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Katastrophen Alarm – Besuch in einem Mainzer Bunker

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Die Luft ist klamm – es riecht modrig, niedrige Decken, gedämpftes Neonlicht, von draußen dringt kein Laut herein. Ein klaustrophobischer Albtraum. Willkommen im Bunker unter der Rheinallee in einer Tiefgarage. In einer Wand ist ein tonnenschweres Tor aus Stahl und Beton eingelassen. Nur durch einen mobilen Seilzug bewegbar, trennt es im Notfall zwischen Außen- und Innenwelt, Leben und Tod. Die Eingänge oben auf dem Parkdeck münden unten in Schleusenräumen, versperrt von dicken Stahltüren. Schutzsuchende könnten hier ihre Kleidung ausziehen und ablegen.

Die Schleusen hatten aber noch eine andere Funktion. „Auf diese Weise lässt sich die Anzahl der Menschen, die Schutz suchen, regulieren. Bei 900 wäre dann Schluss“, erklärt Andreas Immel vom Bevölkerungsschutz, der Behörde, die den Raum verwaltet. Danach würden alle Türen luftdicht geschlossen, egal wie viele Menschen draußen noch um Einlass bitten. Ein Szenario, das bisher ausgeblieben ist. 1982 gebaut, sollte der Bunker Schutz vor atomaren Angriffen bieten und die Bevölkerung über einen gewissen Zeitraum mit Lebensmitteln und gefilterter Luft versorgen. 2.000 solcher Luftschutzräume, meist eingebettet in Tiefgaragen und U-Bahn Stationen, ließ die BRD in der Zeit des Ost-West-Konflikts errichten, teilweise bis in die 90er Jahre hinein.

2016: Katastrophen und Terror

30 Jahre später feiert die Angst vor feindlichen Angriffen ein zweifelhaftes Comeback. Katastrophe als Dauerzustand, Terrorattacken, Amokläufe, Unwetter. Fast jeden Tag spucken Medien und soziale Netzwerke Horrormeldungen aus. Gewalt scheint plötzlich wieder nah zu rücken, lauert in der Nachbarschaft, dem Regionalzug, auf dem Festival. Angst sickert ein in die Köpfe, die Sprache und immer mehr schreien nach absoluter Sicherheit, als sei das ein Gesetz, das man nur verabschieden müsse. Dabei scheint vergessen, dass die Angst vor Terror und Vernichtung in Europa jahrzehntelang allgegenwärtig war. Neben Terrororganisationen wie IRA, ETA oder der RAF, die jährlich hunderte Menschen töteten, stand die Welt regelmäßig am Abgrund eines atomaren Kriegs. Wie real diese Furcht war, zeigt sich heute noch im Bunker unter der Rheinallee.
jonas_otte_immel-2Für den Ernstfall gerüstet

Alles ist hier eingerichtet für den Katastrophenfall. Im Kontrollraum, einem schmalen schlauchartigen Verschlag, lagern mobile Trockentoiletten, Waschbecken und in Folie geschweißte Trinkwasserbehälter. Aus dem kleinen Raum hätten Mitarbeiter des Katastrophenschutzes, der so genannte Schutzraumbetriebsdienst, den Bunker im Ernstfall hochgefahren, die Luftzufuhr kontrolliert und die mit einer Klingel verbundenen Schleusen bedient. „Die Anlage war darauf ausgelegt, den Menschen mindestens 14 Tage das Überleben zu sichern“, sagt Immel. Sogar an mobile Vorhänge wurde gedacht, um den Raum bei Bedarf in verschiedene Bereiche zu teilen, etwa für Behandlungsräume oder Toiletten.

Lebensmittel-Vorräte gibt es dagegen nicht. Sie wären nur bei einem drohenden Angriff („der Feind kündigt sich an“) in die Bunker gebracht worden. „Stellen Sie sich vor, der Bund hätte in tausenden Schutzträumen in Deutschland eine Versorgung dauerhaft bereitgestellt. Das wäre kaum zu finanzieren gewesen…“ Auch ein Telefon sucht man vergebens. Kommunikation mit der Außenwelt ist nicht möglich. Den Schutzsuchenden bliebe nur die Möglichkeit, Neuigkeiten aus dem Radio zu erfahren, sofern draußen überhaupt noch jemand senden würde.

