In einer dörflichen Gegend in Mainz-Bretzenheim gibt es zwischen Einfamilienhäusern einen neuen Dönerladen. So schlicht wie die Hausfassade ist auch der Name: DER DÖNERLADEN steht dort über den großen Fenstern. Doch betritt man den Laden, hat man das Gefühl, man sei bei Freunden zu Gast. Nicht etwa weil der Raum besonders kuschelig eingerichtet ist oder weil die Einrichtung an ein Wohnzimmer erinnern würde. Nein, wahrscheinlich liegt es an Fatma Ugurlu. Sie begrüßt ihre Gäste auf eine ruhige und vertraute Art, rollt den Teig für die Gözleme dünn aus und dreht den Salat in einen Dürüm – das alles „mit Liebe“, soll sie später sagen.
Alle Gerichte werden frisch zubereitet, der Teig mit der Hand geknetet, das Gemüse selbst gebraten: „Meine Frau ist eine Künstlerin. Jedes Gericht ist ein Gemälde“, sagt ihr Mann Eray Ugurlu lachend, als er hereinkommt. Fatma trägt Schwarz, dazu silbernen Schmuck mit blauen Steinen. Sie hat einen offenherzigen Blick, bringt zwei Teller zu zwei Gästen und setzt sich neben ihren Mann, um zu erzählen: „Ich hatte einen Traum“, beginnt sie: „Niemand bietet hier das Essen an, wie ich es in meiner Heimat kennengelernt habe. Ich wollte traditionelle Gözleme machen, wie meine Großmutter in der Türkei.“
Kampf ums Überleben
Eine Zeit lang rückte der Traum in weite Ferne. Mit ihrer Tochter, einem ihrer drei Kinder, hatte sie bereits vor Jahren einen Businessplan für den Dönerladen geschrieben. Die beiden hatten mit Eray durchgerechnet, wie sie das Essen ihrer Heimat unter die Mainzer bringen können. Doch dann erkrankte die Tochter – lebensgefährlich: akutes Leberversagen. Der Traum vom eigenen Laden wurde irrelevant. Europaweit musste nach eine Spenderleber gesucht werden, es blieben nur wenige Wochen. Die Familie verbrachte viel Zeit im Krankenhaus. Glücklicherweise konnte ein Spenderorgan gefunden werden. Es folgte ein Autounfall ihres Sohnes, auch er überlebte. Dass Fatma jetzt mit 47 Jahren in ihrem eigenen Laden steht, den sie mit ihrer Tochter vor deren Erkrankung geplant hatte, ist ihre Art, damit umzugehen. Heute hilft ihre Tochter gelegentlich aus. Und endlich funktioniert alles: Der Laden ist gut besucht und Fatma überlegt sogar, einen zweiten zu öffnen.
Von Frau zu Frau
Neben Fatma arbeiten noch drei weitere Frauen im Dönerladen. Dass hier ausschließlich Frauen tätig sind, ist für einen Dönerladen eher ungewöhnlich. Und es hatte sich eher zufällig ergeben. An einem Abend war der Laden voll und eine Freundin packte spontan mit an. Die Arbeit ging viel besser von der Hand und daraufhin stellten Fatma und ihr Mann die Freundin als erste Arbeitnehmerin an. Ähnlich erging es ihr auch mit den anderen. Zudem findet Fatma: Frauen sind viel hygienischer und angenehmer: „Männer machen das oft lieblos, sind verschwitzt. Ich habe so viele Männer in Dönerläden beobachtet …“ Dabei müsse das ganze Paket perfekt sein, das Auge esse mit. Fatma arbeitet gerne mit den Frauen, die sie „Schwestern“ nennt.
71 Gerichte auf der Karte
Die Speisekarte wurde erst mit der Zeit länger. Sie reicht von Fatmas Lieblingsgericht Gözleme (dünner Yufka-Teig, gefüllt mit Schafskäse und Spinat oder mit Wurst und Gemüse) über klassischen Döner bis zu veganen Speisen. Fatma ist kreativ, wollte eigentlich mal Modedesignerin werden. Und sie ist eine aufmerksame Beobachterin und kann zuhören. Auf die Idee, vegane Rezepte anzubieten, hatten Kunden sie gebracht. Jemand fragte eines Tages, ob es keine veganen Alternativen gäbe. Daraufhin eilte Eray in den Supermarkt und kaufte Sojajoghurt. Und wenn man Glück hat, kommt man bei den Ugurlus auch zu einem Gericht, das gar nicht auf der Karte steht. An manchen Tagen kocht Fatma etwa eine Süßspeise aus Kürbis, Mehl und Zucker zum Tee oder etwas anderes Feines. Alles wie von Großmutter gemacht – und die wurde so 101 Jahre alt.
Text Lena Frings Fotos Emanuel Spieske