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Der Eiermann: Johannes Scholles, Urgestein vom Mainzer Wochenmarkt

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von Ulla Grall, Fotos: Jonas Otte

Unbestrittener Star des Mainzer Wochenmarktes ist Gockel Moritz. Geduldig sitzt er auf seiner Kiste und plustert sich über dem Schild „Bitte nicht füttern“. Wenn sich wieder eine Kamera auf ihn richtet, reckt er sich eitel. Sein „Chef“ ist Johannes Scholles, „der Eiermann“.

„Moritz ist von Hause aus ein Kampfhahn“, erklärt er uns, „eine südamerikanische Rasse namens Obixto.“ Dafür ist Moritz aber sehr friedlich. Nur wenn sich ein vorwitziger Finger nähert und ihn streicheln will, pickt er auch schon mal zu.

Urgestein auf dem Wochenmarkt
Jeden Dienstag, Freitag und Samstag steht Markthändler Scholles, sein uriges braunes Hütchen auf dem Kopf, an seinem Stand neben der Heunensäule und verkauft frische Eier, die stapelweise vor ihm auf den Paletten liegen: Dicke 37 Cent, Mittlere 34 Cent, Kleine 30 Cent. Es sind Eier aus Bodenhaltung, die er da anbietet, kenntlich an der „2“ auf dem Stempel neben dem Legedatum. Beruhigend auf vorsichtige Eierkäufer wirkt das Schild: „Keine Angst vor Salmonellen, unsere Hühner sind geimpft“. Und immer wieder gibt Scholles den Rat: „Die frischen Eier nicht in den Kühlschrank stellen.“ Das entspricht der Empfehlung der Lebensmittelwissenschaftler, die besagt, dass bis zum 18. Tag nach Legedatum Eier ungekühlt aufbewahrt werden können. Scholles nennt aber auch einen anderen Grund dafür: „Eier enthalten Lecithin und Vitamine und die gehen im Kühlschrank verloren.“ Überhaupt ist er ein wandelndes Lexikon, was Eier und Hühner betrifft. So weiß er: „Moderne Hähnchen werden innerhalb von 23 Tagen zu Schlachtreife gemästet.“ Er selbst isst darum kein Geflügel. Dafür trinkt er täglich frische, rohe Eier direkt aus der Schale. „Ich habe trotzdem keinen Zucker und auch kein Cholesterin!“ Den Grund dafür nennt er einer Kundin: „Die Hühner werden mit Normalfutter gefüttert.“ Auf die Frage, was denn Normalfutter sei, antwortet er kryptisch: „Du kaufst dir einen Pullover für 8 Euro und nach zwei Wäschen hängt er an dir wie ein Sack – mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Beratung für Stammkunden
In der Vitrine stapeln sich die geleerten Eierkartons und viele Kunden bringen ihre gebrauchten Schachteln zurück. Man kennt sich, hier sind viele Stammkunden, die jede Woche bei Scholles einkaufen. Jeder Kunde wird geduzt und für ein Schwätzchen ist immer Zeit, auch wenn sich zu Stoßzeiten schon mal eine Schlange bildet. Viele der Eierkäufer kennen sich untereinander und der Eierstand wird so zum Kommunikationszentrum. Alle Damen werden mit „junge Frau“ angesprochen, Scholles hat immer einen Spruch drauf. Manchmal allerdings geraten seine Scherze etwas anzüglich. „Ich bin im Sternzeichen Stier“, verrät er, als ob das alles erklären würde. Dafür gerät er in Rage, wenn ihm etwas gegen den Strich geht: Er wettert gegen Gentechnik, die Massenkultur von Tomaten in Gewächshäusern und überhaupt die Lebensmittelindustrie. Schnell kommt er da vom Hundertsten ins Tausendste. Als eine Kundin nach der Qualität von Bioprodukten fragt, ist er empört: „Das ist Betrug!“, ruft er aus. „Bio gibt es nicht, ich muss einfach spritzen!“ Gleich darauf lobt er Ziegenmilch im Vergleich zu Kuhmilch. „Aber wenn Leistungsförderer gefüttert werden, sind Kuh- und Ziegenmilch gleich schlecht.“ Scholles hat eine dezidierte Meinung zu fast allem und hält damit nicht hinterm Berg. „Ich komme aus der Landwirtschaft“, erklärt er, „habe aber lange als Polsterer gearbeitet.“ Seine Lebenserfahrung befähigt ihn nicht nur zu Immobilienratschlägen („verkaufe einen Acker nur dann, wenn es sein muss“), auch politisch hat er eine klare Meinung: „Die Grünen sind nicht das Richtige. Die können nicht mal Kartoffeln hacken.“

Kristallpendel prüft die Qualität
Sogar medizinische Tipps erhält man am Eierstand: „Dein Blutdruck wird zu hoch, wenn die Leber nicht richtig funktioniert“, sagt er. „Die richtige Ernährung ist wichtig.“ Zum Beweis nimmt er das Kristallpendel, das neben seiner Kasse liegt und demonstriert an einer Zitrone vom Nachbarstand: „Wenn du mit dem Pendel drübergehst, dann siehst du, was links und rechts ist.“ Rechts herum sollte das Pendel kreisen. Der Stern aus Bergkristall dreht sich: „Das ist gut, die Zitrone ist nicht behandelt.“ Sogar aus der Hand lesen kann der Allrounder. „Er ist ein sehr eigener Medizinmann“, meint ein Kunde dazu, der geduldig in der Reihe wartet, bis er seine acht mittelgroßen Eier kaufen darf. Natürlich könnte Scholles als Rentner seinen Ruhestand genießen, aber das kommt für ihn gar nicht in Frage: „Ich brauche Bewegung!“ Den Marktverkauf macht er für seine Tochter Roswita. „Wenn die mich nicht hätte, könnte sie zumachen.“ Trotz Fütterverbot reicht eine Kundin dem Hahn Moritz ein paar blaue Trauben. „Sind das deutsche?“ fragt Scholles streng. „Dann ist es gut!“

1 response to “Der Eiermann: Johannes Scholles, Urgestein vom Mainzer Wochenmarkt

  1. Für mich fängt wochenend an wenn ich auf den Markt kann auch meine eier beim Eiermann kaufen kann Gruß sylvia

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