Freitagnacht, 3 Uhr, irgendwo in der Neustadt. Studenten feiern eine Party. Die Nachbarn liegen wach und ärgern sich. Anstatt das Ordnungsamt zu rufen, schreiben sie eine Mail an den Nachtkulturbeauftragten. Der meldet sich am Montag bei ihnen und verspricht zu vermitteln. Träumerei? Im Gegenteil. Schon bald könnte es so oder so ähnlich laufen.
Mediator, Impulsgeber, Sprachrohr
Ein Nachtkulturbeauftragter oder auch Nachtbürgermeister ist eine Person, die sich um die Belange der Akteure im Nachtleben kümmert. Jemand, der vernetzt, zuhört, vermittelt – ein Mediator, Impulsgeber und Sprachrohr. Das Konzept ist nicht neu. Schon seit 2003 gibt es einen „Night Mayor“ in Amsterdam, dann in New York, London und Paris. Eine Erfolgsgeschichte ist auch die des ersten deutschen Nachtbürgermeisters in Mannheim. Das Projekt läuft so gut, dass es gerade in die Verlängerung geht. Einige Kommunen nehmen sich Mannheim zum Vorbild, darunter auch Wiesbaden und Frankfurt. Nun Mainz? Oberbürgermeister Michael Ebling will diesen Posten schaffen, um „der Nachtkultur den Stellenwert zu geben, den sie verdient“, sagt er. Ziel sei eine Gleichrangigkeit von Interessen der Betreiber und der Belange von Anwohnern. Deswegen möchte Ebling seinen zukünftigen Kollegen auch „Nachtkulturbeauftragten“ nennen: „Nachtbürgermeister klingt mir zu sehr nach Ordnungspolitik, danach wie man für Ordnung und Sauberkeit auf den Straßen sorgt. Es geht aber auch darum, die Nachtkultur zu stärken.“ Seit Mitte Februar läuft die Bewerbungsphase. Gemeinsam mit dem Netzwerk „Musikszene Mainz“ und dem Kulturbüro Rheinland- Pfalz soll entschieden werden, wer es wird.
Qualität in der Nachtkultur
Doch: Braucht Mainz so etwas überhaupt? Hört man sich in der Gastronomie und unter Kulturschaffenden um, sagen viele: Unbedingt! Für Ida Hattenberger, neue Vorsitzende vom Kulturverein Peng, wäre es sogar „das Beste, was Mainz passieren kann“. Aus ihrer Sicht gibt es viel Potenzial und in Sachen Lärmbeschwerden und Räumen für Kunst und Kultur noch Luft nach oben: „Ich wünsche mir einen Captain Picard für Mainz, den besten humanistischen Diplomaten ever“, sagt sie. Auch Norbert Schön, Inhaber vom Kulturclub schön schon, hält das Amt für eine „starke Idee“. Ein Nachtkulturbeauftragter könne als Mediator zur nächtlichen Harmonie beitragen. Rimah Khalouf, bekannt unter seinem Dj-Namen Amir und Mitgründer des Musiklabels bouq, sieht das ähnlich: „Mainz hat Potenzial für mehr Angebote und mehr Qualität in der Nachtkultur. Da kann es nicht schaden, wenn eine Person sich für die Interessen verantwortlich fühlt“. Nachtkultur sei ein urbanes Thema und sollte nicht in die Randbereiche gedrängt werden.
