von Tina Jackmuth, Fotos: Anna Thut
Etwa 3.000 Portugiesen und Portugiesinnen, schätzt Agostinho Domingues da Silva, leben heute in Mainz. Die genaue Zahl weiß er nicht, aber die meisten kommen irgendwann ins heutige Vereinsheim und -lokal des U.D.P (Uniao Desportiva Portuguesa) in der Mombacher Straße. Da Silva selbst kam 1974 mit seinen Eltern in die Stadt und hat inzwischen eine Enkeltochter hier. „Die ist schon echte Meenzerin“, sagt er.
Zusammen mit seiner Familie betreibt da Silva das Vereinslokal im Erdgeschoss und ist gleichzeitig 1. Vorsitzender des Sportvereins. Der Erlös des Lokals ist eine der Haupteinnahmequellen des Traditionsclubs, der 2007 wegen Insolvenz einmal kurz vor dem Aus stand.
Vieles dreht sich um Fußball
An den Wänden der Gaststätte zeugen Fotos von der langen Geschichte des Vereins. Da Silva ist Mitglied, seit er 17 ist und hat für den Club über Jahre hinweg aktiv gekickt. Auf einem meterlangen Regal im Gastraum funkeln unzählige Pokale um die Wette. „Jeder Pokal hat seine eigene Geschichte, an die wir uns immer wieder gerne erinnern“, sagt da Silva. Wenn der 51-Jährige von „seinem“ Verein spricht, leuchten seine dunklen Augen. Früher waren die Kicker ausschließlich Portugiesen und gespielt wurde in einer rein portugiesischen Fußball-Liga. Heute ist das Team bunt gemischt. Der Sportdirektor ist deutsch und die beiden Mannschaften des Clubs spielen in der deutschen Liga. Vieles im Verein dreht sich um Fußball. „Aber wir haben auch Tanz- und Musikgruppen und in der Trainingshalle über dem Vereinsheim bieten wir unter anderem Zumba an“, erwähnt da Silva nebenbei. Der Verein ist weitaus mehr als nur ein Sportclub. „Für viele Portugiesen ist er ein Stück Portugal in Mainz.“ Das Restaurant im Vereinsheim trägt seit Jahren zur deutsch-portugiesischen Freundschaft bei. Denn es zieht auch viele Deutsche an. „Sie schätzen neben der Küche vor allem die ungezwungene Atmosphäre“, sagt da Silva. Die müsse man einmal bei Fußballübertragungen in dem Lokal erlebt haben, meint er. Vor allem bei Länderspielen fiebern Portugiesen und Deutsche oft in trauter Einigkeit mit. Dass Portugal bei der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Rio dabei sein wird, freut da Silva besonders. „Ansonsten hätten wir auf jeden Fall zu Deutschland gehalten. Sport verbindet.“ Das ist seine Überzeugung.
In der „portugiesischen Mission“
Auf einem kurzen Stück zwischen Zanggasse und Heidelbergerfaßgasse reihen sich mit „A Tasquinha“, „Casa Algarve“ und „Farol“ mehrere portugiesische Einrichtungen aneinander. Eine davon ist das Restaurant „Café Portugal I“, das Manuel Domingues Nunes nun schon seit 16 Jahren betreibt. Der Portugiese lebt in Mainz seit 1988, als er mit 25 Jahren dem Großvater und zwei seiner Tanten an den Rhein folgte – in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Auch für Domingues Nunes war das damalige Vereinsheim des U.D.P. die erste Anlaufstelle in Mainz. „Es war zu dieser Zeit noch in den Räumen der portugiesischen Gemeinde in der Schießgartenstraße untergebracht und entwickelte sich unter dem Namen „Portugiesische Mission“ recht bald zu einem kulinarischen Geheimtipp“, erinnert sich der heute 50-Jährige. Einige Jahre hat er dort in der Küche gearbeitet. Dann wurde das Vereinsheim vorübergehend geschlossen. Domingues Nunes musste neu anfangen. Ehemalige Stammgäste überredeten ihn und einen Partner, selbst ein Restaurant zu eröffnen. Die legendäre Speisekarte des Vereinsheims mit ungeschälten Knoblauchkartoffeln, in Olivenöl getränkten Gambas (Riesengarnelen) und Bacalhau (Stockfisch) hat das Café Portugal damals eins zu eins übernommen. Vom guten Ruf der „portugiesischen Mission“ hat das Restaurant bis heute profitiert. „Wir haben nie Werbung gemacht und waren trotzdem immer erfolgreich“, sagt Manuel Domingues Nunes stolz. Seit 2007, nach der Trennung von seinem Geschäftspartner, führt er das Lokal in Eigenregie mit seiner Frau. Viel Holz, der pausenlos flimmernde Fernsehbildschirm und Einwegpapiertischdecken sorgen für eine authentische Atmosphäre. 90 Prozent der Gäste sind Deutsche. Nur sonntags zum Mittagstisch finden sich traditionell mehr Portugiesen ein. „Deutsche Gäste sind mir oft lieber. Sie sind leichter zufrieden zu stellen. Die Portugiesen haben immer was zu meckern“, schmunzelt der Restaurantchef. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich die meisten „Mainzer“ Portugiesen untereinander kennen. Das hat aber auch viel Positives. Man hilft sich, tauscht sich aus und pflegt die gemeinsame Kultur. Nach Portugal zurück zieht es den Gastronomen nur noch für einen jährlichen Kurzurlaub. Seine beiden Kinder, eine 14-jährige Tochter und ein 12-jähriger Sohn, sind in Mainz geboren und viele seiner Freunde und Verwandten haben der Heimat inzwischen selbst den Rücken gekehrt.
