Johannes ist 26, sieht aber jünger aus: feine Gesichtszüge, wuscheliges Haar, sanfte Stimme. Die meisten seiner Altersgenossen ackern sich gerade durch die Probephase des Lebens – Partys, Drogen, rumvögeln und dazwischen noch ein Praktikum oder Auslandssemester. Johannes hat seinen Platz im Leben gefunden – bei Gott. „Ich möchte für andere Menschen da zu sein, ihnen helfen. Ich bin Altruist. Als Priester ist das für mich eine Lebensaufgabe, vollkommen Gutes zu tun“.
Seit Oktober 2015 lebt Johannes am Priesterseminar in der Augustinerstraße. Gemeinsam mit 11 anderen jungen Männern, die seinen Berufswunsch teilen. Ihr Alltag ist klar strukturiert. Jeden Tag Gottesdienst. Hinzu kommen gemeinsame Essen, Gesprächsabende und Unterrichtstunden in Rhetorik oder Stimmbildung. Bis zu sieben Mal am Tag wird gebetet, gemeinsam oder allein. Dazwischen geht’s hoch an die Uni zum Theologie-Studium. Die Ausbildung dauert sieben Jahre, bis zur Priesterweihe. Eine lange Zeit zum Nachdenken. „Am Ende entscheiden drei Personen über meine Eignung“, sagt Johannes. „Der Regens, ich selbst, und Gott.“
Altar im Zimmer
Johannes wohnt in einem typischen Internatszimmer, etwa 12 qm groß. Die Einrichtung ist karg: schmales Bett, zwei Schränke, Schreibtisch. Das war´s. Persönliche Gegenstände hat er kaum. Die Wände sind kahl, es gibt weder Bilder noch Poster. Auf einem kniehohen Tisch hat er einen Altar errichtet. Ein eisernes Kruzifix steht darauf, eine Bibel und zwei Kerzen. Jeden Tag nach dem Aufstehen und vor dem Zubettgehen kniet Johannes davor und betet. „Gerade abends fällt mir das manchmal schwer, wenn ich nach einem langen Tag einfach nur müde bin.“ Das mit dem zu Ruhe kommen ist ohnehin nicht sein Ding. Johannes ist ein hibbeliger Typ, immer unterwegs, auf der Suche nach Aufgaben. „Einfach mal still in der Sonne liegen, das kann ich nicht so gut. Aber Priester haben ja auch immer zu tun, sind in der Gemeinde unterwegs. Der Gottesdienst ist nur ein kleiner Teil des Aufgabenbereichs.“
Die Freundin verlassen – für Gott
Johannes hatte kein Erweckungserlebnis. Der Glaube war schon immer Teil seines Lebens. Er wuchs in einer moderat gläubigen Familie in Mainz-Ebersheim auf und durchlief dort die klassische Gemeinde-Karriere: Kommunion, Zeltlager, Messdiener. Mit 14 kam ihm erstmals die Idee, Priester zu werden. Von seinem inneren Wunsch erzählte er lange niemanden, weder Freunden, noch Eltern. „Ich hatte Bedenken vor den Reaktionen, dem Gerede. Mir war das damals unangenehm.“ Seine Freundin war die erste, die er einweihte. Sie lernten sich im Zeltlager kennen, die erste große Liebe. Sie versuchte ihn umzustimmen, redete auf ihn ein, vergeblich. Während eines Auslandssemesters in Rom traf Johannes die finale Entscheidung ins Seminar einzutreten. „Natürlich war sie nicht begeistert, aber ich habe erkannt, dass das mein Weg ist, dass ich es zumindest ausprobieren muss. Sonst hätte ich mir das den Rest des Lebens vorgeworfen.“
Familie und Freunde stellte er vor vollendete Tatsachen. Die Reaktionen fielen überwiegend positiv aus, wenn auch nicht gerade euphorisch. Mach, was du für richtig hältst, sagten die Eltern. Ein paar Freunde lamentierten, machten Sprüche: Mensch bist du blöd, du kannst doch deine Freundin nicht dafür verlassen. „Die meinten das aber nicht böse“, ist Johannes sich sicher. „Die waren bloß irritiert.“ Mit seiner alten Clique ist er nach wie vor oft unterwegs, sofern es sein Stundenplan zulässt. Auch mit seiner Ex ist er noch freundschaftlich verbunden. „Am Anfang war es komisch, sich in das neue Verhältnis einzufügen, inzwischen verstehen wir uns aber wieder prima.“
