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Wie gut ist der Mainzer ÖPNV?

Wie gut ist eigentlich der Mainzer ÖPNV? Stimmen die Vorurteile, dass die Busse zu spät kommen und das Straßenbahnnetz nur unzuverlässig funktioniert? Eine sensor-Recherche im Selbstversuch.

Die Leitstelle der Mainzer Mobilität

Unpünktlich, zu teuer, unbequem, unzuverlässig – hat der öffentliche Nahverkehr in Mainz einen schlechten Ruf? Ich wollte es wissen und habe eine Umfrage an meinen Adressenverteiler verschickt – und fast 100 Mainzer haben geantwortet. Um es gleich vorwegzunehmen: Eigentlich sind alle zufrieden. Obwohl fast jeder eine kleine Geschichte zu erzählen hat. Über Fahrplantaktung, Umsteigezeiten, Streckenführung usw. will ich gar nicht schreiben, denn da hat jeder seine speziellen Wünsche, je nach Wohn- und Zielort. Aber durchgängig wird die Dichte des Systems gelobt. Und in der Tat: Wenn man sich bemüht und Fahrpläne lesen kann, kommt man überall rechtzeitig hin. Auch Klagen über Fahrpreise sind müßig, denn der ÖPNV kostet die öffentliche Hand mehr als er einspielt, und zwar überall auf der Welt. Generelle Übereinstimmung also: Positiv, natürlich ohne Anspruch auf Repräsentativität der kleinen Umfrage. Immerhin werden in Mainz jährlich um die 55 Mio. Fahrgäste befördert. Was die Leute dabei stört und noch zu verbessern ist, kommt hier im Überblick, teilweise kommentiert durch Jochen Erlhof, Geschäftsführer der Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG), die unter der Marke „Mainzer Mobilität“ firmiert.

Die neuen Mobilitätssäulen – nicht immer ohne kleine Zipperlein

Säulen und Apps
So sehr die neuen digitalen Infosäulen begrüßt werden – und sie bieten ein umfassendes Informationsangebot – so häufig sind auch die Klagen über „Fehler im System“. Da verschwindet schon mal die blinkende Ankündigung der sehnlichst erwarteten Bahn, und 45 Minuten tut sich gar nichts – und das um 23 Uhr! Oder die Anzeige verschwindet, aber Minuten später kommt der Bus doch und überholt einen. Die „App“, deren Nutzung von jedem Fahrgast heute vorausgesetzt wird, hilft auch nicht weiter. Deren Angaben widersprechen bisweilen den Anzeigen. Ebenso wie die RMV-Website. Beispiel: Der Bus wird dort als verspätet angekündigt, fährt dann aber zwei Minuten vor der Fahrplanzeit ab. Widersprüche gibt es auch zwischen den Internet-Angeboten Bahn.de und RMV.de. Und in den Fahrzeugen wird immer mal wieder die falsche Linie angezeigt. Von „Echtzeit-Information“ keine Rede. Eine Statistik der Fehlinformationen dürfte schwer zu erstellen sein, aber eine Stichprobe von zwei Busstunden auf mehreren Linien an einem Werktag ergab schon mehr als sechs ausgefallene Info-Displays. Wenn dann noch die ausgedruckten Fahrpläne fehlen, herrscht komplette Desorientierung. Apropos: Die Einsparung der Aushangfahrpläne begründet Geschäftsführer Jochen Erlhof mit dem Personalaufwand, den bei Hunderten von Haltestellen die Aktualisierung auf Sonderfahrpläne (Fastnacht, Weihnachten, Umleitungen usw.) erfordern würde. Nachvollziehbar – sofern der elektronische Ersatz funktioniert. Die ungenutzten Vitrinen dienen jetzt zur Eigenwerbung mit goodwill-Effekt: „#diebestenfahrgäste: Danke, dass Sie…“ Übrigens: 20 Prozent der älteren Menschen sind nicht mit digitalen Medien vertraut. Und Aushangfahrpläne sind sofort lesbar, während man immer mal warten muss, bis der Mensch vor einem mit dem Touchscreen fertig ist.

