von Fabienne Makhoul und Julia Adrian Fotos: Katharina Dubno
Morgendliche Stille liegt über dem Garten. Noch ist es kühl und die Sonne besitzt nicht ihre mittägliche Kraft. Entfernt dringen Geräusche aus der Stadt über die alten Mauern. Und durch die Fenster der heutigen Schule sieht man hier und da gestreckte Kinderarme und -finger recken. Einzig und allein Schwester Claudia ist vor der Kapelle der Maria Ward-Schule (MWS) anzutreffen, vertieft in die Pflege ihrer Rosensträucher, die um das kleine Gotteshaus herum blühen.
„Die Dornen sind so spitz“, ruft sie, lacht und durchbricht so ein wenig das friedliche Bild, das sich bis eben bot. Ein kleiner Blutstropfen läuft über ihren Daumen. Die Hausoberin Schwester Beate Neuberth, die jetzt dazugekommen ist, gibt Tipps für etwaige erste Hilfemaßnahmen. Ein Lehrer läuft grüßend an beiden Schwestern vorbei. Einige Schülerinnen durchqueren hastig den Garten, ordnen Zettel und eilen die Stufen zum Innenhof hinab. Gemeinsames Arbeiten und Leben von Schwestern, Lehrern und Schülerinnen gehört seit Generationen zum Alltag an dem katholischen Mädchen-Gymnasium in der Innenstadt, das seit 1846 im alten Dalberger Hof am Ballplatz untergebracht ist.
Die Einzigartigkeit dieses Zusammenlebens steht seit 1752 für das Wirken der Engländerin Mary Ward (1585-1645), die sich der Bildung junger Frauen widmete. Die Schwestern der „Congregatio Jesu“, wie die weltweit wirkende Ordensgemeinschaft seit 2004 heißt, lehrten Jahrzehnte lang auch als Lehrkräfte an der Schule und gestalteten so den Schulalltag aktiv mit. Doch auch an ihnen geht die Zeit nicht spurlos vorbei, es mangelt an Nachwuchs. Im Verlauf der nächsten zwei Jahre wird es für die Schule deshalb darum gehen, das Werk der englischen Fräulein, wie die Maria Ward-Schwestern aufgrund ihrer Historie auch genannt werden, durch Schulträger und die Lehrkräfte weiterzuführen. Denn die Schwestern müssen die Schule verlassen.
Es kommt keiner mehr nach…
Deutlich klingt das Bedauern in der Stimme der Hausoberin Schwester Beate, während sie über den Abschied spricht. Die gebürtige Bambergerin lebt seit fünf Jahren in Mainz. Für sie und die anderen bedeutet die Auflösung der Niederlassung auch, die Gemeinschaft, die zur Familie geworden ist, zu verlassen: „Nur noch etwa 15 Schwestern leben hier. Zwei wurden vor Kurzem verabschiedet.“ Im Lauf des nächsten Jahres werden voraussichtlich alle eine neue Heimat für ihren Lebensabend finden.
Die meisten von ihnen sind bereits über achtzig Jahre alt und auch ihre Gesundheit ist teilweise angeschlagen. Novizinnen, wie die Anwärterinnen auf dem Weg zur Ordensschwester genannt werden, sind seltener geworden und sie sehen ihren Weg meist nicht mehr in einer Schule, sondern mehr in Richtung sozialer oder caritativer Leistungen wie Pastoralarbeit oder Krankenhausseelsorge. Und nicht nur bei der Congregatio Jesu werden Niederlassungen geschlossen.
Das gleiche Schicksal teilen auch andere Orden, wie zum Beispiel die Ursulinen, die ihren Standort in Ahrweiler auflösen müssen. So stellt sich auch die Frage, ob Glaube für die Gesellschaft noch eine Rolle spielt oder ob er im Zeitalter des Smartphones eine Art Verfallsdatum erreicht hat oder aber eine Generalüberholung benötigt, wie ihn viele Freikirchen und spirituell-esoterische Vereinigungen anbieten.
Was ist Glaube?
„Anders als für Mary Ward im 17. Jahrhundert, für die Religion und Kirche zusammengehörten, leben heute viele zwar gläubig, empfinden die Kirche aber nicht mehr als dazu zugehörig“, beobachtet Schwester Beate. Der Alltag wird immer stressvoller, die Unsicherheiten nehmen zu, der Gang zur Kirche wird als lästige Pflicht empfunden. Das stereotypische Bild der Kirche mit düsterer Atmosphäre und einer aus Rom ausgehenden Realitätsferne ist nicht die Sache von vielen jungen Menschen, die lieber woanders nach Orientierung suchen.
