1,2 Milliarden Euro – so hoch war bis vor Kurzem (2020) noch der Schuldenstand von Mainz – und ein Ende der Defizite nicht in Sicht. Doch: Dank Corona und vor allem Biontech wurde Mainz quasi über Nacht zu einer der reichen Städte Deutschlands.
Die Steuervorauszahlungen des Unternehmens an der Goldgrube liegen bei über einer Milliarde Euro. Dazu kommen weitere Millionen wie die von Schott, die die Glasampullen auch für Impfstoffe herstellen. Das macht 2021 für den städtischen Kämmerer zu einem sehr besonderen Jahr: Die Gesamterträge liegen bei fast 1,9 Milliarden Euro, das ist in etwa drei Mal so viel wie in den vergangenen Jahren. Dem gegenüber stehen Aufwendungen von gut 1,2 Milliarden Euro, auch fast das Doppelte wie früher; die größte Steigerung hier bei den Personal- und Versorgungsaufwendungen. Um mehr als das Doppelte sind diese plötzlich gestiegen – einmalig aber nur, aufgrund von Zinseffekten und Rückstellungen. Dennoch: Mainz profitiert enorm. Von dem jetzigen Geldregen werden in den kommenden Jahren die Stadt und damit auch die Bürger einiges haben. Mainz ist von einer hoch verschuldeten Kommune zu einer der fünf einkommensstärksten Städte Deutschlands geworden – direkt hinter München, Frankfurt und Köln. Bei den Pro-Kopf-Einnahmen sogar zur Nummer 1 der kreisfreien Städte in ganz Deutschland! Finanzdezernent Günter Beck spricht vom „Wunder von Mainz“. Für die nächsten Jahre rechnet die Stadtspitze mit weiterhin sprudelnden Einnahmen. Die Ergebnisrechnung für das Jahr 2021 schließt mit einem Plus von 650 Mio. Euro ab (im Rahmen des Jahresabschlusses wurden noch einige Rückstellungen gebucht). Der dickste Batzen Gewerbesteuer kam aus dem Bereich „Erbringung von freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen“, zu dem Biontech gehört, mit 1,042 Milliarden Euro. Es folgen mit weitem Abstand die Finanz- und Versicherungsdienstleister mit 39,8 Mio. Euro, 17,8 Mio. Euro kamen vom Handel und 13,8 Mio. Euro vom verarbeitenden Gewerbe. Alle anderen Branchen liegen deutlich unter der 10 Mio. Euro-Marke.
Kredit-Abbau und Steuersenkungen
Zuerst werden die alten Kassen- und Investitionskredite von insgesamt fast 920 Mio. Euro bis Ende 2024 auf gut 350 Mio. Euro abgetragen. Noch vor einem halben Jahr wäre ein solcher Schuldenabbau ohne Hilfe des Bundes oder Landes undenkbar gewesen. Daneben hat die Stadt den Gewerbesteuer- Hebesatz von 440 auf 310 Punkte abgesenkt. Mainz und Ingelheim haben damit den niedrigsten Hebesatz in der ganzen Region. Das verschafft den Unternehmen Luft und macht weitere Ansiedlungen interessant – reduziert die künftigen Gewerbesteuereinnahmen aber auch um ein Drittel: also etwa 600 Millionen Euro weniger. Aktuell meldeten die Ämter ihre Bedarfe und Einnahmen an. Dies passiere bis Ende April, anschließend würden die Eingaben überprüft, bevor im Juni die Amtsleiter alle Positionen
