Direkt zum Inhalt wechseln
|

Wau Wau – Ehrenamtliches Hundeausführen in Mainz

hund
Text: Nathalie Klemm
Foto: Steffi Nierhoff

Eine kalte Hundeschnauze schnuppert kurz an meiner Hand, dreht um, und wendet sich wieder der Pflegerin zu. „Typisch Collie-Mix“, meint Steffi. Sie ist schon lange im Tierheim tätig und begleitet mich als Fotografin zu meinem ersten Gassidienst. „Collies sind Hütehunde, die in den schottischen Hochmooren die Schafe zusammengetrieben haben“, erklärt sie mir fachkundig. „Die haben eine Bezugsperson, in dem Fall ist das seine Pflegerin Kathrin. Du bist jetzt erst einmal nicht interessant.“

Den Hunde-Opa hatte mir Kathrin aus dem Zwinger geholt. Einen ruhigen, lieben Hund hatte ich mir für den Anfang gewünscht. Tatsächlich lässt sich Lightning problemlos anleinen. Seinem Namen (zu deutsch: Blitz) macht er keine Ehre. Ruhig und besonnen trottet er neben mir los. Schnell trage ich uns noch auf der Liste der Hunde aus, die gerade draußen als Mensch-Hunde-Gespann unterwegs sind. Ein paar Kotbeutel bekomme ich auch noch zugesteckt. Klar, das muss sein. Einige Schrebergärtner in der Gegend seien nicht gut auf die Hundeausführer zu sprechen, hatte mir Bürokraft Ellie beim sogenannten „Ausführer-Einführabend“ erklärt. Zusammen mit einem Dutzend Interessierten hatte ich von ihr viele wertvolle Informationen erhalten – und letzten Endes natürlich auch die Lizenz zum Gassigehen. Die Schrebergartensiedlung ist das bevorzugte Einsatzgebiet der Ehrenamtlichen und soll auch heute unser Ziel sein. Steffi, Lightning und ich ziehen los. Lightning hält seine Nase dicht über dem Boden gesenkt, will sofort alles beschnuppern. Geführt von seiner Schnüffelroute gehen wir zwei Schritte vor und einen zurück. Außerhalb seines Zwingers ist natürlich erst einmal alles von größtem Interesse, denke ich, und so überlasse ich ihm die Führung.

Die Gründe, warum sich Hunde im Tierheim wiederfinden, sind für Menschen schnell erklärt: Die meisten sind laut Kurzbericht der Tierheim-Jahreshauptversammlung 2014 aufgefundene Tiere. Ihre Vorbesitzer melden sich nicht beim Tierheim, und so bleiben sie erst einmal dort. Viele Hunde werden aber auch abgegeben, aus den unterschiedlichsten Gründen: Mal stehen ein Umzug oder eine Trennung an, oder aber die Hundehaltung entpuppt sich überraschend als zeitintensiver als erwartet. Oder man stellt fest, dass der Hund nicht ewig ein niedlicher Welpe bleibt. Für die Hunde ist ihre Abgabe im Tierheim so unerklärlich wie quälend. Für Lightning stand die Welt vermutlich erst einmal Kopf. Sein Herrchen hatte ihn aus Geldmangel abgegeben. Die Arztkosten für den an Arthrose erkrankten Hund waren zu hoch. Nun wartet der 12-jährige Rüde auf ein neues Zuhause und muss die Zeit in einem Zwinger überbrücken.

Was das für einen Hund bedeuten kann, belegt eine aktuelle Studie des Anthrozoologie-Instituts der Universität Bristol in England. Forscher untersuchten 30 für den Polizeidienst ausgebildete Schäferhunde. Sie werteten Videoaufnahmen der Tiere in ihren Zwingern aus, wo sie nach Dienstende ihren Feierabend verbringen. Die Hunde zeigten deutliche Anzeichen von extremem Stress und temporärer Geisteskrankheit, so heißt es. Der Hauptautor der Studie, Hamish Denham, stellte damit fest, dass sogar die hochdisziplinierten Polizeihunde regelrecht den Verstand verlieren, wenn sie eingesperrt sind. Als Belege galten ihm das wiederholte Auf- und Abspringen und das Sich-im-Kreise-Drehen, dass auch ich bei einigen Tieren im Mainzer Tierheim beobachten konnte. Eindrucksvoll festgehalten hat Rainer-Maria Rilke dieses Sujet in seinem Gedicht „Der Panther“. Dort heißt es:Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Diese Tristesse ist wohl jedem intuitiv begreiflich. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch: Jedes Herausholen aus dieser Welt, jeder menschliche Kontakt mit Pflegern und Ehrenamtlichen ist geeignet, einen Hund zu besänftigen und tiefsitzendes Misstrauen und Unruhe abzubauen, auf dass er in einer Familie wieder zu Ausgeglichenheit und Unbeschwertheit finden kann. Im Tierheim kann der Besucher auf Collagen, die von den neuen Familien gestaltet wurden, nachlesen, wie schnell sich Hunde von ihren Unsicherheiten und Neurosen erholen. Die Erfahrung zeigt immer wieder: Die Hunde ändern ihr Verhalten von Grund auf, wenn sie erst einmal die Geborgenheit in einer Familie kennengelernt haben. Auch auf der Internetplattform www.tierheim-mainz.de finden sich unter dem Link „Vermittelt“ viele beeindruckende Zeugnisse dieser Entwicklung.