Ansprechpartner mit Überblick
Dass ein Nachtbürgermeister für Mainz eine gute Idee sein kann, scheint Konsens. Doch wie sieht es mit der Umsetzung aus? Welche Aufgaben soll so eine Person haben? Und: Ist es ein Ehrenamt oder ein Fulltimejob? Die meisten Gastronomen und Nachtaktiven wünschen sich in erster Linie einen Vermittler zwischen Anwohnern, Veranstaltern und Stadt. Außerdem jemanden, der sich den Themen fehlende Räume und Clubsterben annimmt sowie einen Ansprechpartner mit Überblick. Pierre Scherner von Dorett Bar, Baron und der Kneipe Krokodil sieht das Nachtleben sogar vor einer Weichenstellung: „Es muss die Frage gestellt werden, wo die Reise hingeht. Soll Mainz ein reines Wohnzentrum sein oder ist eine lebendige Nacht- und Ausgehkultur gewollt?“ Ein Nachtbürgermeister könnte hier einwirken. Für Scherner und einige weitere Gastronomen ist das Thema Anwohner und Lärm dabei ein zentrales Problem: „Es wäre eine wichtige Aufgabe, Beschwerden in eine Relation zu setzen.“ Die gewählte Person sollte demnach möglichst unabhängig agieren können und keiner Interessensgemeinschaft verpflichtet sein.
Das Rennen läuft bereits
Etwas anders sieht das Victor Anta Muñoz, der das Alte Postlager und Gutleut betreibt: „Der Nachtbürgermeister muss eine Person sein, die Erfahrung mit der Gastronomie und der Nacht hat. Und außerdem jemand mit einem geringen Ego.“ Auch er wurde schon gefragt, ob er sich so einen Job vorstellen könne: „Ich will diesen Posten nicht, aber ich habe das Gefühl, ich muss es machen“, lacht er. „Bevor es irgendjemand schlecht macht und der Stadt schadet, fühle ich mich in der Pflicht.“ Das Rennen läuft also an und Kandidaten stehen in den Startlöchern. Auch bouq-Macher Rimah Khalouf hätte Lust: „Ich habe Bock, was zu verändern. Ich bin ein Macher und würde mich gerne in den Dienst der Nachtkultur stellen.“ Sein Fokus würde vor allem auf den Angeboten der freien Kulturszene liegen.
Zunächst Testphase?
Grünen-Stadtratsmitglied und Gastronom Kamil Ivecen schweben dazu Schnittmengen und Kooperationen mit dem Einzelhandel vor sowie mit der Kreativwirtschaft, Kunst-, Kultur-, und Musikszene. Genau hier bewegt sich auch ein weiterer Kandidat, nämlich Daniel Sieben, Mitinitiator der Stadtführer und Gutscheinhefte von Luups. Auch er kann sich vorstellen, den Job zu machen: „Ich kenne Mainz, die Szene und die Menschen hinter den Läden. Nachtkultur ist mein Thema und ich hänge nirgends zu tief drin.“ Sieben ist wichtig, dass der zukünftige Nachtkulturbeauftragte „nicht nur schaut, was gerade populär ist, sondern auch bereit ist, Dinge erst populär zu machen.“ Ein Ehrenamt halten die meisten Akteure allerdings nicht für ausreichend. Und hier liegt auch das Problem, denn OB Ebling plant genau das – zumindest in der sechsmonatigen Testphase. In dieser Zeit soll sein neuer Kollege Clubbetreiber, Veranstalter, Anwohner und Stadtverwaltung an einen Tisch bringen und Konzepte erarbeiten, wie man das Nachtleben weiterentwickeln kann. Währenddessen möchte Ebling ermitteln, wie groß Bedarf und Akzeptanz einer solchen Person sind und welche Aufgaben sie übernehmen könnte. Eines ist bei all den Anforderungen und Ideen schon mal klar: Die Person sollte eine gute Portion Idealismus, Liebe zu Mainz sowie Leidenschaft fürs Nachtleben mitbringen – und definitiv eher Nachteule als Lerche sein.
Gesucht wird eine Person, die mindestens 18 Jahre alt ist, eine Affinität zur Stadt und zur kreativen Szene hat, die das Mainzer Club- und Kulturleben kennt, kommunikativ ist und offen auf Menschen zugeht, Spaß daran hat Netzwerke zu bilden und es versteht in Konfliktsituationen zu vermitteln. Interessierte werden gebeten ihre aussagekräftigen Bewerbungsunterlagen, gerne auch mit ersten Konzeptideen, bis zum 17. März 2020 an folgende Adresse zu schicken: buero.oberbuergermeister@stadt.mainz.de.
Hannah Weiner
Illustration: Eva Revolver