Relikte aus dem Kalten Krieg

In Mainz wurden noch fünf weitere zivile Luftschutzräume errichtet. Zunächst in der Tiefgarage am Schlossplatz (1974) mit einem integrierten Trinkwasserbrunnen. In den 80er-Jahren folgten zwei Bunker unter dem Romano-Guardini Platz (Tiefgarage Proviantamt), einer unter dem Innenministerium und einer in Hechtsheim. Insgesamt boten die Räume etwas mehr als 10.000 Menschen Schutz. Das sind fünf Prozent der Mainzer Bevölkerung. In ganz Rheinland-Pfalz lag die Versorgungs-Auslastung sogar nur bei 1,5 Prozent. „Die Bunker waren nur für die Menschen, die sich gerade zufällig auf den Straßen aufhielten“, erklärt Immel. Nur ein Bruchteil der Bevölkerung hätte einen atomaren Angriff also überlebt. Hinzu kommt: Einem direkten Treffer innerhalb des Stadtgebiets hätten auch die Luftschutzbunker nicht Stand gehalten.

Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts verloren die Bunker rasch an Bedeutung. 2007 beschloss die Bundesregierung, die Räume aufgrund der veränderten Gefahrenlage ganz aufzugeben. „Wartung und Instandhaltung sowie die jährlichen Probeübungen waren zu kostspielig.“ Nach und nach wurden die Bunker zurückgebaut oder ganz aufgelöst. Der Raum unter der Rheinallee wäre zwar theoretisch noch einsetzbar, ist aber trotzdem ein Relikt aus vergangenen Zeiten.

Schubladenpläne

„Bunker spielen heute keine Rolle mehr“, erklärt Immel. Trotzdem sind wir Angriffen und Unglücken nicht schutzlos ausgeliefert. Für fast alle denkbaren Szenarien, von einem Atomunfall über Hochwasser bis zum Stromausfall, gibt es Alarm- und Einsatzpläne, die im Ernstfall aus der Schublade geholt werden können. „Wir sind auf alles vorbereitet.“ So gibt es in der ganzen Stadt Notbrunnen, die über Wochen mit Trinkwasser versorgen könnten. Für mindestens 14 Tage soll das Trinkwasser reichen, wobei pro Bewohner und Tag 15 Liter veranschlagt werden. Auch gibt es bundesweit Lager mit unverderblichen Nahrungsmitteln, Reis und Getreide.

Im Ausnahmefall könnten Immel und seine Kollegen auch Lebensmittel aus Supermärkten rationieren und an die Bevölkerung verteilen. Gleiches gilt für Benzin, Diesel und Heizöl. Die Marken, die die Verteilung organisieren, sind bereits gedruckt. Die Regierung hat zudem auf die neuen Gefahrenlagen reagiert und ihren Katastrophenschutz verbessert. So wurden unter anderem die Vorräte an Pockenimpfstoffen und Antibiotika aufgestockt.

Sirenen und Fliegerbomben

Stets einsatzbereit sind auch die Sirenen, die überall in der Stadt stehen. Ihr schriller Alarmton soll für einen Weckeffekt sorgen. Ertönt das Signal, sollen sich die Menschen umgehend in geschlossene Räume begeben, Fenster und Türen schließen und das Radio einschalten. Doch bevor sich Verschwörungstheoretiker und Apokalyptiker die Hände reiben: All diese Szenarien sind sehr unwahrscheinlich. Es sind Notfallpläne, die in Schubladen lagern und wohl nie zur Anwendung kommen. Die Sirenen etwa haben seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr geheult, mit Ausnahme des jährlichen Probealarms (jeden 3. Mittwoch im September um 10 Uhr).

Das heißt aber nicht, dass Immel und seine Kollegen in der Praxis nie gefordert sind. Der letzte große Einsatz fand im November 2014 statt, als in Weisenau eine 1.000-Kilo-Bombe aus dem zweiten Weltkrieg gefunden wurde. Der Bevölkerungsschutz berief ein Krisentreffen, organisierte die Entschärfung und auch die Evakuierung der Wohnhäuser. „In diesen Tagen gehen die Arbeitstage dann mal etwas länger …“

Veranstaltungssicherheit

Ein weiterer wichtiger Bereich des Bevölkerungsschutzes ist die Überprüfung von Sicherheitskonzepten von Veranstaltungen. Was passiert im Falle eines Unwetters? Gibt es genug Feuerlöscher? Funktionieren die Notausgänge? Nicht immer sind die Veranstalter glücklich, wenn sie nachbessern müssen. Sicherheit ist eben teuer. Wie wichtig solche Prüfungen sind, zeigt sich exemplarisch am Loveparade-Unglück in Duisburg. Komplette Sicherheit kann es trotz aller Prüfung und Vorkehrungen aber niemals geben. Wie in Nizza, wo ein Terrorist mit einem LKW 84 Menschen tötete. So ein Anschlag sei kaum zu verhindern, sagt Immel mit seiner nüchternen Art. „Sie wissen nicht, wo das nächste Mal etwas passiert.“

von Florian Barz und Jonas Otte (Fotos):