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Buchbinder – Konservator der Erinnerungen

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von Monica Bege, Fotos: Katharina Dubno

Zeit – ist sie knapp, wird ein erfüllender Arbeitsalltag zur leidigen Routine. Hast und Last statt Freude am Tun. „Dabei verliert man ein Stück von sich selbst“, stellt Buchbindermeister Johannes Schneider nachdenklich fest. Dann blickt er auf: „Ich kann mir Zeit für meine Arbeit nehmen.“ In seinen Augen spiegelt sich die Begeisterung über diesen eher seltenen Zustand wider.
Seine Hemdsärmel sind hochgekrempelt, um die Hüfte trägt er eine gelbe Schürze und um ihn herum sieht es wie in einem Museum aus. In prall gefüllten Regalen und Schränken lagern Papiere, Stoffe und Leder – in Schubladen unterschiedlichste Messingschriften. In ihrer opulenten Bestückung sollte die Buchbinder-Werkstatt in der Goldluftgasse eigentlich chaotisch wirken, doch dem widersprechen die Arbeitsflächen mit ihrer stillen Aufgeräumtheit. Material und Maschinen sind schon sehr lange hier. „Altes mit Altem zu reparieren ist eine gute Voraussetzung, die ursprüngliche Aura eines beschädigten Buches zu erhalten“, erklärt Schneider. 1919, achtzehn Jahre nach Firmengründung, wurde die heutige Inhaberin Therese Fiederling geboren. Erst vor einem guten Jahr ging sie schweren Herzens in den Ruhestand. Johannes Schneider verbrachte bereits seine Lehrjahre in der Buchbinderei Gärtner-Fiederling, heute ist er Geschäftsführer. Fragt man den 56-Jährigen nach seinen Ruhestandsplänen, würde er es gerne wie Therese Fiederling halten. „Teilt man sich Zeit und Kraft gut ein, kann es gelingen …“

Zwischen Leim und Computerchips
Kosten produziert der Betrieb kaum, Schulden sind nicht abzutragen und mit Restauration und Herstellung von Spezialanfertigungen als Kerngeschäft hat die branchenübliche Hektik hier keinen Nährboden. Qualität und Firmenfortbestand stehen auf der Agenda – zu tun gibt es genug. Einen Internetauftritt braucht es dafür nicht. Antiquierter Rückstand, die analoge Welt der Buchrestauration, die Ewiggestrigen – mitnichten! „Natürlich bin ich Konservator der Erinnerungen, wenn ich alte Bücher von persönlichem Wert restauriere“, sagt Schneider, der digitalen Welt verschließt er sich deshalb nicht. Besuchen ihn die Studenten der Fachhochschule mit ihren Buchexperimenten im Schlepptau, tüftelt man gemeinsam am gedruckten Buch der Zukunft, baut Computerchips ein und arbeitet an symbiotischen Wechselwirkungen mit anderen Medien. Eine spannende und innovative Arbeit.

Kühe in der Stadt
Von seiner Werkstatt aus blickt Schneider in einen grünen Hinterhof mit vielen Rosensträuchern, in weiter Entfernung läuten Kuhglocken. Mitten in der Stadt. Es sind französische Kühe. Sie bimmeln dezent aus einem iPod heraus. „Früher habe ich die Natur und die Geräusche der Stadt aufgenommen. Bei Tag und Nacht“, klärt Schneider den Ursprung seiner ungewöhnlichen Klangkulisse auf. Er begann damit in seiner Kindheit. Die Aufnahmen entstanden ohne Konzept, aus keiner rationalen Entscheidung heraus, haben aber bis heute ihre Wirkung nicht eingebüßt. „Sie beruhigen, wecken meine geistige Aufmerksamkeit, so bekomme ich den Kopf frei.“ Dann grinst der Buchbinder verstohlen. Manches lässt sich einfach schwer erklären, macht aber trotzdem Sinn. Vielleicht muss man es selbst einmal ausprobieren, um es zu verstehen. Er ist feinsinnig, seine braunen Augen strahlen Ruhe aus und mit einem fast entschuldigenden Lächeln hinterfragt er gerne das Selbstverständliche. Wirft neue Gedanken auf und meist geht es dabei um die Art, wie wir leben und wie wir dem, was wir zu brauchen meinen, hinterher hetzen, wie wir mit nicht Erreichtem umgehen. „Manchmal sollte man Dinge einfach geschehen lassen und darauf vertrauen, dass sie ihren Sinn haben. Der ewige innere Widerstand kostet Kraft und hemmt den Blick auf das Wesentliche.“ Wenn Johannes Schneider in seiner unaufgeregten Art spricht, spürt man seine innere Gelassenheit und im Kern seiner Worte erkennt man ein Puzzlestück zu seinem Zukunftsplan: mit neunzig Jahren seine in Leder, Stoff oder Papier gebundenen „Patienten“ zu pflegen.