Liebe und Hochprozentiges
Großes Heimweh verspürt auch Cristina Geadas nicht. „Das einzige, was ich hier in Mainz vermisse, sind meine Eltern. Aber nach fünf Wochen Urlaub in Portugal möchte ich eigentlich wieder zurück nach Deutschland“, sagt die Inhaberin des „Casa Algarve“ in der Hinteren Bleiche. Vor 17 Jahren ist sie vom Norden Portugals hierher gekommen – wegen der Liebe. „Ich gehöre schon zur zweiten Generation von Portugiesen hier. Inzwischen gibt es ja schon die dritte“, so die 42-Jährige, die selbst zwei Söhne (7 und 15 Jahre) in Mainz zur Welt gebracht hat. Ihr Mann stammt von der Algarve. Er war damals schon über ein Jahr alleine in der Stadt – wie viele andere portugiesische Männer, die erst einmal ohne Frau oder Familie nach Deutschland gekommen sind, um auf dem Bau Geld zu verdienen. „Oft hat das Geld nicht gereicht, um die Angehörigen nachkommen zu lassen“, erzählt Cristina. Sie hatte Glück und konnte ihrer Liebe recht bald nach Mainz folgen. Schon seit 15 Jahren betreibt sie ihren kleinen Laden mit Spezialitäten aus Portugal, Brasilien und Spanien. Vor kurzem hat sie eine Filiale in Wiesbaden eröffnet. Seitdem hilft ihr Mann hauptberuflich im Geschäft mit. Das Sortiment umfasst südländische Lebensmittel und eine beachtliche Auswahl an portugiesischen Spirituosen vom Portwein über Amendoa Amarga (Mandellikör) und Macieira (ein portugiesischer Brandy) bis hin zum Medronho aus Walderdbeeren. Natürlich gibt es auch portugiesisches Bier und Weine. Im Schaufenster stapeln sich landestypische Keramikwaren. Neben Bacalhau (dem berühmten Stockfisch), Wurstwaren und Kaffee aus Portugal sind die alkoholischen Spezialitäten der Verkaufsschlager.
Gemeinsamer Glaube verbindet
Schnell noch eine Zigarette, dann ist Pfarrer Barnabé bereit zum Gespräch. Auch Geistliche haben irdische Bedürfnisse. Zugegeben – der junge dunkeläugige Mann entspricht nicht ganz dem „klassischen“ Bild eines Pfarrers. Vieles scheint in der portugiesisch sprechenden Pfarrgemeinde auf den ersten Blick ein wenig anders zu sein. Der Gemeindesaal mit Theke und Dauerbeschallung durch ein portugiesisches Fernsehprogramm erweckt eher den Anschein eines Vereinslokals. „Er ist auch Gemeinschaftsraum für Feste und dient als Treffpunkt nicht nur für Mitglieder der Gemeinde“, sagt Rui Barnabe. Vor 3 Jahren ist der 34-Jährige aus Portugal nach Mainz entsandt worden. Nach zwei Jahren als Pfarrvikar hat er vor einem Jahr die Leitung der Gemeinde als Pfarrer übernommen. Nebenbei ist er auch noch Student der Uni Mainz und schreibt gerade an seiner Doktorarbeit über dogmatische Theologie. Trotz der doppelten Belastung hat er sich hohe Ziele gesteckt und sorgt in der katholischen Gemeinde, die seit fast 50 Jahren existiert, für etwas „frischen Wind“. Rui Barnabé stellt klar: „Früher war es eine portugiesische Gemeinde, heute sind wir eine zwar portugiesisch sprechende, aber ganz normale deutsche Pfarrgemeinde, die dem Bischof in Mainz unterstellt ist.“ Etwa 4.000 Mitglieder aus acht portugiesisch sprechenden Ländern zählt die Gemeinde. Neben Mainz-Stadt und -Süd gehören Bingen, Alzey und Worms zu ihren Dekanaten. Die Sonntagsmesse, die in der Antoniuskapelle in der Adolf-Kolping Straße in Mainz stattfindet, ist in der Regel gut besucht. Zu besonderen Anlässen platzt das kleine Gotteshaus schon mal aus allen Nähten und auch im Gemeindesaal in der Hinteren Bleiche wird es dann voll. Das freut den Pfarrer – vor allem, wenn auch Deutsche den Weg hierher finden. „Unsere Gemeinde soll keine Insel sein, sondern eine Brücke bilden.“ Und einige Brücken sind bereits geschlagen. Etwa beim monatlichen „Mittagstisch“ für Ältere und Obdachlose oder beim deutsch-portugiesischen Gottesdienst. Ab Mitte nächsten Jahres sollen zudem Deutsch-Kurse im Gemeindehaus angeboten werden. „Ich selbst würde mich in einem Land, in dem ich nicht die Zeitung lesen oder auch mal ins Kino gehen kann, nicht richtig wohl fühlen“, betont Barnabé. Auch er musste vor drei Jahren erst einmal deutsch lernen. Trotzdem hat er sich immer willkommen gefühlt. Die Region am Rhein mit ihren Weinbergen gefiel ihm auf Anhieb. Nur manchmal fehlt ihm der Ozean, an der Küste zwischen Porto und Coimbra. Ob er in zwei Jahren, nach Ablauf seines Mandats, ans Meer zurückkehrt, bleibt offen. Aber bis dahin gibt es noch viel für ihn zu tun, für die Gemeinde und seinen Doktortitel. Die meisten seiner Landsleute dagegen zieht es nicht zurück nach Portugal. Sie haben hier ihren Frieden gemacht und in Mainz ein neues Zuhause gefunden.