Lightning merke ich keinerlei Nervosität an. Ich wundere mich nur darüber, dass ich so oft während unseres Spazierganges nach den Kotbeuteln greifen muss, um seine Hinterlassenschaften aufzusammeln. „Das liegt am Stress“, erklärt mir Steffi. Die Zwingerhaltung schlüge den meisten Tierheimhunden auf den Magen. Wir beschließen, noch einen Schlenker zum Gonsbach zu machen. Meine schicken Wildlederstiefel schmatzen, als wir den kleinen Abhang zum Wasser betreten. „Am Besten zum Ausführen immer eine alte Jacke und feste Stiefel mit Profil mitnehmen“, sagt Steffi. Das werde ich mir merken. Wir fragen uns, wie Lightning wohl auf den Bachlauf reagieren wird, ob ihm dieser überhaupt geheuer ist. Fröhlich tapst er ins Nass und säuft daraus. Einige Hunde können das nicht, denn sie tragen einen Maulkorb, aus Sicherheitsgründen. Zurzeit seien auch einige „Chaoten“ im Tierheim untergebracht, hatte Ellie erzählt. Ein klarer Euphemismus, denn mit diesem Begriff bedachte sie zum Beispiel Bronco, der Erwachsenen wohlgesonnen begegnet, doch sind Kinder in der Nähe wird er nervös und bissig. Und sie erzählte uns von Cesur, der einen kleinen Hund totgebissen hatte. Fakt ist: Die meisten Hunde im Mainzer Tierheim sind freundlich, sozial und pflegeleicht. Sie wedeln fröhlich, wenn sie aus dem Zwinger geführt werden, gehen brav an der Leine mit und nehmen dankbar Leckerlis entgegen. Sehr selten kann es aber eben auch extreme Verhaltensstörungen geben. Sie lassen erahnen, welches Schicksal manche Tierheimbewohner hinter sich haben. Statt sozialem Miteinander und konsequenter Erziehung haben sie wohl nur Einschüchterung, Gewalt und Isolation kennengelernt. Härtefälle „bekommt ein Anfänger natürlich nicht an die Hand“, hatte uns Ellie beruhigt. Schwierige Hunde seien eingestuft und könnten ohnehin nur nach Erfüllung strikter Auflagen durch den Ausführer Gassi geführt werden. Bei allen anderen schauten die Pfleger sehr genau hin und entschieden von Fall zu Fall über Ausführer und über die Ausführpraxis.

Wieder andere Hunde kennen das Konzept „Gassigehen“ als solches gar nicht. Busse, Autos, Baustellen oder Menschenmengen sind ihnen völlig fremd. Mit ihnen kann man als Ehrenamtlicher im Außengelände des Tierheims Zeit verbringen, zum Beispiel mit Ballspielen oder der Fellpflege. Manche sind auch zu alt für einen längeren Auslauf. Sie freuen sich über Gesellschaft und ein wenig Kraulen und Schmusen.

Mein Partner mit der kalten Schnauze und ich sind wieder auf dem Gelände angekommen. Der gemütliche Lightning hatte auf dem Rückweg einen ordentlichen Zahn zugelegt. Auch das sei ein rassetypischer Charakterzug, er wolle jetzt zurück zum Rudel, zu seiner Familie, so Steffi. Einer spontanen Idee folgend greife ich nach einer der Fellbürsten an einer Wandhalterung. Kaum, dass mich Lightning mit der Bürste in der Hand sieht, lässt er sich bereitwillig auf sein Hinterteil plumpsen und legt sich auf die Seite. Genießerisch blinzelt er mich an, während ich mit der Bürste sein struppiges Fell bürste. Als ich ihn wieder an seine Pflegerin überreiche, wird mir ein wenig schwer ums Herz. Bis bald, Lightning!

Wer Lust bekommen hat, auch einmal einen Hund auszuführen, der meldet sich im Tierheim unter der 06131-687066.