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Für alle Felle – Tiere in der Stadt


von Ejo Eckerle
Fotos Jana Kay

„Sit!“ … and lay down!“ In einem Ton, der keinen Widerspruch duldet und mit eindeutiger Geste weist Ulrike von Moeseke den beiden Airdale-Terriern Sam und Glenn ihren Platz zu. Eben noch sind die Vierbeiner lauthals kläffend durch das Wohnzimmer getollt, jetzt rollen sie sich brav in ihre Körbchen. Stille.
Dass die gelernte Hundetrainerin Englisch mit ihren Tieren spricht, hat seinen Grund: „Sitz und Platz hören sich sehr ähnlich an. Sit und down unterscheiden sich besser. Der Hund lernt diese Befehle dadurch schneller.“ Hört sich logisch an, aber Vorsicht: 1.000 bis 2.000 Wiederholungen sind nötig, bevor ein Hund „kapiert“, was die Kommandos seines Herrn und Meisters bedeuten. Wie aufs Stichwort meldet sich Sam zu Wort. Ulrike van Moeseke lacht: „Hunde imitieren mit ihrem Bellen unsere Sprache, aber natürlich verstehen sie uns nicht. Viel wichtiger sind eindeutige Gesten und eine Haltung, die ihnen klar macht, was gemeint ist. Aber wir neigen dazu, die Tiere zuzutexten.“ Jeder Hund bedeutet Arbeit, sagt Ulrike von Moeske. Und wer wüsste das nicht besser als eine professionelle Hundetrainerin? „Eigentlich arbeite ich mehr mit den Hundebesitzern und coache sie. Das größte Problem im Zusammenleben von Hund und Mensch ist, dass der Mensch seine Gefühle auf das Tier projiziert …“ Mehr noch aber ärgert sie die Gedankenlosigkeit, mit der sich viele ihr Haustier anschaffen: „Das läuft oft im Vorbeigehen mit dem Griff ins Regal. Da wird nicht darüber nachgedacht, was das Tier braucht, wie hoch die Kosten für Ernährung, Tierarztkosten, Impfungen sind und so weiter …“

Lieb und teuer: der Hund in Mainz
Etwa 5.360 amtlich gemeldete Hunde leben in Mainz. Wie hoch die Dunkelziffer derer ist, die nicht erfasst sind und deren Besitzern sich um die Hundesteuer drücken, lässt sich nur schwer schätzen. Bisher waren für einen Hund 120 Euro im Jahr fällig, jetzt sind es 186 Euro. Richtig teuer wird der „Zweithund“. Er kostet 216 Euro im Jahr. Mainz steht mit diesen Steuersätzen an der Spitze aller Städte und Gemeinde in der Bundesrepublik. Die Ampelkoalition, welche diese Steuererhöhung in den Stadtrat einbrachte, geht von einer Einnahmeverbesserung um bis zu 500.000 Euro aus. Zum Vergleich: Im benachbarten Wiesbaden müssen für jeden Hund nur 96 Euro im Jahr gezahlt werden und das gilt in Hessen schon als relativ teuer. Kein Wunder, dass unter den Mainzer Hundeliebhabern der Unmut wächst. Vor allem auch deshalb, weil sich die engagierten Tierfreunde mit ihrem Vorschlag für eine moderate höhere Hundesteuer (144 Euro für die ersten beiden Hunde) nicht durchsetzen konnten.
