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So wohnt Mainz: Geteiltes Glück im ehem. Dachdeckerhaus Neger

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von Monica Bege, Fotos: Frauke Bönsch

„Wenn du jemals hier ausziehst – sag Bescheid.“ Der ehemalige Studienkollege versprach es und hielt Wort. Als er sich vor rund sieben Jahren in ländlichere Regionen orientierte, suchten Bettina Klumpe und Volker Ihm nach einer Bleibe mit mehr Zimmern. Kurz darauf konnte das Paar seiner kleinen Laubenheimer Dachgeschosswohnung nebst Rheinblick Ade sagen. „Seitdem sind es zehn Meter bis zur nächsten Hauswand. Aber wir fühlten sofort das Leben in der Neustadt pulsieren“, sagt Bettina.

Gewachsene Tradition und neu erdachte Zukunft
Historisch gesehen ist die Leibnizstraße 3 ein vierfarbbuntes Stück Mainzer Fastnachtsgeschichte. Auf dem Fundament einer im Krieg zerstörten Gründerzeitvilla errichtete der als singender Dachdeckermeister bekannte Ernst Neger Anfang der fünfziger Jahre seinen Familienstammsitz. Auch wenn das Gebäude seit über 20 Jahren nicht mehr von Mitgliedern der Neger-Familie bewohnt wird, die Prinzengarde versammelt sich hier noch immer zum Neujahrsumzug. Doch die Bewohner verschlafen deren musikalische Einstimmung meist in ihrem rückwärtig gelegenen Schlafzimmer. „Sonst wären wir natürlich längst mal mit einem Tablett vor die Tür gekommen.“ Ein Haus mit Tradition – „Die Teilnahme an der Mainzer Kunstbiennale „3x klingeln“ haben wir quasi mit der Wohnungsmiete übernommen“, lässt Volker wissen, „wir führen sie gerne weiter. Die großzügige Raumgestaltung ist dafür ideal.“ – viel Platz, über den das Paar innovativ sinniert. Die Kinder sind aus dem Haus, führen ihr eigenes Leben. Deshalb, frisch in der fünften Lebensdekade angekommen, machen sich Bettina und Volker Gedanken über spätere Tage. Das Leben ihrer Elterngeneration möchten sie nicht führen – alleine in großen Häusern oder kleinen Wohnungen. Die Weichen werden heute gestellt. „Sind wir jetzt offen für neue Wege, fällt es uns später umso leichter. Wir haben Platz zur Verfügung, den möchten wir teilen“, erklärt Bettina die Grundidee zum gemeinschaftlichen Wohnen im Alter. Die einen haben, die anderen suchen. Freunde oder Bekannte legen in einem der freien Schlafzimmer bereits temporäre Zwischenstopps auf ihrem Weg in neue Lebensabschnitte ein. Der Startschuss für das WGZukunftsprojekt mit geteilter Küche und Bad ist somit eigentlich schon gefallen. Unspektakulär und ideal zum Reinwachsen.

Endstation Aberglaube
Bettina ist gelernte Geologin. Ziel ihres Studiums war es, eines Tages auf Bohrinseln nach dem schwarzen Gold zu schürfen. Der weibliche Durchmarsch in klassische Männerberufe während der achtziger Jahre stagnierte jedoch herb am welken Aberglauben: keine Frauen auf Ölplattformen. Basta! Plan B brachte zwei Jahre an der Seite eines Erfinders und spannende Forschungsarbeiten an einem in Gebirgsgestein verfestigtem Material – allerdings unter Tage. Der an Bettinas Revers baumelnde Besucherausweis blieb das Maximum des Vertretbaren im subterranen Areal. Zeit also, um beruflich umzusatteln. Mit statistisch-mathematischem Verständnis, organisatorischem Geschick und einem dicken Fell für termingetriebenen Alltag sollte sich ihr neuer Job in einem Wiesbadener Medienforschungsinstitut bis in die Geschäftsführung entwickeln. Geht doch!

Freiraum nutzen
Als freier Architekt arbeitet Volker eng mit einem Darmstädter Büro zusammen. Spezialisiert auf Städtebau liegen ihre Projekte auch jenseits der Republikgrenzen. Er ist oft unterwegs. Die Konzentration des Wohnbereiches auf das Obergeschoss bringt im darunterliegenden Hochparterre einen riesigen Büroraum mit sich. „So viel Arbeitsfläche brauche ich eigentlich gar nicht“, sagt er. Seinen Luxus plant er mit Künstlern, Designern oder Architekten zu teilen. „Diese Art des Miteinanders gehört einfach zur Neustadt. Kontakte entstehen und es bereichert zudem persönlich.“ Der Stammbaum des Ihm-Klumpe’schen Mobiliars reicht von Eigenbauten – Volker ist auch Tischler – über Flohmarkt bis Sperrmüll. Viel Retro im Original akzentuiert die glatte Moderne. Die Regel: ein Teil kommt, ein Teil geht. Die Praxis: Volker sammelt und Bettina sortiert aus. So bleibt das Gesamtgefüge reduziert. Nur in der breiten Hofgarage sieht’s anders aus. Heiße Pin-up-Girls räkeln sich auf ausgeblichenen Kalenderblättern „Ja, so muss Motorradwerkstatt sein!“, Volker lacht. Die eigentlichen heißen Öfen sind auch teilweise nackt: halbfertige Zweiräder. Fahruntüchtig aufgesammelt werden sie aufgebaut. Niemals originalgetreu aber immer formschön und letztlich mit Straßenzulassung. Ein Kerle-Hobby, für das Volker die Nähe zur Wohnung schätzt. Manchmal schrauben Freunde mit, manchmal kommt Bettina mit einem Glas Wein über den Hof. Wie ihr Traumhaus aussähe? Ganz einfach – genau so wie hier.