstständig. Gezahlt wird auch nicht immer. Ihr mageres Gehalt bessern viele der Bulgaren und Rumänen durch Schwarzarbeit auf, manche betteln oder werden kriminell.

Ungewöhnliche Hilfsangebote
Als bei Angel der Lohn ausblieb, konnte er die Miete nicht mehr zahlen. „Wir wurden gekündigt und standen wieder vor dem Nichts“, erzählt er. Verzweifelt baten sie Adnan Kourshid um Hilfe. Der gebürtige Iraker lebt seit dreißig Jahren in Deutschland und ist mit einer Bulgarin verheiratet. Er half ihnen bei der Suche nach einer neuen Wohnung und sorgte dafür, dass sie sich beim Jobcenter meldeten. Denn wer einen 400-Euro-Job hat, hat Anspruch auf ergänzende Leistungen. Ein Umstand, den die Familie nicht kannte. „Diese Menschen sprechen die Sprache nicht und niemand erklärt ihnen, wie das hier läuft“, sagt Adnan. Bei Mainzer Bulgaren und Rumänen hat sich herumgesprochen, dass er sich auskennt und Hilfe anbietet. Und er wird rund um die Uhr angerufen. Mal soll er Behördenbriefe übersetzen, mal geht es um Krankheiten oder Wohnungsprobleme. „Mich kennen mittlerweile auch das Jobcenter und die Polizei und die rufen mich direkt an, wenn es Probleme gibt“, sagt er. Angel ist froh, dass es ihn gibt. „Außer Adnan gibt es fast niemanden, den wir fragen können“, sagt er. Diesen Umstand bekommt auch medinetz zu spüren. „Erst kommen die Patienten wegen Krankheiten oder einer Schwangerschaft, dann bringen sie ungelesene Briefe mit und brauchen Hilfe mit ganz anderen Problemen“, sagt Schuster. Hier müsste die Stadt ansetzen, meint Graßhoff: „Die Stadt müsste jemanden einstellen, der aufsuchende Sozialarbeit bei diesen Menschen macht“, sagt er. Eine solche Stelle gibt es in Mainz nicht. „Die entsprechende finanzielle Ausstattung fehlt“, heißt es. Der Mainzer OB Michael Ebling fordert deshalb, wie seine Kollegen in anderen Städten, Hilfe von Bund, Ländern und Europäischer Union. Die Kommunen dürften mit den Problemen nicht allein gelassen werden.

Schlüssel Sprache und Bildung
Ganz ohne städtische und staatliche Hilfe sind die Bulgaren und Rumänen nicht. Wer Sozialleistungen erhält, kann auch Sprach und Integrationskurse bezahlt bekommen. Dafür braucht es allerdings einen langen Atem. Angel und Tinka haben mehr als ein Jahr auf einen freien Platz gewartet, nachdem sie sich beim Jobcenter gemeldet haben. Angel sieht in dem Kurs seine Chance. „Ich konnte mich ja nicht mal irgendwo vorstellen“, sagt er. Jetzt sei das anders. „Ich kann deutsch, dann finde ich auch einen guten Job“, ist er sich sicher. „Erst lernen, dann arbeiten“ sei der richtige Weg. Aber nicht für jeden sind die Kurse der Schritt in ein besseres Leben. „Manche kann ich kaum motivieren“, erzählt Elitsa D. Sie unterrichtet deutsch für Ausländer und stammt selbst aus Bulgarien. Seit über zehn Jahren wohnt Elitsa in Mainz und hat hier studiert. „Die Leute können oft nicht schreiben oder lesen, sie wachsen völlig bildungsfern auf“, erzählt sie. Das sei ein großer Unterschied zu denen, die – wie sie selbst – ihre Heimatländer mit Abitur oder Studium verlassen haben. Obwohl die Gründe für die Migration dieselben seien, wie ihre Freundin Marina Petrova erzählt. „Ich bin nach Deutschland gekommen, weil ich kein Geld mehr hatte zum Heizen oder für Essen“, sagt die Bulgarin. So ging es auch ihren Freunden, von denen viele Bulgarien bereits Mitte der 90er verlassen haben. „Jeder, der Sprachen studiert hat, hat damals das Weite gesucht.“ Und sie hatten kaum Probleme mit der Integration: „Klar hatte ich anfangs einen Kulturschock, aber das ging schnell vorbei“, erinnert sich Elitsa. Bei der Mehrzahl der jetzigen Einwanderer sei die Situation eine andere. „Das Problem besteht ja meistens schon im Heimatland. Die Menschen haben keine Qualifikationen“, sagt Marina. Auch Wasili war in Rumänien nur ein Jahr in der Schule. Vor kurzem hat er einen Sprach- und Alphabetisierungskurs begonnen. Stolz zeigt er seine Hefte. Zwischen Herzchen und Kritzeleien stehen krakelige Wörter. Seine Tochter besucht die zweite Klasse, mit ihr kann der 32-Jährige trotz seiner Bemühungen nicht mithalten. Seine Frau Michaela hilft ihr mit den Hausaufgaben, sie ist nach der zehnten Klasse in Rumänien von der Schule abgegangen. „Für meine Tochter ist es gut hier“, sagt sie. Allein der Kinder wegen wird sie Deutschland nicht mehr verlassen, auch wenn sich ihre eigenen Hoffnungen auf ein besseres Leben bisher nicht erfüllt haben. Nadja S. hat schon oft bei der Stadt angerufen und den Sperrmüll für ihre Nachbarn bestellt. Sie hat auch darum gebeten, dass Info- Zettel in die Briefkästen ihrer Nachbarn geworfen werden, am besten auf Bulgarisch. Geändert hat sich nichts. Wahrscheinlich konnten die Nachbarn die Zettel nicht lesen. Jetzt ist der Müll wenigstens verschwunden. Vielleicht hat Adnan Kourshid den Bewohnern gesagt, wie sehr das die deutschen Nachbarn stört.