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Der Müll und die Stadt: Zwischen Lösungen und Verzweiflung

Der Rest vom Fest: 90 Tonnen Müll waren es dieses Jahr am Rosenmontag

Alles gut, solange man den Abfall nur in die richtige Tonne wirft? So denken viele hierzulande, und tatsächlich sind die Deutschen fleißig im Mülltrennen. Eine Recyclingquote von 60 Prozent für Kunststoff klingt gar nicht so schlecht. Laut dem „Plastikatlas“ der Heinrich-Böll-Stiftung bezieht sich diese Zahl jedoch nur auf die Anlieferung bei einem Recyclingunternehmen. Nach Angaben der Herausgeber wurden 2019 gerade mal knapp 16 Prozent des Plastikmülls in Deutschland für neue Produkte wiederverwendet. Andere Berechnungen gehen von noch niedrigeren Anteilen aus. Der Rest wird verbrannt – oder ins Ausland verschifft –, Deutschland ist weltweit der drittgrößte Exporteur von Plastikmüll.

Cordula Zimperweiß alles über Mülltrennung

Daraus sollte man nicht ableiten, dass Mülltrennen keinen Sinn macht. „Nur was getrennt wird, hat überhaupt eine Chance auf Recycling“, sagt Cordula Zimper, Sachgebietsleitung Kommunikation bei der im Januar neu gegründeten Anstalt öffentlichen Rechts mit dem sperrigen Namen „Kommunale Abfallwirtschaft Mainz und Mainz-Bingen“ (kurz: KAW), ehemals Mainzer Entsorgungsbetriebe. „Viele denken, der Restmüll würde noch mal sortiert, aber das stimmt nicht. Alles, was im Restmüll landet, wird verbrannt“, so Zimper. Und zwar im Müllheizkraftwerk auf der Ingelheimer Aue, wo daraus Strom und Fernwärme erzeugt werden. Unsere Wärme kommt also auch von unserem Müll. Gut recycelt werden kann dagegen Papier, Glas und Bioabfall. Der Mainzer Biomüll wird in der Biomasseanlage Essenheim zu Methan und damit zu Energie sowie danach zu Kompost-Erde verarbeitet, der Kompost kann dort auch von Privatpersonen gekauft werden. Aber: „Bitte kein Plastik in die Biotonne – auch kein kompostierbares. Das landet sonst am Ende in Form von Mikroplastik auf unserem Teller“, so Zimper, die bei der KAW auch die abfallpädagogischen Projekte für Kitas und Schulen betreut.

Vor Recycling kommt Müllvermeidung
„Am besten ist der Müll, der komplett vermieden wird“, weiß auch Umweltdezernentin Janina Steinkrüger. So steht es auch im Kreislaufwirtschaftsgesetz. Wie wäre es daher in der Fastenzeit mit Müllfasten? Herr und Frau Nakat aus Saulheim machen das seit über 20 Jahren. Aber sie nennen es nicht so, sie nennen es: gesunder Menschenverstand. „Bei uns ist die Gelbe Tonne nach drei Monaten so voll wie bei anderen nach drei Wochen. Was wir an Restmüll haben, könnten wir auch sammeln

