Jens Beutel, unser langjähriger Bürgermeister, ist zwar nicht zurückgetreten, hat aber um seine vorzeitige Entlassung gebeten. In ganz Deutschland macht man sich nun lustig über die „Kleingeld-Affäre“, über die Herr Beutel gestolpert ist. Hätten die vielen Skandale innerhalb der Mainzer Mauschel-Politik nicht genügend ernsthafte Gründe bieten können, den Oberbürgermeister samt Wohnbau in die Wüste oder die Zwerchallee zu schicken? Muss es wirklich diese lächerliche unbezahlte Hotelbar-Rechnung in Ruanda sein?
Eine Vergnügungsreise nach Capri auf Kosten der Steuerzahler oder eine von der Wohnbau mitfinanzierte Privatvilla konnten Jens Beutel nicht irritieren. Nun aber, in einer Hotelbar in Ruanda, ging es nur um die Rechnung für drei Gläser Wein, die er wegen „zu wenig Kleingeld“ nicht bezahlt hat.
Klar, Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt und gleichzeitig Zechpreller zu sein passt schlecht zusammen. Ich muss es wissen, habe ich doch in meiner wilden Jugend häufig selbst Kneipenrechnungen nicht bezahlt und bin durch das Klofenster geflüchtet. Hätte ich mich anschließend zum Bürgermeister wählen lassen, wären meine Untaten sicher aufgeflogen. Einige der betrogenen Kneipenwirte hätten die Presse und die Polizei informiert.
Ich glaube aber, dass der Kleingeld-Skandal viel tiefer greift. Tatsächlich ist Herr Beutel ja nicht der einzige, der unter seinem Mangel an Kleingeld so sehr leidet, dass er sogar bereit ist, seinen ohnehin schon ramponierten Ruf zu ruinieren. Auch ich würde gern häufiger in Restaurants gehen, wenn ich nur mehr Kleingeld hätte. „Zu wenig Kleingeld“ ist eine ernst zu nehmende Begründung für Verzweiflungstaten ökonomisch armer Menschen. Die Frage ist: Wer ist ökonomisch arm? Und ab welchem Betrag verwandelt sich Kleingeld in Großgeld? Die Ansichten dazu weichen gerade in Politikerkreisen deutlich von meinen eigenen Erfahrungen ab.
Politiker sind zum Beispiel der Meinung, dass jemand mit weniger als 1.500 Euro im Monat Geringverdiener ist. In meinem Freundeskreis allerdings gehören diejenigen mit 1.500 Euro klar zu den Großverdienern. Sind also 1.500 Euro für einen Politiker Kleingeld, für den Durchschnittsbürger aber Großgeld? Und unter welcher Art von Geldmangel litt Herr Beutel?
Vielleicht liegt das Grundproblem darin, dass es zu wenig Kleingeld gibt. Großgeld ist kein Problem, das liegt überall herum, gut gesichert vor jeglichem Zugriff oder in einer Wohnbau-Villa festgeschrieben. Aber wenn man etwas Kleingeld braucht, um drei Gläser Wein zu bezahlen, merkt man, dass einem das ganze Großgeld nichts nützt und muss sehen, wie man aus dem Schlamassel wieder rauskommt. Immerhin hat Herr Beutel im Nachhinein 1.000 Euro für ein Waisenhaus in Ruanda gespendet, was nach Vorstellung der Politiker zwar Kleingeld ist, aber beim Normalbürger nach Großgeld aussieht. Ich kann das nicht, weil ich erstens zu wenig Kleingeld und zweitens zu wenig Großgeld habe. Das liegt vermutlich daran, dass ich in Gaststätten immer meine Rechnungen bezahle und mir dafür niemand eine Villa schenkt. Dazu muss man wahrscheinlich Politiker sein.
Doch die Politik lockt mich dennoch nicht. Zu folgenschwer sind die Verwirrungen von Klein- und Großgeld, sodass man sich eine Euro-Krise herbeisehnt, um wieder zahlungsfähig zu werden. Das Kleingeld ist zu knapp, das Großgeld aber ist unantastbar. Zum Schluss kann man gar nichts mehr bezahlen und muss durch das Klofenster flüchten.
Das hat Herr Beutel nicht getan, sondern ist ordentlich, wie man es nach drei Gläsern Wein noch kann, aufgestanden und ganz normal zur Tür hinausgegangen. Nun verlässt er bald das Rathaus, wo auch noch einige Rechnungen offen sind. Vielleicht wäre er glücklicher, wenn er dann weniger als 1.500 Euro Rente im Monat bekäme. Dann hätte er Kleingeld statt Großgeld. Zu wünschen wäre es ihm.