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Halt im Warteraum – Zu Besuch in der Flüchtlingsunterkunft „Kommissbrotbäckerei“

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von Florian Barz und Katharina Dubno (Fotos):

Houda Karn arbeitet als Sozialarbeiterin in der Flüchtlingsunterkunft „Kommissbrotbäckerei“. Eine Verbündete an einem trostlosen Ort.

Die junge Mutter mit Kopftuch zupft Houda Karn eindringlich am Ärmel. Sie möchte ein Erinnerungsfoto machen. Jetzt gleich, hier im Aufenthaltsraum der Flüchtlinge, der in Wirklichkeit nur eine ehemalige Lagerhalle ist. Wenige Bierbänke und Sessel stehen verloren darin, an der Wand hängen verkabelte Steckdosen zum Handyaufladen. Ein paar Kinder spielen Schach. Draußen pfeift der Wind, drinnen dröhnt jedes Wort als hallendes Echo wider.

Houda Karn lächelt gerührt, als sich die syrische Frau und ihre kleinen Kinder für das Selfie zwischen sie drängen. Alle grinsen in die Smartphone-Kamera. „Wenn morgen früh der Bus kommt, um die Menschen abzuholen, fließen Tränen. Bei uns und bei den Flüchtlingen, das ist immer so“, sagt Houda. Die Familie wird gemeinsam mit anderen Flüchtlingen in eine neue Einrichtung im Land gebracht. Mehrere Wochen haben sie zuvor in der Mainzer Erstaufnahme- Einrichtung gelebt, eingepfercht mit 160 anderen Flüchtlingen, fast ohne Privatsphäre, ohne zu wissen, wann und wie es weitergeht. Trotzdem ist der Abschiedsschmerz groß.

Wie bei Cezar. Der junge Musiker aus Syrien wohnt inzwischen in einer Gemeinschaftsunterkunft in Wittlich und kehrt doch regelmäßig nach Mainz zurück. Auch heute steht der schlaksige Mann mit Vollbart wieder am Eingangstor und wartet geduldig auf Einlass. Der Sicherheitsmann ruft Houda via Funkgerät. Als sie erfährt, wer der Besucher ist, kann sie sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Viele kommen zu uns zurück, weil es ihnen bei uns besser gefallen hat als in ihrer neuen Einrichtung“, sagt die 36-Jährige und es klingt entschuldigend. „Sie wollen hierbleiben, aber wir müssen sie leider enttäuschen.“ Immerhin – für ein paar Stunden darf Cezar bleiben, zum Essen und um einfach mal zu quatschen.

Verbündete an einem tristen Ort

Beinahe täglich wabern Berichte über Gewalttaten und unhaltbare Zustände in Flüchtlingsunterkünften durch die Medien. Auf dem Mainzer Layenhof konnte im Februar nur ein Großaufgebot der Polizei  eine Massenschlägerei verhindern. In Trier-Eulen prügelten sich Albaner und Syrer nach einem Fußballspiel. In einer Einrichtung in Mannheim hat die Polizei inzwischen eine eigene Wache eingerichtet. Und bei Houda Karn stehen die Flüchtlinge wieder vor der Tür und wollen zurück? Sie bleibt diplomatisch: „Ich kann nichts über andere Einrichtungen sagen, aber bei uns herrscht ein gutes Klima, trotz Konflikten, die es natürlich auch gibt.“

Die Erstaufnahme-Einrichtung „Kommissbrotbäckerei“ soll langfristig 800 Flüchtlingen Platz bieten. Das Gebäude, 1902 als Neubau der Garnisonsbäckerei der Mainzer Festung errichtet und zuletzt in den Händen der Bundeswehr, liegt unweit des Rheins in der Neustadt. Dicke Mauern und Zäune versperren den Blick nach draußen. An vielen Stellen blättert der Putz von der Fassade. Rund um die Uhr patrouillieren uniformierte Männer des Sicherheitsdienstes durch die Räume und über den Hof. Rückzugsorte gibt es kaum.

Neben Houda arbeiten 13 Sozialarbeiter in Schichten von 7:30 Uhr bis 20:30 Uhr in der Einrichtung. Für die Flüchtlinge sind sie Verbündete an einem tristen Ort der Ungewissheit. Besonders Houda. Überall, wo sie hinkommt, strahlen und winken die Menschen ihr zu. Kinder folgen ihr und lachen, wollen sie berühren. Und immer wieder sprechen Menschen sie auf Arabisch an. Eine Frau hat ihre Hauskarte verloren, eine andere will wissen, um wie viel Uhr der Bus abfährt. Oft geht es um Dokumente, die Houda übersetzen soll. Sie nimmt sich für jeden Zeit, antwortet geduldig, manchmal auch streng.

Schlüsselerlebnis in Ingelheim

„Integration beginnt mit dem Gefühl, willkommen zu sein“, sagt Houda, die fließend arabisch spricht. Vor zehn Jahren zog sie von Marokko nach Deutschland, wo sie ihren Mann heiratete. Das Gefühl, fremd zu sein, kann sie deshalb nachempfinden. „Die erste Zeit in Deutschland war sehr hart für mich“, erinnert sie sich. „Vieles an der Kultur ist fremd. Es dauert, bis man sich eingelebt hat.“ Houda stieg damals nur für ein paar Stunden in ein Flugzeug, anders als die Flüchtlinge.