MVG-Chef Jochen Erlhof

Personalknappheit
Eines von vielen Erlebnissen: In der Tram 52 nach Bretzenheim fordert der Fahrer an der Haltestelle „Agentur für Arbeit“ die Fahrgäste wegen einer Signalstörung zum Aussteigen auf, die Fahrt endet. Auf der zweizeiligen Anzeige gegenüber erscheint für einige Minuten „Haltestelle aufgehoben“. Mehr ist nicht bekannt. Fahrgäste orientierungslos, was tun? Einige warten einfach, und in der Tat kommt nach 25 Minuten die nächste Bahn. Nur ein Beispiel für viele ähnliche Situationen. Auch hier schlägt die Personalknappheit zu: Die Leitstelle konzentriert sich zunächst auf die Beseitigung der Störung, Räumung der Strecke, und bei Unfällen natürlich auf die Verletzten. Information ist nachgeordnet. Es fehlen einfach die Stellen dafür. „Die Systementwickler liefern aber mit jedem Update Lösungen, um die Daten noch verlässlicher und stabiler an die Empfänger zu übermitteln.“ – So hieß es in einem Antwortbrief der MVG auf eine Beschwerde. Man kann also hoffen. Zuletzt hatte die MVG drei Studenten als Straßenbahnfahrer akquiriert.

Haltestellen-Sauberkeit
Immer wieder wird über mangelnde Sauberkeit geklagt, und tatsächlich gibt es neuralgische Punkte (den Fahrgästen bekannt), und natürlich Müllspitzen nach Feier- oder Fußballwochenenden und bei Ausflugswetter. Ob hier „Danke, dass Sie …“ hilft? Die Reinigung der Wartehäuschen obliegt übrigens nur bei denen ohne Werbung der MVG, diejenigen mit Werbenutzung müssen vom plakatierenden Unternehmen (Monopol: Ströer) betreut werden. Umso mehr sind alle ÖPNV- Nutzer gefragt, für Sauberkeit zu sorgen. Weiterer Kommentar überflüssig. Als Wartende auf den drei, vier Gittersitzen in den Wartehäuschen würden viele auch ein Rauchverbot begrüßen. Antwort der MVG: Wer soll das kontrollieren?

Fahrzeuge
In Bussen und Bahnen nerven verschmutzte Sitze („Schuhe runter!“) und herumrollende Bierdosen aber eher selten. Allgemeiner Tenor: Sauber, gepflegt, bequem und auch gut klimatisiert. Falls sich mal jemand danebenbenimmt, hat der Fahrer das Hausrecht – sofern er sich den Stress zumuten will. Sonderfälle der Renitenz und Belästigung kann man öfter (und immer öfter) in der AZ nachlesen. Da ich die Welt sehen möchte, kleben meine Augen im Bus nicht am Smartphone, sondern schweifen in die Stadtlandschaft. Schade, dass einem mit gerasterten Werbeaufklebern immer mal wieder die Sicht aus dem Fenster vernebelt wird – aber wenn’s der Kostensenkung dient… nach Kräften und technischen Möglichkeiten wird behinderten Fahrgästen geholfen. Zugegeben: Es fahren (noch) einige alte Straßenbahnen mit hohen Einstiegsstufen. Und wenn der Busfahrer mal im Stress ist, können auch nette Menschen die Rollstuhlrampe herunterklappen. Das laute Ticken an den Haltestellen hilft Blinden, die gelben Schalter mit der Info-Ansage zu finden. Anders geht es wohl nicht. Manchmal gibt es Gedränge von Kinderwagen, Rollis und Radfahrern. Letztere müssen ggf. draußen bleiben („Radfahrende sollen Radfahren“, schrieb eine Radfahrerin!). Im Zweifel entscheiden die Fahrer.