Richtig in Rage aber geraten Ulrike van Moeseke und ihre Mitstreiter beim Thema „gefährliche Hunderassen“. Wer sich derart gebrandmarkte Tiere zulegen möchte, muss 600 Euro im Jahr dafür bezahlen. In die ab März geltende neue Hundesteuersatzung sind explizit Hunde wie z.B. Bullmastiff, Bull Terrier oder Dogo Argentino aufgenommen worden. „Das wäre genauso als würde man Mitgliedern der Grünen eine Steuer auferlegen, weil sie der Partei der Grünen angehören“, erregt sich die Tierfreundin. Immer wieder hat sie in Diskussionen mit Mitgliedern der Stadtratsfraktionen auf die Erkenntnisse von Experten verwiesen, wonach es keine Hunderasse gebe, die von Natur aus gefährlich sei, sondern ein Hund stets individuell beurteilt werden müsse. Auch die sogenannte „Beißstatistik“ der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Rheinland-Pfalz (ADD), die jährlich Beißvorfälle von Hunden im Land dokumentiert, gibt ihr Recht. Schäferhunde und Schäferhunde-Mischlinge führen die Liste an, nicht die sogenannten „Kampfhunde“. Entscheidend sei, „es kommt auf den Menschen an, was aus dem Hund wird“. Offenbar hat sich die Ampelkoalition auf ihr Gefühl verlassen. „In der angesprochenen Liste befinden sich Hunde, deren Gefährlichkeit vermutet wird. Kann der Halter nachweisen, etwa durch ein tierärztliches Gutachten, dass eine solche Gefährdung nicht vorliegt, wird die Steuer halbiert“, begründet Ralf Peterhanwahr, Pressesprecher der Stadt Mainz, die Entscheidung. Angesprochen auf die Statistik der ADD, verweist er auf die Rechtsprechung: „Die Stadt Mainz hat diese Ergebnisse zur Kenntnis genommen. Erhöhte Steuern auf bestimmte Hunderassen, die von anderen Kommunen teils schon längere Zeit erhoben wurden, wurden gerichtlich bestätigt.“ Es gibt jedoch erste Zeichen der Hoffnung, dass sich an dieser Regel vielleicht doch noch etwas ändert. Bei einem Ortstermin im Mainzer Tierheim hätten sich Mitglieder der CDU-Fraktion gegen eine Rasseliste ausgesprochen.
Auf dem weitläufigen Gelände in der Zwerchallee finden bis zu 100 Hunden, 120 Katzen und rund 200 Kleintiere und Vögel aller Arten Platz. Schon jetzt aber fürchtet Tierheimleiterin Anja Kunze (40), dass es bald eng werden könnte in den Zwingern und die Zahl von Hunden steigt, die von ihren Besitzern verstoßen werden, weil sie die höhere Steuer nicht bezahlen wollen oder können. Ähnliches habe sie in Frankfurt erlebt, als in der Mainmetropole der Satz für „Listenhunde“ auf 900 Euro im Jahr angehoben wurde: „Wir bekamen eine riesige Schwemme an Tieren, die abgegeben wurden, dazu kamen jede Menge Fundtiere, also Hunde, die einfach ausgesetzt wurden.“ Christine Plank, die erste Vorsitzende des Mainzer Tierschutzvereins, ergänzt: „Es ist einfach grotesk, dass Mainz jetzt mit dieser Rasseliste anfängt. Es gibt zigtausend Gutachten, die belegen, dass die Gefährlichkeit nicht an der Rasse festzumachen ist. Zum Teil werden dort Rassen aufgeführt, die in anderen Bundesländern nicht mehr geführt werden, wie die Bordeaux-Dogge, ein echter Liebhaberhund, den man nur ganz selten sieht.“

Streicheleinheiten für „Notfelle“
Dort, wo sich heute 15 hauptamtliche Mitarbeiter um das Wohlergehen von Fell tragenden und gefiederten Artgenossen kümmern, war früher ein Spielplatz. Hundezwinger, Katzenhäuser und Vogelvolieren, Ställe für Kaninchen und andere Kleintiere reihen sich heute hier aneinander. Echte „Notfelle“, wie die Mitarbeiter sie nennen, fristen hier ihr Dasein. Zum Beispiel die Schäferhündin Kiara: Unablässig dreht sie die Runden um ihre Hütte. Das Tier ist dem Stress hier nicht gewachsen und leidet extrem unter der Tierheim-Situation. Trotz aller Bemühungen von Pflegern und ehrenamtlichen Betreuern wird es nicht besser.