Müllsammeln am Flussufer beim RhineCleanUp

und einmal im Jahr in einer Tüte zum Wertstoffhof bringen – wenn der Geruch nicht wäre“, sagt Joachim Nakat. Für das Rentner- Ehepaar fängt das Thema Müllvermeidung bei der Ernährung an: Obst, Gemüse und Kräuter – eingemacht und eingefroren – aus dem eigenen Garten sparen viel Verpackungsmüll. Eingekauft wird mit Einkaufszettel, und es wird frisch gekocht. Wenn es doch mal Essen to go sein soll, dann immer im eigenen mitgebrachten Behältnis. Und der Winzer ihres Vertrauens nimmt das Leergut samt Karton zurück. In ihrer Freizeit betreiben die Nakats Geocaching. Wenn sie zum Geocachen losziehen, sammeln sie nach dem Motto „Cache In Trash Out“ in Stadt und Natur auch Müll ein und entsorgen ihn korrekt. „Wenn 25 Cent Pfand einfach weggeworfen werden, ist es entweder zu wenig oder den Leuten geht es zu gut“, gibt Joachim Nakat zu bedenken. Regelmäßig nimmt das Paar aus Rheinhessen auch am RhineCleanUp teil. Die Weltmeere sind mit Plastik verseucht, Stichwort Mikroplastik. Über 70 Prozent dieses Mülls kommen über die Flüsse. Das Aktionsbündnis RhineCleanUp kämpft in Mainz und anderen Orten seit 2018 mit Sammelaktionen dagegen an, dass der Müll gar nicht erst im Fluss landet. Der jährliche Aktionstag ist im September, aber auch zwischendurch ruft die Organisation immer mal wieder zu Aktionen auf. „Ich bin immer wieder fassungslos, was da jedes Mal an Müll zusammenkommt“, sagt Organisator Willi Kohlmann, „und es wird immer mehr.“ Besonders sensibilisieren möchte er für ein kleines, aber umso gefährlicheres Abfallprodukt: Zigarettenkippen – nicht nur ein ästhetisches Problem – stellen auch eine erhebliche Gefahr für die Umwelt dar, denn eine Zigarette kann bis zu 40 Liter Wasser vergiften. Deshalb organisieren Kohlmann und seine Mitstreiter vom RhineCleanUp

Aus Abfall wird Energie im Müllheizkraftwerk in Mombach

jährlich im Mai eine Woche lang eine große Kippen- Sammelaktion. „Alle gesammelten Zigarettenstummel werden in eine große, transparente Röhre gefüllt, um deutlich zu machen, wie viel Liter Wasser die Stummel verschmutzen können“, erklärt Kohlmann. „Unsere Umwelt ist sowieso schon stark belastet. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, seinen Müll nicht einfach achtlos in der Umwelt zu entsorgen“, appelliert Kohlmann an seine Mitmenschen.

Lösungen für das Müll-Problem
Die Stadt hat das Problem auf dem Schirm. Neue „Abfall-Haie“ mit integriertem Aschenbecher, Glas-Iglus am Rheinufer und die brandneue, humorvolle Anti-Littering-Kampagne „Mainz fängt’s auf“, zu bewundern unter anderem auf den Müll- und Straßenreinigungsfahrzeugen, sind ein paar der aktuellen Maßnahmen. Auch beim Einsatz von Umwelt-Scouts setzt die Stadt auf die Kommunikation

Ziemlich viele neue Abfall-Haie wurden zuletzt aufgestellt

mit den Bürgern. Im vergangenen Jahr waren diese nicht nur am Rheinufer, sondern auch in den Grünanlagen unterwegs und haben neben Müllsäcken auch Taschenaschenbecher verteilt. Wenn es nach der Politik geht, sollen sich nicht nur die Endverbraucher an die eigene Nase fassen – auch der Druck auf die Industrie und die Gastronomie wächst, weniger Verpackungsmüll und Einwegprodukte zu produzieren bzw. auszugeben. Der Trend zum Essen to go ist ungebrochen – und einer der Hauptverursacher von privatem Plastikmüll. Seit Januar 2023 muss Essen und Trinken zum Mitnehmen auf Wunsch in Mehrwegverpackungen angeboten werden. Ein Test der Verbraucherzentrale Rheinland- Pfalz unter 76 rheinland-pfälzischen Betrieben ein halbes Jahr nach Einführung der Pflicht ergab, dass nur die Hälfte der Betriebe Mehrwegbehälter anbot. Aus Sicht der Verbraucherzentrale sind dabei auch Einwegverpackungen aus Karton keine akzeptable Alternative, da sie ressourcenintensiv und nicht wiederverwertbar sind. Mainz hat sich mit Wiesbaden für das Pilotprojekt „Mehrweg Modell Stadt“ zusammengeschlossen, bei dem Mehrwegbehälter an Automaten unkompliziert zurückgegeben werden sollen, was auch die Gastronomen entlasten soll. „In diesem Jahr wollen wir mit den ersten Automaten starten“, so Umweltdezernentin Janina Steinkrüger. Der meiste Abfall aber wird im Baugewerbe produziert, gefolgt von der Industrie und auf Platz drei den Haushalten. 2022 war die Menge an Haushaltsmüll in Mainz immerhin so niedrig wie nie. Dennoch beobachten Experten eine Zunahme an Littering, also das achtlose Wegwerfen von Abfällen im öffentlichen Raum.