„Das Schlüsselerlebnis hatte ich letztes Jahr in Ingelheim. Ich habe ehrenamtlich bei der Aufnahme der Flüchtlinge übersetzt. Einmal kamen Menschen um vier Uhr in der Früh an, Menschen in größter Not, die gerade Die Kinder spielen auf dem trostlosen eingezäunten Hof mit dem Allernötigsten versorgt wurden. Ihre Füße waren teilweise mit den Schuhen zusammengewachsen, aber sie waren einfach nur glücklich, in Deutschland zu sein. Jedes Mal, wenn ich daran denke, bekomme ich eine Gänsehaut.“ Die zweifache Mutter trat daraufhin in der Firma ihres Mannes kürzer, um für das rote Kreuz Vollzeit als Sozialarbeiterin zu arbeiten.

Jeder hat eine Aufgabe

Zwei männliche Flüchtlinge um die 20 fegen auffallend emsig den Hof. Als Houda vorbeikommt, winken sie stolz und deuten auf ihre prall gefüllten Müllbeutel. Houda reckt lobend beide Daumen. Jeder hat in der Einrichtung eine Aufgabe, das haben Houda und ihre Kollegen durchgesetzt. Die einen putzen die Treppen oder Toiletten, andere kümmern sich um die Wäsche. „Um 12 Uhr soll die Bude hier sauber sein, sag ich immer. Dafür wurde extra ein Weckdienst eingeführt. Es geht auch um einen geregelten Tagesablauf, um Routine.“ Jeder Flüchtling wird dabei nach seinen Fähigkeiten eingesetzt. Ein Elektroingenieur aus Syrien repariert kaputte Waschmaschinen. Ein syrischer Frisör stellte einen kleinen Salon auf die Beine. „Das war ein echter Starfrisör, der im Libanon den Promis die Haare geschnitten hat“, erzählt Houda stolz.

Inzwischen ist der Mann in eine andere Einrichtung weiter gezogen. Ein junges Paar aus Syrien führt seinen Laden fort. Kosten pro Besuch: 5 Euro. Nicht wenig, bei einem Taschengeld von ca. 30 Euro in der Woche pro Flüchtling, trotzdem ist der Andrang immer groß. Natürlich gibt es auch Flüchtlinge, die desillusioniert sind und sich über die Unterkunft beschweren. Schlepper verbreiten gezielt Gerüchte, dass in Deutschland ein Haus, ein Auto und viel Geld auf sie warten. Manch einer sinniert sogar von Flüssen aus Cola, die durch Deutschland fließen. Da sorgt die Realität für Ernüchterung. „Wir wissen, dass die Bedingungen nicht optimal sind“, sagt Houda, „aber es ist nun mal eine Notsituation. Und immerhin gibt es ein Dach über dem Kopf und warmes Essen.“


_MG_6409finalWer schlägt, fliegt

Um halb eins reiht Houda sich in die akkurate Schlange vor der Essensausgabe ein, die von zwei Sicherheitsmännern bewacht wird. Beim Mittagessen begegnen sich Bewohner, die sich sonst aus dem Weg gehen können. Da ist Vorsicht angebracht. Die, die ihr Essen schon bekommen haben, drängen sich auf Bierbänken zusammen. Es gibt arabisches Essen; Lamm und Gemüse, dazu Fladenbrot. Einige schlingen es regelrecht herunter.

„Wir legen sehr viel Wert auf das Essen. Das ist ganz entscheidend für die Stimmung“, sagt Houda, während sie sich auf eine Bank quetscht, auf der Mitarbeiter vom Roten Kreuz und Flüchtlinge beieinander sitzen und miteinander schwatzen. Eine Frau spricht Houda schüchtern auf Arabisch an. Wann ihr Mann endlich zurückkomme? Sie wisse es nicht, sagt Houda. Das Team hat den Ehemann vor einigen Wochen in ein Lager in Ingelheim verbannt, weil er sie vor Zeugen geschlagen hat. „Gewalt dulden wir nicht“, sagt Houda ernst. „Wer schlägt, der fliegt. Diese Regel ist nicht diskutierbar. Da muss man zur Not eben knallhart sein.“ Das Ehepaar wird sich wohl erst wiedersehen, wenn eine Unterkunft in einer Kommune in Rheinland-Pfalz gefunden ist. Und auch nur dann, wenn die Frau das ausdrücklich wünscht.

Ungewisse Rückkehr

„Integration bedeutet nicht, dass man nach drei Monaten fertig ist“, sagt Houda Karn. „Das ist ein langer Prozess. Man muss eine neue Sprache lernen und sich in die totale Abhängigkeit der Behörden begeben. Manche halten das nicht aus.“ So wie Cezar, der Musiker aus Syrien. Das Warten auf seinen Asylantrag setzt ihm zu, die Langeweile, das Zeit- Tot-Schlagen, während in den Nachrichten täglich die Bilder von Toten und zerstörten Gebäuden in Syrien zu sehen sind. Seine Eltern sitzen dort fest, sind erkrankt. Deshalb hat er jetzt den Entschluss gefasst, wieder in seine Heimat zurückzukehren. Bis er alle Papiere zusammen hat, muss er aber noch in Wittlich ausharren. Houda und ihre Kollegen legen deshalb zusammen – damit Cezar das Zug-Ticket für die Rückfahrt bezahlen kann. Vielleicht bleibt noch Zeit für ein Erinnerungsfoto.