zusammen durchgingen. Die Fragen, die dort nicht geklärt werden könnten, müssten auf Dezernenten-Ebene und mit dem OB diskutiert werden, bevor der Finanzdezernatsentwurf Anfang August vom Stadtvorstand verabschiedet und im September in den Stadtrat eingebracht werde. Dann bekommen noch die Fraktionen die Möglichkeit, Änderungsanträge zu den vorgelegten Plänen anzubringen, die Ende November verabschiedet werden sollen. Die Wunschliste ist lang: Geld für Soziales, Schulen, Kitas, die Stadtentwicklung, Kultur, den Sport und Klimaschutz, einen besseren und vor allem preisgünstigeren Öffentlichen Personennahverkehr und vieles mehr. Gefordert wurde auch schon die Senkung der Grundsteuer B, damit würde ein Großteil der Mainzer Haushalte einige Euro sparen – dringend benötigt in der aktuellen Phase der Teuerungen und Inflation. Mit einem zwölf Punkte umfassenden Aufgabenkatalog hat der Stadtrat den Weg für eine „nachhaltige Haushaltspolitik“ in den kommenden Jahren abgesteckt. Doch nicht alles wird sich umsetzen lassen. Finanzdezernent Beck gibt zu bedenken, dass die Stadt zwar mit erheblich mehr Geld aus der Gewerbesteuer rechnen kann. „Auf der anderen Seite werden wir aufgrund unserer verbesserten Finanzlage weniger Fördermittel für Projekte oder Schlüsselzuweisungen des Landes erhalten.“ Hinzu kommt außerdem die unsichere weltpolitische Lage. Bislang sähen die Planungen für 2023 ein Plus von 22 Mio. Euro vor, doch davon würden wahrscheinlich 10 Mio. schon durch die erhöhten Energiepreise verbraucht. Dennoch wird weiter darüber gebrütet, wie das Geld nun am sinnvollsten eingesetzt werden kann. Zumal die Stadt mit den positiven Haushalten in den kommenden Jahren nicht mehrunter der Knute der Aufsichtsbehörde ADD steht und so freier entscheiden kann, der Gestaltungsspielraum nun also wesentlich größer ist. Und auch das Land Rheinland-Pfalz gehört zu den wirtschaftlichen Gewinnern der Pandemie. Aus einem vergleichsweise armen Bundesland wird ein überdurchschnittlich reiches. Es wechselt damit im Finanzausgleich die Seiten: Das traditionelle Nehmerland wird zum Geber, also Zahlerland. Der rheinland- pfälzische Landeshaushalt wies im Jahr 2021 einen Finanzierungsüberschuss von fast 2,3 Milliarden Euro aus. In dem Ergebnis schlugen sich vor allem stark gestiegene Steuereinnahmen des Landes nieder, die über 2,6 Milliarden Euro höher lagen als bei der Haushaltsaufstellung veranschlagt. Finanzministerin Doris Ahnen gab bekannt, dass der Haushaltsüberschuss zur Tilgung von Schulden des Landes sowie zur Unterstützung der rheinland-pfälzischen Kommunen eingesetzt wird.
Kritik aus Wiesbaden
Kritik kam aus unserer Nachbarstadt. Die Wiesbadener Lokalpolitik hat sich über die Senkung der Gewerbesteuer in Mainz beschwert. Als „extrem unsolidarisch“ bezeichnete etwa der Linke Ingo von Seemen die Senkung des Hebesatzes. Auch SPD-Fraktionschef Hendrik Schmehl berichtete, seine Fraktion sei „not amused“ über den Schritt auf der anderen Rheinseite. Der Mainzer OB Ebling (SPD) nimmt es gelassen: „Das Wort „unsolidarisch“ finde ich in diesem Zusammenhang nicht angemessen“, sagt er im Gespräch mit der Allgemeinen Zeitung. Er könne sich an viele Jahrzehnte erinnern, in denen sich Wiesbaden finanziell in einer wesentlich besseren Situation als Mainz befunden habe: „Und in dieser Zeit hatte ich nicht den Eindruck, dass es in Wiesbaden in dieser Hinsicht Gedanken an uns gegeben hat.“ Ebling betonte aber auch, dass sich die Senkung der Gewerbesteuer an „stark forschungsgetriebene Unternehmen oder Firmen richtet, die an einer Schwelle zur Gründung stehen“. Denn Mainz wolle sich zum weltweit führenden Biotechnologiestandort aufbauen.