Upcycling & Repair Cafés
Ist ein Produkt erst mal hergestellt, sollte es so lange wie möglich benutzt werden – etwa indem man es weitergibt oder repariert, anstatt es wegzuwerfen. Bücherschränke, Foodsharing oder Tauschbasare: Es gibt in Mainz inzwischen viele Ideen und Initiativen, noch Brauchbares vor der Tonne zu retten. Das Repair Café, das einmal im Monat in der Windmühlenschule in der Oberstadt seine Pforten öffnet, kann auf eine zehnjährige Erfolgsgeschichte zurückblicken. Beim Repair-Termin im Januar hat sich eine lange Schlange geduldig Wartender gebildet. Es macht dennoch den Eindruck, als habe nach wie vor eher die ältere Generation ein Bewusstsein fürs Reparieren statt Wegwerfen. „Am häufigsten kommen die Leute mit Haushaltsgeräten“, berichtet Fabian Garbe, einer der ehrenamtlichen Organisatoren. Aber auch Fahrräder, kaputte Möbelstücke oder Textilien können

Reparieren statt wegwerfen

hier repariert werden – in den meisten Fällen mit Erfolg. „Die Leute bleiben während der Reparatur dabei und sollen an die Hand genommen werden, das beim nächsten Mal vielleicht sogar selber zu versuchen“, erklärt Garbe. Inzwischen ist die EU mit der Reparaturpflicht für Elektrogeräte, die immer weiter ausgeweitet werden soll, ebenfalls auf dem richtigen Weg. Der private Onlinehandel mit Gebrauchtwaren boomt, vieles kann über die einschlägigen Portale mit wenigen Klicks zu Geld gemacht werden. Altgediente Sperrmüllspürnasen beklagen schon länger, dass auf der Straße kaum noch etwas Brauchbares zu finden ist. Maximilian, der mit seiner kleinen Tochter viel zu Fuß in der Neustadt unterwegs ist, berichtet trotzdem über tolle Funde in den „Zu verschenken“-Haufen, tadellose Möbelstücke, Geschirr oder auch Spielzeug. Aber manchmal ist es einfach nur eklig: „Wenn eigentlich noch brauchbare Sachen erst mal im Regen standen, sind sie oft hinüber …“ „Ich war schon immer ein großer Fan von Sperrmüllfunden, aus denen man noch was machen kann“, sagt auch Susanne Wagenbach. Die Chefin von Klotz & Quer aus der Neustadt hat aus dem früheren Hobby einen Beruf gemacht. Aus Altholz stellen sie und ihre Mitarbeiter hochwertige neue Möbelstücke her, sie hat aber auch andere Upcycling-Produkte in ihrem Sortiment wie etwa Trinkgläser oder Lampenschirme aus alten Weinflaschen. „Wir übernehmen damit einen Teil der Recyclingkette“, sagt Wagenbach. Das meiste Holz bekommt sie von Gerüstbauern aus dem Rhein-Main-Gebiet. Neben alten Gerüstbrettern verarbeitet sie auch ausgediente Skateboards oder Weinfässer. Inzwischen fertigt das Unternehmen vor allem Auftragsarbeiten an. Die Abnehmer kommen aus der Gastronomie und lassen sich von Wagenbach und ihrem Team ihre Einrichtung bauen. Shabby ist ja schon länger

Susanne Wagenbach haucht Altholz neues Leben ein

schick, und so bietet Wagenbach eine offene Werkstatt für eigene Projekte, aber auch regelmäßige Upcycling- Workshops mit wechselnden Themen von der Lampe bis zum Loungemöbel an.

