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Wiesbaden beendet Mietrad / Mainz mit Neuerungen

„Das Fahrradvermietsystem in Wiesbaden soll auf grundsätzlich neue Räder gestellt werden“, verkündete Ende Mai ESWE Verkehr. Der erste Schritt dazu: Das „Aus“ für das Fahrradvermietsystem „meinRad“, so ESWE-Verkehr-Geschäftsführer Jan Görnemann: „Im April hatten wir 1.800 Ausleihen, also nur 450 Vermietungen pro Woche. Damit ist die Wirtschaftlichkeit des Systems nicht gegeben. Aus unserer Sicht ist es der richtige Zeitpunkt, stattdessen die Neuausrichtung eines Fahrradvermietsystems für Wiesbaden anzustreben“.  Damit endet zugleich die Kooperation von Mainz und Wiesbaden und es sind keine Radmieten mehr in Wiesbaden möglich. Eine Ausnahme stellen fast alle Stationen in Amöneburg, Kostheim und Kastel dar. Diese wurden und werden weiterhin von meinRad Mainz betrieben.

Das neue Wiesbadener Verleihsystem werde sich vor allem auf E-Bikes und E-Tretroller stützen. „Der Markt ist da. Das sieht man an den Ausleihzahlen der E-Roller“, ist sich Görnemann sicher. Mit den Anbietern in Wiesbaden sei die ESWE bereits im Gespräch. Die Stadt habe das Konzessionsrecht und könne auch steuernd eingreifen. Was mit den alten Rädern passiert, ist laut dem Sprecher von Eswe Verkehr, Micha Spannaus, noch nicht entschieden: „Wir prüfen mehrere Optionen.“
Vorerst wurden alle 600 Fahrräder in Wiesbaden eingesammelt. Die bisherigen 89 „meinRad“-Stationen bleiben jedoch erhalten und fließen in die Neukonzeption mit ein. Die Ausleih-Funktion in der App wurde zum 30. Mai deaktiviert. Eine Neuregistrierung ist auch nicht mehr möglich. Wer nicht auf Leihräder in Wiesbaden verzichten will, kann nach wie vor auf Nextbike setzen: https://www.nextbike.de/en/wiesbaden/ . Tageweise Räder mieten lassen sich unter anderem auch beim „Radler“ im Hauptbahnhof.

Mainz übernimmt das Leihradangebot in Amöneburg, Kastel und Kostheim
„Wir bedauern den Ausstieg von ESWE Verkehr, werden das aber nicht kommentieren“, sagt der Sprecher der Mainzer Mobilität, Michael Theurer. „Es gab Nutzer, die links und rechts des Rheins unterwegs waren, das wird jetzt erst mal nicht mehr möglich sein.“ In Mainz stiegen seit Herbst 2021 die Nutzerzahlen wieder an. Vor Corona habe es 270.000 Fahrten im Jahr gegeben. Zurzeit liege man bei etwa 10.000 Ausleihen im Monat.
Doch Überraschung: Die Mainzer Mobilität übernimmt das Leihrad in den AKK-Stadtteilen! Im Mai wurden hier rund 800 Mal Räder verliehen, also über 26 Ausleihen pro Tag. Die Räder sind an acht Stationen angedockt, drei in Kostheim und Kastel sowie eine in Amöneburg. Dort befindet sich auch die einzige Station in AKK, die bisher von der ESWE bedient wurde. Rund 95 Prozent dieser Fahrten führten nach Mainz, so Theurer.

Kritik aus Politik und Verbänden
Die Wiesbadener FDP äußerte heftige Kritik an Verkehrsdezernent Kowol. „Wir haben immer wieder auf die Fehlentwicklungen bei ‚Mein Rad’ hingewiesen. Kowol hatte bei der Einführung angekündigt, dass das Angebot nach wenigen Jahren kostendeckend angeboten werden könne. Stattdessen stieg das Defizit bis 2022 auf mehr als 800.000 Euro pro Jahr an. Immer wieder gab es technische Probleme mit der App oder den Fahrrädern und die verpflichtende Registrierung machte das Angebot für Gelegenheitsnutzer und Touristen völlig unattraktiv“, so Alexander Winkelmann (FDP). „Es gibt zahlreiche Beispiele für funktionierende Radverleihsysteme. Dabei beauftragt die Stadt einen privaten Anbieter mit dem Betrieb des Verleihsystems. Das Ergebnis sind ein besserer Service und geringere Kosten für die Kommune. Bereits bei der Einführung hätte es die Möglichkeit der Vergabe an einen externen Partner gegeben, der auch das Bikesharing-System der Hochschule Rhein-Main betreut. Weil der Magistrat aber dem Traum des umfassenden Mobilitätsdienstleisters nachhing, sollte die ESWE das System in Eigenregie betreiben. Diese Fehlentscheidung ist die Stadt nun teuer zu stehen gekommen.“

Auch der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Wiesbaden / Rheingau-Taunus bedauert die Einstellung des Leihrad-Angebots: „In der städtischen Verkehrspolitik stellt das einen Rückschlag dar“, heißt es in einer Pressemitteilung. Öffentliche Leihräder seien ein attraktives Angebot für Berufspendler, Touristen, Kongressbesucher und Studenten. Die Ursachen für das Scheitern lägen weniger an schwierigen Marktbedingungen als an konzeptionellen Fehlern, wie der komplizierten Registrierung, technischen Problemen bei der Schlossentriegelung und der fehlenden Kooperation mit dem AStA der Hochschulen. Der ADFC bietet seine Unterstützung an und drängt darauf, „Mein Rad“ nutzerfreundlich und zeitnah zu reaktivieren.

Mainz: Neue App, neue Tarifstruktur, Mehrfachausleihe
Das Mainzer Fahrradvermietsystem dagegen wird leicht modifiziert: Mietradler können sich seit dem 1. Juni über einige Verbesserungen und Weiterentwicklungen freuen. Der erste Schritt war ein neues Hintergrundsystem auf neuer Plattform, mit dem auch der Wechsel in eine neue App verbunden ist. Bei beidem setzt meinRad künftig auf die Expertise und Technologie von Europas Bikesharing-Marktführer nextbike.
Die neue App erhielten die Kunden am 1. Juni mit einem Update der aktuellen meinRad-App aufs Handy. Da die Preise und Takte von meinRad auch zum 1. Juni „angepasst“ wurden, muss in der neuen App ein neues Preismodell gewählt und eine Bezahlmethode hinterlegt werden. Da in Mainz in der Regel eher kürzere Strecken zurückgelegt werden, wurde die Taktlänge von 60 Minuten auf 30 Minuten verkürzt. Außerdem fiel die Entscheidung weg vom Jahresabo hin zum flexiblen 30-Tage-Preismodell Flex. Im Preismodell Standard Flex ist so für 9 Euro pro 30 Tage der erste Takt umsonst – mit ÖPNV-Abo und für Studierende geht es noch günstiger.
Bezahlen geht nun via Kreditkarte, Apple Pay, Google Pay und Paypal. Das Lastschriftverfahren wird aufgrund technischer Anpassungen erst im Juli nachgezogen.
Zudem kommt die viel gewünschte Mehrfachausleihe zurück. Mit ihr können bis zu vier Räder gleichzeitig gemietet werden.
Noch im dritten Quartal 2022 sollen außerdem die ersten E-Lastenräder in das „meinRad“-System integriert werden. Bis Mitte 2023 werden zusätzlich alle festen Andockstationen durch puristischere Stationen ersetzt, bei denen die Fahrräder nicht angedockt, sondern lediglich abgestellt und mit einem am Hinterrad befestigten Schloss abgeschlossen werden.

Ausweitung auf Bischofsheim
Zudem soll „Mein Rad“ im kommenden Jahr auf Bischofsheim ausgedehnt werden. Finanziell unterstützt wird das Projekt vom Kreis Groß-Gerau. Die Investitionskosten belaufen sich auf rund 115.000 Euro für 9 Stationen (davon zwei am Bahnhof Bischofsheim) mit 62 Abstellplätzen und 40 Fahrrädern.
Man prüft darüber hinaus die Einführung auch für das restliche Kreisgebiet, möglicherweise mit einem anderen Betreiber. Bei der Auswahl soll allerdings ein Augenmerk auf eine problemlose Verknüpfung mit anderen Systemen gelegt werden.

Mainzer FDP: Neuerungen bei „MeinRad“ für Lösung bei E-Scootern nutzen
Die angekündigten Neuerungen der Mainzer Mobilität finden Unterstützung der freidemokratischen Fraktion. „Die Maßnahmen haben das Potenzial, die Erfolgsgeschichte der Fahrradvermietung in Mainz fortzuschreiben. Wir glauben, dass sich die Beliebtheit des Systems dadurch steigern lässt“, so Fraktionsvorsitzender David Dietz. Insbesondere der Umbau der Mietstationen bieten aus seiner Sicht einen weiteren Vorteil. „Die Diskussion über feste Stellplätze für E-Scooter in der Stadt hat aufgrund des Wildwuchses zu Recht an Fahrt aufgenommen. Wenn die „MeinRad“-Stellplätze künftig verschlankt daherkommen, kann der so gewonnene Platz vielleicht auch für die Scooterleihe genutzt werden. Warum sollten so nicht Sammelstellen entstehen, bei denen Kunden das Fortbewegungsmittel ihrer Wahl aussuchen können?“

CDU fordert, „meinRad“-Angebot auf den Prüfstand zu stellen: Gesellschaft schreibt seit Jahren hohe Verluste
Die CDU fordert dagegen – analog zu Wiesbaden – auch das Angebot in Mainz auf den Prüfstand zu stellen. Der verkehrspolitische Sprecher der CDU Thomas Gerster erklärt, dass die Gesellschaft mit dem Angebot jährlich hohe Verluste zwischen 300.000 und 1,3 Mio. Euro schreibe, die Nutzungszahlen dagegen hinter den Erwartungen zurückblieben. Er schlägt vor, die Nutzungsgewohnheiten der Kunden zu analysieren und das Angebot stärker an ihre Bedürfnisse anzupassen oder ggf. ganz aufzugeben. Es müsse überprüft werden, wie viele Fahrten länger als einen Kilometer getätigt werden. Gerster habe den Verdacht, dass ein Großteil der Fahrten nur Wege ersetze, die vordem zu Fuß zurückgelegt wurden: „Um die Verkehrswende erfolgreich zu gestalten, muss den Menschen eine gute Alternative zum Auto gemacht werden“, so Gerster. Es müsse zudem geprüft werden, ob E-Bikes eine sinnvolle Ergänzung des Angebots darstellen würden. Eventuell ergebe die Prüfung aber auch, dass die finanziellen Mittel für ein defizitäres Leihradsystem an anderer Stelle, wie beispielsweise zur Stärkung des ÖPNV, besser eingesetzt wären. „Am Ende muss es eine Kosten-Nutzen-Abwägung sein und das bestehende System scheint kein adäquates Angebot zu sein, was durch die geringe Nachfrage belegt wird“, so Gerster.

SPD-Fraktion: MeinRad ist Teil der Mobilität der Zukunft in unserer Region
Für die SPD-Stadtratsfraktion ist es eine „Nonsens-Diskussion“, die die Mainzer CDU versucht loszutreten: „Leider ist das schon der zweite größere Akt in einem traurigen Spiel Wiesbadener Verkehrspolitik – nach der Ablehnung der CityBahn folgt nun der Ausstieg aus dem kommunalen Bikesharing-System“, donnert Erik Donner, der verkehrspolitische Sprecher. Klar sei doch, so Donner, dass die Mobilitätswende Geld kostet und es sie nicht zum Nulltarif gibt. Jeder Euro, den Mainz und die Mainzer Stadtwerke in MeinRad investieren würden, sei gut angelegtes Geld:  „MeinRad ist Teil der Mobilität der Zukunft in unserer Region“.