Wie kamen Sie zur Musik?
Ich bin mit neun Jahren eher zufällig in den Gütersloher Knabenchor eingetreten. Der Kantor meiner Gemeinde sprach mich an und fragte, ob ich nicht Lust hätte, mitzusingen. Dann ging’s durch verschiedene Chöre bis zum Kirchenmusik-Studium in Essen. Meine Eltern waren aber auch musikalisch. Mein Vater spielt Horn und hat in Chören gesungen.
Welche Aufgaben hat ein Domkapellmeister?
Vor allem die Leitung des Mainzer Domchores, aber auch der Domkantorei St. Martin, also Knaben- und Erwachsenenchor. Außerdem gibt es den Mädchenchor, der vom Domkantor geleitet wird. Bislang hatte ich als Nummer 2 diese Aufgabe. Hinzu kommen noch das Domorchester, der Domkammerchor und die Dombläser. Somit sind in die Dommusik etwa 500 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in der Musik eingebunden – mit den Gesangsklassen an unseren Schulen.
Worum geht es dort?
Singen fördert nicht nur das Sozialverhalten und gruppendynamische Prozesse, sondern auch die Intelligenz. Daher kooperieren wir mit Gymnasien und Grundschulen in Form von Gesangsklassen. Da wird der Musikunterricht um eine Wochenstunde erweitert und ein Schwerpunkt auf Singen gelegt.
Macht die Arbeit mit Kindern oder Erwachsenen mehr Spaß?
Mehr Spaß kann man nicht sagen. Es ist eine andere Herausforderung. Kinder muss ich anders an ein Werk ranführen, während ich beim Erwachsenenchor zielgerichteter arbeiten kann. Und bei Kindern kommt es auch drauf an, ob man mit Jungs oder Mädchen arbeitet. So kann man sagen, dass die Arbeit mit Jungs auf eine gewisse Weise offener und direkter ist. Am besten spielt man vor der Probe Fußball und eine Viertelstunde später singen wir Palestrina. Bei Mädchen lote ich eher die Stimmung aus. Da muss ich unterschwellige Schwingungen erspüren. Die Arbeit ist daher etwas subtiler und auch etwas schwieriger, weil Mädchen sich in ihren Emotionen nicht so offen äußern wie Jungs. Deshalb auch die Trennung zwischen Knaben- und Mädchenchor. Es gibt einfach ein gewisses Alter, da wollen Jungs mit Mädchen nichts zu tun haben und umgekehrt. Irgendwann gleicht sich das dann wieder an.
Wie weit sind Sie unabhängig von Ihrem Arbeitgeber?
Als katholischer Chor vermitteln wir christliche Werte und Inhalte. Das hat unmittelbare Konsequenzen für meine Arbeit. Zum Beispiel würde ich keine Lieder singen, die religiöse Inhalte „auf den Arm“ nehmen oder andere Menschen verletzen. Eine weitere Einschränkung empfinde ich nicht. Wenn Sie einen Arbeitsvertrag eingehen, egal ob bei der Kirche oder bei BMW, dort fahren Sie ja auch keinen Mercedes. Das sind einfach zwei unterschiedliche Dinge und so füge ich mich in diese Grundhaltung ein. Es mag Musiker geben, die das als Korsett empfinden und dann ausbrechen und nicht mehr in der Kirche arbeiten.
Mensch:
Welche Musik hören Sie privat?
In meiner Freizeit höre ich bewusst auch mal gar keine Musik. Ich beschäftige mich dann mit anderen Dingen, meiner Familie und Sport, ich bin aktiver Läufer. Natürlich höre ich aber auch mal die Musik unserer Zeit, zum Beispiel im Radio, gerade auch um Gesprächspartner für die Kinder und Jugendlichen zu sein. Aber die heutige Musik ist so schnelllebig – was heute IN ist, ist morgen schon wieder OUT und ich wundere mich nur. Es gibt aber auch gewisse Dinge, die ich ausschließe, zum Beispiel alles, was „organisierter Lärm“ ist.
Wobei können Sie noch entspannen?
Ich lese gerne. Zurzeit Schillers „Die Augustenburger Briefe“. Davor Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“. Den Kinofilm dazu fand ich übrigens gar nicht so schlecht. Der wurde ja mit einem irren Aufwand produziert.
Gehen Sie auch aus?
Meine Frau und ich versuchen, uns immer wieder mal Freiräume dafür zu schaffen. Da wir in der Altstadt wohnen, gehen wir gerne mal in eine Weinstube, Kneipe oder ins Kino. Alles das, was ein normaler Mensch auch macht, mit der Einschränkung, dass ich zeitlich in ein sehr enges Korsett gepackt bin. Ich habe nun mal keinen Beruf, zu dem ich morgens um 8 Uhr ins Büro gehe und abends um 19 Uhr nach Hause komme. Ich suche mir die Freiräume. Donnerstagsabends probt zum Beispiel der Erwachsenenchor und meistens geht man anschließend noch „in die dritte Halbzeit über“ …
Haben Sie ein Lebensmotto?
Mein Lebensmotto ist Authentizität. Gerade, wenn Sie mit anderen Menschen zu tun haben, müssen Sie authentisch sein. Sie können sich nicht verstellen. Wenn Sie das, was sie gut finden und was sie machen, mit anderen Menschen zusammen machen, wird es nur so funktionieren. Und wenn es mal nicht funktioniert, dann wissen Sie sofort warum – nämlich sobald Sie anfangen, sich zu verbiegen und zu verstellen. Alles sollte mit Freude geschehen.
Welche interessanten Weihnachtskonzerte können Sie empfehlen?
Am 23. Dezember um 17 Uhr ist ein schönes Konzert im Dom. Dort werde ich mit allen unseren Ensembles das Weihnachtskonzert musizieren. Wir beginnen mit dem Eingangssatz aus Bachs Kantate Nr. 191, danach spielen wir das Weihnachtsoratorium von Camille Saint-Saens und dann die Mendelssohn- Kantate „Vom Himmel hoch, da komm ich her“. Ein Tag später, am 24. Dezember um 16.15 Uhr, folgt das vorweihnachtliche Singen: adventliche und weihnachtliche Lieder mit dem Dom- und Mädchenchor. Um 17 Uhr beginnt dann die Christmette. Und zum Hochamt am 1. Weihnachtsfeiertag singt der Domchor und am 2. Weihnachtsfeiertag die Mädchen in St. Quintin und der Erwachsenenchor im Dom.
Interview: David Gutsche, Fotos: Ramon Haindl