Biotechnologie: Mainz braucht Platz
Um nachhaltigen Erfolg zu sichern, wollen Stadt und Land den Standort Mainz bzw. ganz Rheinland-Pfalz nun zu einem Biotechnologiestand ausbauen – mit Biontech als Zugpferd. Das Land gründete kürzlich den neuen „Beirat für Biotechnologie“, für den die Landesleiterin Deutschland von Boehringer Ingelheim, Dr. Sabine Nikolaus, den Vorsitz übernommen hat. Rund20 Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft sind dabei und sollen Impulse setzen, darunter auch die Mainzer Unimedizin und OB Ebling. Wissenschaftsminister Clemens Hoch: „Wir werden in den kommenden zehn Jahren nochmals mindestens weitere 100 Mio. Euro investieren. Diese Förderungen sollen durch Bundes- und private Mittel verdoppelt werden. Wir stärken damit die Grundlagenforschung und die anwendungsnahe Forschung insbesondere in den Lebens- und Gesundheitswissenschaften sowie der Biotechnologie. Unsere Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden so regional, national und international noch attraktivere Forschungs- und Kooperationspartner.“ Der Landeskoordinator für Biotechnologie, Uni-Präsident Prof. Dr. Georg Krausch, will daneben auch der wachsenden Bedeutung der Künstlichen Intelligenz Rechnung tragen. Und Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt hat sich mit der Stadt Mainz darauf verständigt, das Technologiezentrum Mainz auf die Bereiche Biotechnologie und Life Science auszurichten und dort neue Labor- und Büroflächen für Start-ups im Bereich Biotechnologie, Life Science, Medizin und Pharmazie bereitzustellen.
Platzprobleme
Das Hauptproblem für Mainz bleibt dabei weiterhin der Platz. Biontech & Co benötigen mehr Fläche. Schon länger in Planung ist daher das Stadtquartier ehemalige GFZ-Kaserne (O 53) in Hechtsheim. Dort sollen u.a. Entwicklungsmöglichkeiten für Forschungs- und Technologienutzungen stattfinden. Biontech wurden bereits Flächen angeboten, die nun nochmals erweitert werden. Bereits seit 2011 hat das Unternehmen seinen Hauptsitz auf einer aus der militärischen Nutzung entlassenen Teilfläche der ehemaligen Kaserne und expandiert seitdem am Standort. Bald soll ein eigenständiger „BioNTech-Campus“ entstehen. Auch etwa 450 Wohneinheiten werden auf dem Gelände entstehen. Durch eine im Vergleich zu vorherigen Plänen veränderte Gebäudestruktur, unter anderem auch mehr Geschosse, sei es möglich, bei der Zahl der geplanten Wohnungen keine Abstriche machen zu müssen. Zudem sollen dort die Ortsverwaltung Oberstadt, zwei Kitas und ein Nahversorger entstehen. „Wir planen, unseren Hauptsitz an der Goldgrube zu einem Forschungs-Campus mit Verwaltung weiterzuentwickeln“, sagt Dr. François Clement Perrineau, Senior Director Laboratory & Infrastructure Management von Biontech. „Nach aktueller Planung sollen am Biontech-Campus Labor- und Büro-Flächen für jeweils 1.000 Mitarbeiter in der Forschung und Entwicklung sowie in der Verwaltung entstehen. Marburg und Idar-Oberstein werden weiterhin Hauptstandorte für die Herstellung unserer COVID-19-Impfung und Produktkandidaten für klinische Studien sein. So haben wir die Möglichkeit, ein internationales Unternehmen mit Sitz in Mainz aufzubauen.“ OB Ebling verspricht indes, an anderer Stelle der Stadt Raum für weitere Unternehmen und Wohnraum zu schaffen. Was daraus wird, wird man sehen. Es ist schwer vorstellbar, dass Mainz mit seinem ewigen Platz- und Raummangel Biotechnologie- Standort mit tausenden Arbeitsplätzen sowie diversen dafür nötigen Flächen werden kann und dabei gleichzeitig seinen unterbesetzten Wohnungsmarkt weiterentwickelt. Dafür fehlt es weiterhin an Platz, will man nicht Areale „draußen auf der grünen Wiese“ dazunehmen, die sich nicht nach Belieben bebauen lassen; oder eben Frischluftschneisen opfern – Stichwort Klimaschutz. Den einen oder anderen Tod wird Mainz demnächst hier wohl sterben müssen.