Es gibt viele Ursachen, warum ein Tier nicht mehr ins Leben passt. Auf einmal vermehren sich die Kaninchen stärker als erwartet, eine Tierhaarallergie bricht aus und die Kinder, die sich anfangs noch über das süße Meerschweinchen gefreut haben, verlieren auf einmal jedes Interesse: „Ein Kleintier macht jede Menge Arbeit, das unterschätzen viele leider“, weiß Ulrike Plank. „Da muss Obst geschnippelt werden, regelmäßig die Streu gewechselt und der Käfig gesäubert werden. Wenn das zu viel wird, fliegen die Tiere oft raus.“
Gelegentlich werden die Mitarbeiter mit seltsamen Wünschen konfrontiert. Etwa mit der Nachfrage nach einem nicht kastrierten Meerschweinchen-Männchen für das bereits im Haushalt lebende Weibchen. Die Kinder sollten doch mal Gelegenheit haben, „live“ eine Tiergeburt zu erleben. Dumm nur, dass die Nager meistens nachts gebären, wenn die lieben Kleinen tief schlafen. Rund 1.000 Tiere werden jedes Jahr vom Mainzer Tierheim an neue Besitzer vermittelt, meist Kleintiere und Katzen. Für regelmäßigen Nachschub ist gesorgt. Fundtiere, die im Gebiet der Stadt aufgegriffen werden, bringt die Feuerwehr oder das Ordnungsamt im Tierheim unter. Dafür erhält der Verein eine Pauschale aus der Stadtkasse. Zunehmend bereiten den Mitarbeitern „Tiermessies“ Sorgen: Menschen, die in ihrer Wohnung Tiere regelrecht horten und denen meist auf behördliche Initiative diese weggenommen werden. Trotz all dem Elend, das sich im Mainzer Tierheim versammelt, gibt es auch Erfolgsgeschichten zu erzählen. Wie jene von einem Wiesbadener Ehepaar um die 50, das sich für den 13jährigen Staffordshire „Baker“ entscheidet. Solche Hunde müssen nicht nur mit einem denkbar schlechten Ruf kämpfen, aufgrund ihres hohen Alters gelten sie zudem als nahezu unvermittelbar. Seit 2007 lebte Baker im Mombacher Tierasyl. Ein echtes „Hundeleben“. Aus gesetzt von seinen ursprünglichen Besitzern landete er hier, wurde vermittelt – und kam wieder zurück. Baker, der Pechvogel. „Erstaunlich war vor allem, dass seine neuen Besitzer noch nie etwas mit Hunden zu tun hatten. Sie haben ihn kennen gelernt und zwei Tage später zu sich genommen. Mich hat ihre Unvoreingenommenheit beeindruckt“, erzählt Anja Kunze. „Um das Tier zu halten, müssen beide jetzt noch einen Wesenstest und Sachkundenachweis erbringen. Doch das war kein Problem, Hut ab für diese Entscheidung.“ Eine kluge Wahl. Ein Staffordshire im Rentenalter ist die Ruhe selbst.
Um die Aufgaben bewältigen zu können, sind ehrenamtliche Mitarbeiter unverzichtbar. Eine von ihnen ist die Studentin Inga von Rüling. Seelenruhig steht sie im Käfig von Perserdame Minusch und krault ihr Fell. Minusch teilt sich ihre Behausung mit Mimi und so kriegt sie natürlich auch einige Kuscheleinheiten von Inga. Sie ist eine sogenannte „Katzenstreichlerin“. Mehrmals in der Woche kommt die junge Frau vorbei, um ein wenig Zeit mit den Stubentigern zu verbringen. Auch Hundeausführer, die mit Bello und Kollegen Gassi gehen, opfern regelmäßig Zeit für die Tiere. „Die Arbeit der Ehrenamtlichen ist sehr wichtig für uns. Viele Tiere bei uns sind traumatisiert und benötigen viel Zuwendung“, sagt Tierheimchefin Anja Kunze. „Die „Schmusetanten“ strahlen Ruhe und Gelassenheit aus, die uns Hauptamtlichen im Alltagsstress manchmal etwas abgeht.“ Wen diese Arbeit interessiert, ist hochwillkommen. Bedarf an zusätzlichen Kräften besteht immer.

