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Die Sätze des Alois Hotschnig: Gedanken zu und mit dem aktuellen Mainzer Stadtschreiber

Alois Hotschnig : Der Innsbrucker fühlt sich in Mainz angekommen und vom ersten Moment an auch angenommen

Autoren schreiben Sätze – was sonst? Bei Alois Hotschnig aus Innsbruck, 38. Stadtschreiber von Mainz, ist es komplexer. Woher kommen seine Sätze? Schon die Frage im Gespräch provoziert Druckreifes: „Solche Sätze lasse ich in mich hineinsickern, als wäre ich ein Gestein, und diese Sätze sintern durch mich durch, in eine Art Tropfsteinhöhle, wo sie dann als Stalagmiten oder Stalaktiten erscheinen in Form einer Geschichte – die mit jemand anderem wieder Kontakt aufnimmt.“ Schöner und bildreicher kann man es kaum sagen.
Aus Sätzen werden Geschichten
Der gebürtige Kärtner wird am 3. Oktober 64 Jahre alt und studierte einst Medizin (ohne Abschluss), Germanistik und Anglistik (ohne Abschluss) an der Universität Innsbruck. Seit 1989 lebt er als freier Schriftsteller in Innsbruck und ist Verfasser von erzählender Prosa, Gedichten, Theaterstücken und Hörspielen. 1992 wurde er beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt mit dem Preis des Landes Kärnten ausgezeichnet, im selben Jahr erschien sein Roman „Leonardos Hände“, für den er den Anna-Seghers- Preis erhielt. 2000 erschien sein zweiter Roman „Ludwigs Zimmer“, daneben mehrere Erzählbände. 2022 erhielt er den Christine-Lavant- Preis. In seinem aktuellen Roman, „Der Silberfuchs meiner Mutter“, erzählt er ein Frauenschicksal des 20. Jahrhunderts aus Sicht des Sohnes, eine bittere und berührende Überlebensgeschichte der Nachkriegszeit, und verwebt dabei poetisch Biografie und Fiktion. Aber wo und wie sammelt er seine Sätze? Das können Gesprächsfetzen sein, Graffiti an Hauswänden, Zeitungsnotizen – und auch „Verhörtes“ oder „Verlesenes“ (etwa wegen falsch aufgesetzter Brille…). Da ist er beim Wiederlesen manchmal verblüfft darüber, „was der Satz mit mir gemacht hat“. Und dann setzt er sich zu einem dazu, wie in einem Wirtshaus und wieder in einer schönen Metapher und ein Satz sagt „Hier ist noch Platz.“ Ein weiterer Satz folgt, und noch einer. Und manchmal entspinne sich so ein Gespräch, aber manchmal verglühe das Feuer auch nach kurzer Zeit.

Langer Weg
Der Weg zum geschriebenen (geschweige denn gedruckten) Text ist also lang. Hotschnig spricht seine Sätze gern. Es geht um Klang, Intonation, Impetus und Emotion. Bei seinen Lesungen kann man das erleben. Und wenn er sich nach Tagen oder Wochen das manchmal auch auf Band Aufgenommene anhört, sprechen ihn die Sätze anders an. Es wird korrigiert, gestrichen, hervorgehoben, verschoben, mit Hilfe von farbigen Markern – dies zur Warnung an Sammler und Archive von Autographen. So entsteht der typische Hotschnig-Sound, der wie gesprochen wirkt. Als dramatische Anklage gegen ein Unterdrücker-Du (wie bei „Aus“, einem der ersten veröffentlichten Texte) oder als beiläufiger Alltags- Dialog zwischen Senioren („Wann kommt das Essen?“ und „Welche Tabletten nehmen wir wann?“). Dem Volk realistisch aufs Maul geschaut ist das nicht – der Autor sinniert über die Dinge für Monate.

Feilen, montieren und schleifen – die Werkbank eines Stadtschreibers

Präsent in Mainz
Und immer wieder die Frage: Was macht ein Stadtschreiber in Mainz und womöglich „aus“ Mainz? Hotschnig ist unterwegs in der Stadt wie kein anderer vor ihm. Zahlreiche Kontakte füllen seinen Tagesablauf seit Wochen. Denn zum von ZDF, 3sat und der Stadt Mainz gemeinsam vergebenen Literaturpreis gehört auch die Aufgabe und das Angebot, gemeinsam mit dem ZDF eine Dokumentation nach freier Themenwahl zu produzieren; dafür recherchiert er in vielen Gesprächen. Drehbeginn ist schon im September. Viel soll noch nicht verraten werden, aber in der Doku soll es um Exilschicksale gehen. Wo manch einer das Preisgeld und den Titel mal so eben mitgenommen, sich womöglich sogar über die „Provinzstadt“ Mainz mokiert hat, haben andere das „Amt“ ernst genommen, waren präsent, ansprechbar und als „Migranten“ auf Zeit integriert: So ist es auch bei auch Alois Hotschnig. Die Stadtschreiberwohnung im „Römischen Kaiser“ steht ab 2024 wegen des Museums-Neubaus für Jahre nicht mehr zur Verfügung. Vielleicht wäre die Interimszeit – und das 40. Jubiläum des Preises 2025 – ein Anlass, über neue Wege nachzudenken – Richtung Jugend, Richtung queer, Richtung Graphic Novels, Richtung „unakademisch“. Warten wir’s ab.

Hotschnig liest am 10. Oktober im Frankfurter Hof, am 3. November in der Melanchthon- Kirche und am 4. November auf der Mainzer Büchermesse.

Text Minas
Fotos Stephan Dinges