Glaube kann danach auch im Innern passieren und durch gute Taten und Handlungen seinen Ausdruck finden. Doch wer hat noch die Ruhe, Zeit und Muße, um überhaupt in sich hinein zu hören und seinen Glauben oder sein Wesen zu ergründen? Wenn Glaube sich zu etwas entwickelt, das in der Öffentlichkeit kaum noch sichtbar ist, welche Bedeutung hat dann das Ende einer Verbindung, die seit mehr als 170 Jahren das Schulleben am Ballplatz prägt?
Einschnitt und Spiegelbild
Die Auflösung des Ordens ist beides: ein Einschnitt in eine lange Tradition und Geschichte, aber auch ein Spiegelbild unserer Zeit. Über einen langen Zeitraum hinweg waren die Schwestern der Congregatio Jesu, die bis 1993 Träger der Schule war, stark in das Schulleben involviert. Erst in den letzten Jahren mussten sie sich aus Alters- und Krankheitsgründen zurückziehen. Immer mehr Aufgaben wurden von der Schule selbst übernommen. Dennoch arbeiten die, die es noch können, entweder auf dem Schulgelände oder sind in verschiedenen Bereichen in der Stadt tätig.
So hat Schwester Lucia am Mittwoch Dienst an der Pforte und Schwester Claudia kümmert sich um die Rosen im Garten. Andere arbeiten als Krankenschwester oder besuchen Seniorenheime und leisten dort etwas Gesellschaft. Auch Schwester Irmgard beendet erst mit 86 Jahren zu Schuljahresende ihren Dienst als Küsterin der Kapelle. Viele Jahre hat sie angehenden Brautpaaren und Eltern mit einem Täufling erklärt, was auf sie zukommt oder Führungen durch die Schule geleitet.
Der endgültige Abschied bedeutet daher nicht nur das Ende einer Tradition und Gemeinschaft, sondern eine schmerzliche Zäsur für die Schwestern, die Lehrer und auch die Schülerinnen, die Abschied nehmen. Auch wenn ihr Glaube von den meisten nicht mehr viel gefragt zu sein scheint, haben sie doch im Individuellen so viele Menschen berühren können, dass er doch über die Maßen zu einem erfüllteren Leben von vielen beigetragen hat.
Wo Maria Ward drauf steht, ist Maria Ward drin
Wer die Aufgaben nach dem Weggang der Schwestern übernehmen wird, ist derzeit noch ungeklärt. „Aber wir sind in ständigem Gespräch mit der Schule“, sagt Schwester Beate. Aus dem Lehrerkollegium kommt eine hohe Motivation, die Mission und die Werte Mary Wards weiterzuführen. Jüngere Lehrkräfte nehmen an Seminaren teil, um das Typische dieser speziellen Pädagogik kennen zu lernen. Denn „das Schulkonzept kann nur umgesetzt werden, wenn möglichst viele davon überzeugt sind und es in ihrer Schulpraxis leben“, schreibt Schwester Heidrun aus Jerusalem, die lange Jahre neben ihrer Tätigkeit als Lehrerin die Schulleitung übernommen hat.
Neben dem morgendlichen Gebet gilt es, den Schülerinnen zu helfen, die christlichen Werte zu verinnerlichen und zu begreifen, dass das Leben nicht nur eindimensional ist, sondern auch noch eine geistig-spirituelle Dimension besitzt. Nicht nur im Sinne von Gebeten und der Beziehung zu einem Glauben, sondern auch durch Werte wie Aufrichtigkeit, Gerechtigkeit, Loyalität und sozialen Kompetenzen. Und: „Wo Maria Ward drauf steht, muss auch Maria Ward drin sein“, sagt Schwester Beate.
Damit gemeint ist der wertvolle Auftrag, in den kommenden Jahren das Erbe und die Tradition der Ordensgründerin zu erhalten. So geht mit dem Weggang der Schwestern etwas Großes und Wichtiges für die Schule, aber auch die Stadt verloren. Etwas, das wenig gesehen wurde, aber durch viele kleine Taten und Geschichten einen Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat.