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Mainzelbahn startet am 11. Dezember – Kostenlose Fahrten an diesem Tag

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Früher sah man in der Zukunft fliegende Autos in fortschrittlichen, sauberen Städten mit glücklichen Menschen. Dass Straßenbahnen dabei noch eine Rolle spielen würden, damit hat man eher nicht gerechnet, sind die Kolosse doch schon seit 1832 unterwegs.
Die erste Straßenbahn der Welt durchquerte damals die New Yorker Stadtteile Manhattan und Harlem. In Mainz feierte sie 1884 Premiere, zunächst noch von Pferden über Schienen gezogen, seit 1904 elektrifiziert, zeitweise auch mit Dampf betrieben. Es gab drei Linien, eine davon bis nach Wiesbaden. Und jetzt rollt eine neue Linie in Mainz. (Foto: Sascha Kopp)

bahn2spRenaissance der Waggons

Lange Zeit spielten Straßenbahnen kaum noch eine Rolle in der Stadtplanung und galten beinahe schon als abgeschrieben. Erst seit Ende des zwanzigsten Jahrhunderts erfahren sie eine Renaissance. Ihre Wiedereinführung ging vielfach mit dem Umbau von Straßen und Stadtzentren einher. Gab es um 1980 nur noch etwa 300 Straßenbahnbetriebe weltweit, so sind es heute wieder rund 390. Das liegt zum einen am stärkeren Umweltschutz-Gedanken, andererseits aber auch an fehlenden finanziellen Mitteln für U-Bahn-Bauvorhaben. Und so reiht sich nun auch Mainz in diese Bewegung mit ein. Eine finanzielle Chance wurde genutzt, denn fast 50 Mio Euro Bundesmittel winkten vor einigen Jahren für den Ausbau einer neuen Linie. In Darmstadt heißt sie Ellebembel und in Stuttgart Strambe. Die Straßenbahn in Heilbronn hieß im Volksmund Spatzenschaukel. Bei uns – wie kann es anders sein – fährt ab jetzt die Mainzelbahn.

Startschuss Mainz

Nach gefühlten hunderten Baustellen und Verkehrsengpässen geht die Mainzelbahn am 11. Dezember an den Start. 9,2 Kilometer Gleise, 16 Haltestellen, 4 Brücken und 10 neue Bahnen beinhaltet dieses Mammutprojekt, welches Fahrgäste vom Hauptbahnhof bis hoch an den Lerchenberg befördert. Um die 90 Mio. Euro kostete der Spaß am Ende. Etwa die Hälfte, 44 Mio., sind Bundesmittel. Das Land gab nochmal 9 Mio. dazu. Die Stadtwerke bzw. ihre Tochter, die Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG), rechnen also mit einem eigenen Anteil von etwa 37 Mio. Euro, kein Pappenstiel. Sie erhoffen sich daher nicht nur ein attraktiveres ÖPNV-Angebot und den Parkdruck in der Innenstadt zu reduzieren, sondern vor allem auch zukünftig Kosten zu sparen. Durch den Ausbau rechnet die MVG mit einem Zuwachs von einer Million Fahrgästen pro Jahr, der regelmäßig 860.000 Euro in die klammen Kassen spülen soll. Kann die Mainzelbahn diesen Erwartungen gerecht werden?

Steuerverschwendung

Wie die meisten Großprojekte wurde es teurer als gedacht. Die MVG rechnete ursprünglich mit „nur“ 84 Mio. Euro. Nun sind die Kosten auf 90 Mio gestiegen. Nicht nur die Leitungsarbeiten wurden teurer als geplant. Auch habe es höheren Gutachteraufwand gegeben und schließlich erhöhten sich auch noch die Baupreise: „Wir gehen davon aus, dass ein Teil dieser Ausgaben förderfähig ist, so dass Stadtwerke und MVG nicht die volle Summe zahlen müssen“, betont Eva Kreienkamp, die Geschäftsführerin. Der Bund könnte, so die Hoffnung, den finanziellen Mehraufwand abfedern. Dennoch sehen viele das Projekt als eine einzige große Steuerverschwendung, ihnen voran der Bund der Steuerzahler. Das Straßenbahn-Projekt steht bereits zum zweiten Mal im „Schwarzbuch“ des vom ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) angeführten Vereins.

Man moniert eine „mainzigartige Kostenexplosion“. Der Steuerzahlerbund stellt daher grundsätzlich den Sinn des Projekts infrage. Man bezweifelt, dass die Strecke eine Million zusätzliche Fahrgäste bringen werde. Stadtwerke-Pressesprecher Michael Theurer hält dagegen: „Es ist bedauerlich, dass der Bund der Steuerzahler nicht wahrhaben möchte, dass die Zahl der Fahrgäste in den vergangenen 15 Jahren in Mainz von rund 42 Mio. auf mehr als 52 Mio. pro Jahr gestiegen ist und in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird.“ Für die MVG jedenfalls ist und bleibt die Mainzelbahn trotz Fördermittel eine enorme Kraftanstrengung: Das stadtnahe Unternehmen hat wegen der Mehr-Kosten seinen festgeschriebenen jährlichen „Schuldendeckel“ von 15 Mio Euro durchbrochen. Mit Inbetriebnahme der neuen Trasse werde das Defizit auf lange Sicht jedoch wieder gesenkt und die MVG wirtschaftlich stärker sein, ist man überzeugt.

Neue Linienführung

Mit dem erweiterten Straßenbahnangebot stellt sich der ÖPNV in Mainz auch insgesamt neu auf. Zahlreiche Linien wurden umstrukturiert (hier geht´s zum Linienplan 2017). Die Liniennummern 47, 58, 69 und 79 entfallen und 14 weitere Buslinien erfuhren Anpassungen. Das lief natürlich nicht ganz ohne Reibung ab. Es gebe aber immer jemand, für den Änderungen Verschlechterungen bedeuten, betont MVG-Geschäftsführer Jochen Erlhof. In Bretzenheim verursachte die Umstellung ein „Riesengegrummel“, berichtete Ortsvorsteherin Claudia Siebner (CDU). Auf die lieb gewonnene Buslinie 6 zum Beispiel wollten viele Anwohner nicht verzichten. „Wir passen immer an“, meinte Erlhof dazu. Soll heißen: Erst wenn die neue Strecke bei Kunden durchfällt, ist eine andere Route denkbar.

Unzufrieden zeigte sich auch Sissi Westrich (SPD). Die Lerchenberger Ortsvorsteherin fürchtet, dass das Einkaufszentrum des Stadtteils unter der neuen Busführung leidet. Eine Ansicht, die Erlhof nicht teilt: „Dafür gibt es ja jetzt die Straßenbahn.“ Eine schlechte Linie für die einen sei außerdem eine gute Linie für andere, sagte der MVG-Chef und erklärt: „Wir machen keinen ÖPNV für einen Stadtteil. Wir müssen an das ganze Netz denken.“

Unklar war lange auch, ob die Mainzelbahn direkt vor dem Stadion halten wird. Von der Polizei gibt es Sicherheitsbedenken aufgrund der Rückstaus von Fans, die nach den Spielen aus der Arena strömen. Zudem funktioniert das derzeitige Bus- Shuttlebus-System sehr gut, was durch eine näher am Stadion liegende Straßenbahn-Haltestelle ausgehebelt werden könnte. Auch Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne), Aufsichtsratsvorsitzende der MVG, hatte ihre Zweifel: Wird sich eine – wenn auch nur zeitlich befristete – Auslassung der Haltestelle direkt vorm Stadion gegen den Druck von Fans und Bürgern durchsetzen lassen? Es gab Diskussionsbedarf. Letztendlich entschied man sich jedoch für eine Haltestelle. Vor einem Spiel werden allerdings die beiden am nächsten zum Stadion gelegenen Haltestellen Plaza und Hochschule angefahren, nach dem Spiel neunzig Minuten lang nicht. Dann ist der Straßenbahn-Einstieg gegenüber der Pendelbushaltestelle, um Chaos zu vermeiden.

Für Aufregung sorgt auch die Haltestelle an der Wohnanlage Kisselberg, die nur bei Bedarfsfällen – etwa Heimspielen von Mainz 05 – angefahren werden soll. Anwohner müssen also im Normalfall eine Station früher oder später aussteigen und den Rest laufen, obwohl eine Haltestelle am Kisselberg vorhanden ist.

Auch die Frequentierung der Buslinien 64 und 68, die künftig werktags nur noch im Halbstundentakt befahren werden, sorgt mitunter für Unverständnis. Die Linien zählen zu den längsten Strecken quer durch die Stadt und sind Anbindung an Gonsenheim – den größten Mainzer Vorort.

Einige Fragezeichen und Arbeit warten also noch auf die MVG.

Anbindung an den Zollhafen

Auch der Zollhafen wird in Kürze ans Netz angeschlossen. Weitere 970 Meter Gleise werden dazu verlegt. Der Betrieb dieses Streckenabschnittes soll im Frühjahr 2017 losgehen. Dann wird die Mainzelbahn Anschluss an die derzeit rein betrieblich genutzte Haltestelle „Straßenbahnamt“ im Kaiser-Karl-Ring und den Zollhafen haben: „Damit wird die historische Haltestelle reaktiviert“, freut sich MVG-Geschäftsführerin Eva Kreienkamp. Auf dem Zollhafen entsteht ein gleichnamiger neuer Haltepunkt. Die Aktion mache das neu entstehende Quartier für 2.500 Einwohner und 4.000 Arbeitsplätze neben der Lage am Wasser noch attraktiver, glaubt Stadtwerke-Boss Detlev Höhne: „Die Reihenfolge ist bewusst gewählt, erst der ÖPNV, dann der Hochbau.

“So kann man mit der Bahn künftig an den Baufeldern vorbeifahren, sehen, was dort entsteht und Lust bekommen, dort zu wohnen oder zu arbeiten. „Auch für die nördliche Neustadt ab der Goethestraße ist der neue Haltepunkt von einer Mordsbedeutung“, gibt sich Höhne überzeugt und Kreienkamp ergänzt: „Die Menschen nehmen gerne längere Wege in Kauf, um mit der Straßenbahn zu fahren, weil sie das komfortabler finden als mit dem Bus.“ Der Einzugsbereich für einen Straßenbahn-Haltepunkt hat einen Radius von etwa 500 Metern. Demnach würden beide neue Haltestellen mehrere tausend Menschen ansprechen.

Verbindung mit Wiesbaden

Auch im Gespräch war zuletzt eine Anbindung an die bislang straßenbahnlose Stadt Wiesbaden. Deren OB Sven Gerich (SPD) schrieb einen Brief an den hessischen Wirtschaftsminister Tarik Al-Wazir (Grüne), mit der Bitte, das Land möge sich an den Planungskosten beteiligen. Die Verbindung, die die Wiesbadener „City-Bahn“ nennen, könnte über die Theodor-Heuss-Brücke den Rhein queren. Zwischen beiden Orten bestanden schließlich seit alters her Verkehrsbeziehungen. 1886 nahm die Pferdebahn zwischen dem Mainzer Centralbahnhof und dem damaligen Bahnhof in Kastel ihren Betrieb auf. Noch heute kann man alte Gleise am Rheinufer sehen.

Beim Minister ist die Anfrage derweil auf offene Ohren gestoßen. Für den Bau einer City-Bahn stehen die Zeichen gar nicht mal so schlecht, heißt es. Sieben der acht Fraktionen im Wiesbadener Stadtparlament haben den Wunsch zum Einstieg in eine Planung geäußert. Der Mainzer OB Michael Ebling (SPD) äußert sich jedoch zurückhaltend. Denn die Mainzelbahn war und ist ein Großprojekt, das neben Zustimmung auch viel Kritik mit sich gebracht hat. Es muss erst einmal geklärt werden, ob der verkehrliche Nutzen und das Fahrgastpotenzial groß genug ist, um einen erneuten finanziellen Kraftakt zu rechtfertigen.

Zudem müsste der politische Wille abgefragt und die Zuschuss-Fähigkeit des Projektes geprüft werden. Denn die Stadt Mainz könne hierfür keine weiteren Mittel zur Verfügung stellen. Es habe viele Jahre gedauert, bis Planfeststellung und Bürgerbeteiligung für die „Mainzelbahn“ abgeschlossen waren. In der Nachbarstadt jedenfalls habe man den Eindruck, für die Zukunft nichts Falsches gebaut zu haben, bekräftigt Ebling.

Gestaltungs-Arbeiten

Zurück nach Mainz. An den neuen Haltestellen befinden sich nun längliche Informationsstelen, in die alle wichtigen Funktionen integriert sind: vom Schaukasten für die Fahrpläne über die elektronische Anzeige bis hin zu einem Lautsprecher und einem Knopf, mit dem Rollstuhlfahrer barrierefreien Einstieg anfordern können. Die letzte der zehn bestellten Variobahnen wurde am 28. Oktober angeliefert. Im Zeitlupentempo rollte das 30-Meter-Fahrzeug vom Tieflader aufs Gleis vor dem Straßenbahndepot. Hier erhielt der Triebwagen seinen letzten Feinschliff.

23 Mio. Euro kosteten die zehn Straßenbahnwagen, die über ein regionales Bankenkonsortium unter Führung der Sparkasse Mainz finanziert wurden. Allerdings, so betont MVG-Geschäftsführer Erlhof, hielten die Schienenfahrzeuge deutlich länger als Busse. Läge deren Lebensdauer bei etwa 14 Jahren, rechne man bei den Variobahnen mit 35 Jahren. Auch die Umweltbilanz kann sich sehen lassen: „Zehn Straßenbahnen ersetzen zwanzig Busse und leisten so einen Beitrag für mehr saubere Luft“, sagt Verkehrsdezernentin Eder, „ich zähle jetzt die Tage bis zur Eröffnung“.

Und auch Erlhof ist froh, dass sich die Bauphase dem Ende entgegen neigt. In der letzten Novemberwoche fanden erste Testfahrten statt. Und auch die Begrünungsarbeiten entlang der Strecke und Neupflanzungen sind im Gange. Die Begrünung der „Rasengleise“ auf etwa ein Drittel der neuen Trasse erfolgt Anfang 2017. Es geht also voran – die Mainzelbahn ist endlich in Mainz angekommen. Über Sinn und Unsinn kann noch lange diskutiert werden. Fahrgastzahlen, Umweltvorteile und weitere Kostenersparnisse werden in den kommenden Jahren ersichtlich und die Anstrengungen rechtfertigen – oder auch nicht. Wir können uns derweil an einer neuen Straßenbahnstrecke über Uni und Stadion bis hoch zum ZDF freuen. Und welche Groß-Kleinstadt kann das schon von sich behaupten?

Hinweis: Am Sonntag, 11. Dezember, können alle Mainzer Straßenbahnlinien den ganzen Tag über kostenfrei genutzt werden. 

zu Teilen aus der Allgemeinen Zeitung, bearbeitet von David Gutsche

Fotos: MVG