Chaostage in Mainz?
Die Abfallwirtschaft ist gesetzlich zur Abfallberatung verpflichtet, die Mainzer KAW kommt dieser Verpflichtung mit einer eigenen Abteilung nach. Eine schöne Anlaufstelle für alle Fragen rund um sachgerechte Entsorgung ist der Mainzer Umweltladen in der Steingasse. Hier können auch Korken, CDs, Energiesparlampen, Brillen, Elektrokleingeräte und Tonerkartuschen abgegeben werden. Ein großer Besuchermagnet war im Januar die Kostümtauschbörse. Auch illegaler Müll kann dort gemeldet werden. Dann ermittelt die Umweltstreife – mit guten Aufklärungsquoten, wie Cordula Zimper versichert. Müll-Delinquenten drohen Bußgelder. Um die Ecke vom Umweltladen sind, glaubt man der Interessengemeinschaft Mainzer City-Carré, die Chaostage angebrochen. „Wir Gewerbetreibenden würden es sehr begrüßen, wenn die Politik dafür sorgen würde, dass nicht nur der Schillerplatz und die historische Altstadt als vorzeigbare und beliebte Quartiere in den Vordergrund gerückt werden, sondern auch das Mainzer City-Carré“, fordert Dieter Grünewald, Vorsitzender der IG. Andernfalls befürchten er und seine Mitstreiter ein weiteres Veröden und Ausbluten der Innenstadt. „Achtlos weggeworfene Zigarettenkippen, Getränkebecher und Essensreste sowie überquellende Mülleimer und nicht abgeholter Sperrmüll sorgen nicht gerade für Wohlfühlqualität.“ Die Abschaffung des Gelben Sacks zugunsten einer Gelben Tonne ist daher seit Jahren immer mal wieder im Gespräch. „Die Gelben Säcke werden leider schon Tage vorher vor die

Dieter Grünewald kämpft für eine saubere Innenstadt

Tür gelegt. Der Wind weht sie auseinander, sie sind Demolierungen ausgesetzt, und der Müll verteilt sich“, wird von seiten der IG City- Carré berichtet. Laut Cordula Zimper sind die Pläne aber vom Tisch. „Viele Häuser haben für eine weitere Tonne keinen Platz – außerdem führen Tonnen zu mehr Fehlwürfen.“ Und auch die neuen Abfall-Haie haben nicht nur Fans: „Die Flaschensammler haben mittlerweile Schlüssel zum Öffnen der Edelmülltonnen und räumen diese auf der Suche nach Pfandflaschen aus. Und dann lassen sie den ganzen Müll einfach auf der Straße liegen“, bemängelt Grünewald. Am 9. März ist es aber wieder so weit: Dann lädt die Stadt zum jährlichen Frühjahrsputz. Zum Dreck-weg-Tag können sich Gruppen, aber auch Einzelpersonen anmelden, um gemeinsam vorrangig Flächen von Müll zu befreien, die nicht der öffentlichen Reinigungspflicht unterliegen. Begleitet wird der Aktionstag von der Junior-Dreck-weg-Woche, um schon die Kleinsten für das Abfallvermeiden im Alltag zu begeistern.

Text Katja Marquardt Fotos Stephan Dinges

  1. „Dreck weg-Tag“ am Samstag, 9. März 2024 in Mainz

Bei dieser Veranstaltung engagieren sich seit der Einführung des Aktionstages im Jahre 2001 Vereine, Firmen als auch viele Privatpersonen und säubern jene Flächen, die nicht unter die öffentliche Reinigungspflicht der „Kommunalen Abfallwirtschaft Mainz und Mainz-Bingen AöR“ sowie der Stadtreinigung Mainz fallen. Dem Aktionstag folgt 2024 die „Junior Dreck weg-Woche“ vom 9. bis 15. März für die „kleinsten Aktiven“.

Insgesamt sind auch 2024 weit über 3.000 große und kleine Mainzer im gesamten Stadtgebiet unter dem Motto „Wir zusammen für Mainz“ von 10 bis 12 Uhr unterwegs und sorgen dafür, dass Ihre Stadt noch ein bisschen sauberer und schöner wird.

Samstag, 9. März 2024, 10.30 Uhr,

Treffpunkt: Fischtorplatz – auf der Seite zum Rhein hin (Rheinufer),

Hintergrund

Nach der Sammelaktion können die orangenen Säcke am Mülltonnenstandplatz auf dem Privatgrundstück oder neben die herausgestellte Restabfalltonne am Abfuhrtag oder neben öffentlichen Papierkörben abgestellt werden. Alternativ können die Teilnehmenden bei einer größeren Anzahl befüllter Sammelsäcke oder sperrigen Abfallfunden der Abfallberatung per Telefon oder Mail bezüglich des genauen Abstellplatzes Bescheid geben. (Tel. 06131/12-3456 oder abfallberatung@kaw-mainz-bingen.de).

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