ZBM als Koordinator
Die Zentrale Beteiligungsgesellschaft der Stadt Mainz (ZBM) ist eine der Schlüsselstellen beim Aufbau des „internationalen Biotech-Hubs“. Die Bemühungen in Sachen Biotechnik seien vor allem marketingtechnischer Natur, sagt Finanzdezernent Günter Beck (Grüne), der gemeinsam mit Stadtwerke-Chef Daniel Gahr die Geschäftsführung der ZBM innehat. „Die ZBM soll eine Drehscheibenfunktion für die Biotechnik in Mainz haben“, so Beck. Man wolle eine „ganzheitliche Kommunikationsstrategie“ entwickeln. Gründer und andere interessierte Unternehmen sollen so abgeholt werden. Bislang war das Thema Biotechnik in der Stadt vor allem im Wirtschaftsdezernat bei Manuela Matz (CDU) angesiedelt. „Was Flächen für Ansiedlungen angeht, wird sich darum immer noch das Stadtplanungsamt kümmern“, so Daniel Gahr. Und wenn es darum gehe, wo sich ein Gründerzentrum ansiedele oder Laborflächen zu vergeben seien, dann sei auch dafür weiterhin das Wirtschaftsdezernat zuständig. Erster Ansprechpartner in zentralen Fragen soll aber die ZBM sein. Für den neuen Biotech-Hub wurden zwei zusätzliche Stellen geschaffen, eine davon auch im Büro des Oberbürgermeisters.
Erste Erfolge
Auch erste Erfolge gibt es bereits zu verbuchen, Mainz zu einem führenden Biotechnologiestandort auszubauen. Die weitgehend vom Bund finanzierte Helmholtz-Gemeinschaft hat kürzlich die Gründung eines biotechnologischen Forschungszentrums in Mainz angekündigt. Die Helmholtz-Gemeinschaft umfasst bisher 18 naturwissenschaftlich-technische Forschungszentren mit rund 40.000 Beschäftigten. Für Mainz könnte das in einigen Jahren 500 bis 800 Mitarbeiter bedeuten mit einer jährlichen Finanzierung von 50 bis 80 Mio. Euro – über Jahrzehnte hinweg. Der Aufbau eines Helmholtz-Zentrums nimmt in der Regel drei bis vier Jahre in Anspruch. Ein weiterer Neubau müsste dafür auf dem Gelände der Universität errichtet werden. Für Biontech dagegen wird es wichtig, auch nach Corona weiter Relevanz zu haben, etwa durch neuartige Krebsmedikamente. In Mainz sollen die Mittel schon ab 2023 in einer neuen Produktionsanlage hergestellt werden. Insgesamt seien zehn neue Gebäude über Mainz verteilt geplant oder bereits im Bau. Aktuell hat das Unternehmen nach CEO Sahins Worten rund 1.800 Beschäftigte in Mainz und 2.800 weltweit. In den nächsten fünf bis acht Jahren solle die Zahl der Beschäftigten in Mainz auf 3.000 bis 4.000 wachsen. Am 10. März wurden den Gründern von Biontech auch die höchste Auszeichnung der Stadt verliehen: Die Ehrenbürgerwürde. Bei einem Festakt in der Rheingoldhalle übergab OB Ebling die Urkunden an Dr. Christoph Huber, Dr. Özlem Türeci und Dr. Ugur Sahin.
Visionen?
Vieles ist los und in Bewegung in Mainz. ÖPNV-Preise, Soziales, Inflation, Verkehrswende, Kultur – an allen Ecken brodelt es, da kommt der Geldsegen gerade zur rechten Zeit. Sogar die weltweite Wirtschaftskrise kann dadurch hier nun ein wenig abgefedert werden – Mainzer müsste man sein! Die Aktie von Biontech springt zwar noch hin und her, aber man wird sich bald an den Zustand gewöhnen. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob schlau investiert wurde und was die Gewerbesteuer- Investitionen und Biotechnologie-Ambitionen gebracht haben. Der Grundstein ist jedenfalls gelegt, doch zwei Probleme, die die neue Situation mit sich bringt, sind absehbar: Die Stadt wird mit ihrem derzeitigen Personal viele der Wünsche, die kommen werden, nicht zeitnah umsetzen können. Fachkräfte wie zum Beispiel Bauingenieure zu bekommen, ist schwierig. Und, viel wichtiger: Neu nach Mainz ziehende, oft gutverdienende Arbeitskräfte erhöhen den Druck auf die Wohnungspreise und Mieten. Neuer und vor allem auch bezahlbarer Wohnraum muss her. Da ist auch die Politik gefragt.
Text David Gutsche (zu Teilen aus der Allgemeinen Zeitung)