Bambi lebt – im Gonsenheimer Wildpark
Wer sich um das Wohl von Tieren kümmert, braucht neben Begabung auch so etwas wie Leidenschaft für vierbeinige Wesen. Vielleicht war es diese besondere Hingabe, die den Tierpfleger Benedikt Körner dazu gebracht hat, „Bambi“ mit der Flasche aufzuziehen. Das Dammhirschweibchen lag eines Tages mutterseelenallein am Zaun des großen Hirschgeheges im Gonsenheimer Wildpark. „Es war bald klar, dass sich die Mutter um das Kleine nicht kümmern wollte, warum auch immer. Da hat man dann als Tierpfleger zwei Möglichkeiten: entweder man lässt es einschläfern oder man zieht es mit der Flasche auf.“ Was zunächst gar nicht so einfach war, musste Körner doch erst eine Bezugsquelle für Biestmilch finden. Diese Erstmilch von Säugetieren enthält wichtige Nährstoffe, die nötig sind, damit sich das Neugeborene gesund entwickeln kann. Schließlich wurde er bei einem Laubenheimer Bauern fündig, der den nahrhaften Saft noch in der Tiefkühltruhe vorrätig hatte. Bambi ist mittlerweile sechs Monate alt und weicht dem Pfleger nicht mehr von der Seite. Wenn er das Gehege betritt, sucht das grazile Wesen seine Nähe. Auch für Körner, der früher im Berliner Tierpark Elefanten betreut hat, eine neue Erfahrung. Die Nähe von Vierbeinern zu erleben, ohne sie sich dafür gleich in die eigenen vier Wände holen zu müssen, dafür ist der Gonsenheimer Wildpark das ideale Revier. Er wurde in den 50er-Jahren von der Jägerschaft Gonsenheim gegründet und als Gehege mit Hirschen und Wildschweinen eingerichtet. Später übernahm ihn ein Verein, der bald der Stadt Mainz die Betreuung überließ, ihn aber noch einige Zeit unterstützte. Heute beherbergt der Park zahlreiche Haustierrassen, Ziegen, Hängebauchschweine, eine Wassergeflügel-Anlage und nach wie vor Rothirsche, Damhirsche, Mufflons und Wildschweine.
Zu den unbestrittenen Stars des Parks zählen Käthe und Rudi. Die beiden Wollschweine stehen gut im Futter und bahnen sich unverdrossen ihren Weg durch die aufgeregte Ziegenherde. Diese Gelassenheit können sie sich leisten. Sie haben das Versprechen von Norbert Rudloff, Abteilungsleiter beim Grünamt Mainz und damit Chef des Tierparks, dass ihnen niemals ein Haar ihrer dichten Borsten gekrümmt wird. Ihnen ist ein Platz bis zum natürlichen Ende ihres Tierlebens im Wildpark sicher. Eine Besonderheit in der tierischen Lebensgemeinschaft zu Füßen der Gonsenheimer Hochhäuser stellen die Thüringer Waldziegen dar. Ihre Aufzucht liegt Norbert Rudloff besonders am Herzen, denn sie stehen auf der Roten Liste bedrohter Tierarten. Im letzten Sommer wurde ein Bock zur Herde zugekauft. Der ist seiner Fortpflanzungspflicht erwartungsgemäß nachgekommen. Im Frühjahr wird im Gonsenheimer Wald Nachwuchs erwartet. Die Geißen sollen nach und nach die noch dominierenden afrikanischen Zwergziegen verdrängen. Dabei setzen die Tierpfleger auf natürlichen Schwund, also keines der Tiere muss befürchten im Schlachthaus zu landen. Immer wieder war der Mainzer Tierpark aufgrund der klammen Haushaltslage der Stadt von Schließung bedroht. „Das konnte zum Glück abgewendet werden. Eine wichtige Hilfe dabei ist für uns die Arbeit des Fördervereins, der uns unterstützt, wenn es um Umbaumaßnahmen geht“, betont Norbert Rudloff. Man könne die Bedeutung des Wildparks gar nicht hoch genug einschätzen: „Für die Bürger ist der Eintritt kostenlos. In anderen Zoos zahlt man als Familie locker 25 bis 30 Euro Eintritt.“
Benedikt Körner berichtet davon, dass in den Sommerferien viele Kinder aus der Umgebung den Wildpark ansteuern und dort ihre Ferientage verbringen. So leistet der Wildpark vieles: Er ist ein Biotop für bedrohte Tierarten, bietet lebendigen Anschauungsunterricht über das Leben im Wald und liefert ein schönes Beispiel für bürgerschaftliches Engagement. Und auf jeden Fall ist er ein Platz, wo Tiere sich sauwohl fühlen können.