Priester werden – das bedeutet in der katholischen Kirche auch die Pflicht zur Enthaltsamkeit. Verzicht auf eine Beziehung, auf Familie, auf Kinder, auf Sex. Wie er damit klar kommt? Ein schwieriges Thema. Johannes antwortet einsilbig, denkt lange nach, bevor er spricht. „Ich finde es schade, dass ich keine Familie und keine Beziehung haben kann. Da fehlt schon was, eindeutig.“ Wenn er eine Frau trifft, die ihm gefällt, blende er das aus. „Ich erzähle meist direkt, dass ich Priester werde. Man kann eine Frau schön finden, aber es ist klar, dass da nix laufen wird. Ich würde auch nicht mit irgendeiner Frau tanzen, bevor ich sie nicht kenne.“
Verzicht üben. Ein Konzept, das nicht in unsere Zeit passt, in der viele den Konsum zum Lebenszweck übergestülpt bekommen. 2015 ließen sich in Deutschland nur noch 58 junge Männer zum Priester weihen. In Mainz wird es dieses Jahr genau eine Weihe geben: die von Peter Kohlgraf zum neuen Bischof. Der Kirche geht der Nachwuchs aus. Auch deshalb mehren sich die Stimmen für die Abschaffung des Zölibats. Johannes ist dafür. „Das ist ja nicht in der Bibel festgeschrieben. Die ersten 1.000 Jahre der katholischen Kirche gab es auch kein Zölibat.“
„An Gott habe ich noch nie in meinem Leben gezweifelt, an der Kirche durchaus.“
Doch nicht nur das Zölibat, vieles an den Strukturen der katholischen Kirche stört Johannes. Zu starre Gottesdienste etwa, oder Priester, die jede Motivation verloren haben. „An Gott habe ich noch nie in meinem Leben gezweifelt“, sagt er bestimmt, „an der Kirche durchaus.“ Ein Jahr noch hat er Zeit, sich zu entscheiden. Das nächste Semester wird er in Freiburg und Israel verbringen. Es soll auch zur Orientierung dienen, ob er diesen letzten Schritt, sich weihen zu lassen, wirklich gehen will, . „Eine gute Übung, fernab der Heimat auf sich alleine gestellt zu sein. Das muss ein Priester aushalten können.“ Und wenn nach einem Jahr doch die Zweifel überwiegen? „Dann Politik“, antwortet Johannes ohne zu zögern. „Ich würde mich unter anderem dafür einsetzen, die Schöpfung zu bewahren, etwa beim Klimaschutz.“ Eigentlich ein grünes Kernthema, doch steht er wohl der CDU näher. Wer weiß, auch da werden Nachwuchskräfte händeringend gesucht.
Text: Florian Barz Fotos: Katharina Dubno
Johannes Blüm gibt viel preis aus seinem persönlichen Leben, und nimmt andererseits Leser/Innen mit ins Boot.
Mit seinen persönlichen Überlegungen zum Altruismus tue ich mich schwer; Gott ereignet sich nicht gezwungen sondern in Freiheit; und daran erinnert Martin Luther, dass Gott es ist, der Gnade fließen lässt.
In dem Artikel gibt es eine Überschrift, die nicht stimmen kann sondern redaktionell sich einfach eingeschlichen hat, das mit der Pflicht zur Einsamkeit. Wenn damit sexuelle-geschlechtliche Enthaltsamkeit gemeint ist, trifft das zu. Ehelosigkeit um des Himmelreiches wegen, bedeutet im Gegenteil keine Einsamkeit sondern eine tiefe Solidarität in der Option mit den Armen. Und nicht nur da sondern in allem Wirken und durch die Person eines künftigen Priesters wird ein dichtes Band an Beziehungen sichtbar und existentiell. Ich wünsche Johannes B. einen guten weiteren Weg und dass er auch in Zukunft von seinen Freuden/Innen mit seiner Lebensperspektive Gott hingehalten wird.
Annette Winter schreibt:
Ich habe den Artikel „an Gott vergeben“ durchgelesen und bin total entsetzt. Herr Florian Barz hat mit seinem Kommentar über junge Menschen weit über das Ziel hinausgeschossen. Da werden gleichaltrige, wie Herr Johannes Blüm dargestellt als würden sie den ganzen Tag Partys machen, Drogen konsumieren und „herumvögeln“ (das hat dem Fass den Boden eingeschlagen). Ich bin auch im kirchlichen Dienst und habe viel mit jungen Menschen zu tun. Bei uns ist jetzt gerade ein Zeltlager zu Ende gegangen wo viele viele junge Leute diese Lagerzeit organisiert und sich für diese 14 Tage dafür URLAUB genommen haben. Mit einem tollen und starken Engagement. Ich glaube, lieber Herr Barz, da wäre wirklich eine Entschuldigung fällig. Ich weiss ja nicht in welchen Kreisen sie verkehren, aber ich wäre gerne bereit ihnen ein positives Bild vom Engagement junger Menschen zu zeigen, auch wenn diese Jungen sich nicht für ein Theologiestudium entschieden haben.