Drei Studis als neue Straßenbahnfahrer

Fahrer und Fahrerinnen
Zwischen fehlender Kenntnis der Haltestellennamen auf der eigenen Linie, Unverschämtheiten wie „Bin ich hier die Auskunft?“ bis zu hilfsbereiten Hinweisen auf Umsteigemöglichkeiten finden sich alle Variationen der Auskunftsfreudigkeit. Auf die Frage des amerikanischen Touristen „Where is the Bible?“ ist vielleicht auch nicht jeder vorbereitet. Humor bewies der Kollege, der „Fahren Sie über den Hauptbahnhof?“ mit „Nein, ich halte davor“ beantwortete. Zur Ausbildung gehört, dass die Fahrer vor ihrem Ernstfall-Einsatz alle (wirklich alle!) Linien in Begleitung abfahren. Zudem gibt es für jede Linie Kurzvideos zur Vorbereitung. Was mich überrascht hat: Tempo 30 in der Innenstadt gilt auch für Busse! Und bei Verstößen muss der Fahrer blechen, nicht die MVG. Soweit nur dazu. Generelles und immer wieder genanntes Ärgernis: die manchmal ruppige Fahrweise (Beschleunigen vor der Ampel, dann plötzliches Abbremsen usw.). Sensibilität für Fahrgäste sieht manchmal anders aus. Ein Fahrer, den ich beim Aussteigen darauf ansprach, schimpfte mir laut auf Arabisch hinterher. Es wird darüber geklagt, dass die vorderste Tür in Bussen bisweilen nur halb geöffnet wird (es ist ja auch kalt im Moment…). ESWE und MVG gelobten Besserung. Und ob die letzte Tür im Gelenkbus auch aufgeht, ist immer wieder ein emotionales Roulette-Spiel. Zu frühes Abfahren wird häufig beklagt, vor allem bei der letzten Fahrt vor Feierabend. Empfehlung der MVG: Seien Sie früher an der Haltestelle! Zu guter Letzt, was jeder schon einmal erlebt hat: Dem einen fährt der Bus vor der Nase weg, als er gehetzt noch an die Tür klopft, für den anderen hält der Fahrer extra noch einmal an. Beide Varianten kommen vor. Dazu die Information: An Kreuzungen mit Signalverbindung zur Ampel MUSS abgefahren werden. Aber Spielräume gibt es immer. Was tut die MVG bei Beschwerden (unter Telefon 127777 oder verkehrscenter@mainzer-mobilitaet. de)? Alle Anliegen werden innerhalb von sieben Tagen beantwortet, ist das Versprechen. Und jeder Vorfall soll mit den betroffenen Mitarbeitern besprochen werden, arbeitsrechtliche Konsequenzen sind nicht ausgeschlossen.

Fazit
In puncto Kundenfreundlichkeit ist bei der „Mainzer Mobilität“ sicher noch Luft nach oben, aber was möglich ist, wird versucht. Und wie anfangs gesagt: Die Fahrgastzufriedenheit ist hoch. Manchem eingefleischten Autofahrer muss man nur noch „auf die Sprünge“ (in den Bus) helfen. Eine ehrliche Kostenrechnung in Zeiten des Jahrestickets fällt immer zugunsten des ÖPNV aus – zumindest innerhalb der Stadtgrenzen, weswegen der Autor auch seit vielen Jahren den eigenen Wagen durch „Hackenporsche“, Bollerwagen und Sackkarre ersetzt hat – die übrigens problemlos mitfahren können, ebenso wie Leitern oder kleine Möbelstücke. Zuletzt eine Empfehlung an Kultur- und andere Veranstalter: Nennen Sie in Ihrer Werbung unter „Anfahrt“ nicht nur das nächste Parkhaus, sondern auch die Haltestellen! Und wahlweise ein ÖPNV-Gutschein statt Parkschein-Bon wäre für Einkaufszentren vielleicht auch eine gute Idee.

Text: Minas

Fotos: VRM

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