Direkt zum Inhalt wechseln
|

Unser 2×5 Interview mit Rechtsmedizinerin Prof. Dr. med. Tanja Germerott (36 Jahre)

Seit dem 1. Mai dieses Jahres sind Sie die neue Leiterin der Rechtsmedizin. Wird die Unimedizin weiblicher?

Generell gibt es in der Medizin derzeit viele weibliche Studierende. Das Geschlechterverhältnis hat sich gewandelt, sodass in Zukunft mehr Frauen in der Medizin tätig sein werden. Bei uns arbeiten derzeit drei weitere Ärztinnen sowie zwei Assistentinnen. Ich denke wir sind auf einem guten Weg.

Wie muss man sich ihre Arbeit vorstellen?

Wir haben knapp 30 Mitarbeiter und ein eigenes Gebäude, welches der Universitätsmedizin angehört. Ansonsten gibt es vier Arbeitsbereiche: die Forensische Medizin, die Molekulargenetik, die Toxikologie und der Bereich Blutalkohol. Wir haben einen Obduktionssaal, in dem Verstorbene untersucht werden, aber auch Untersuchungsräume für Lebende. Insgesamt kümmern wir uns um ungefähr 500 Obduktionen pro Jahr, denn wir sind das einzige universitäre Institut für Rechtsmedizin in ganz Rheinland-Pfalz. Es läuft so ab: Verstirbt jemand, stellt der Arzt den Tod fest. Handelt es sich um einen nicht natürlichen oder ungeklärten Tod, wird die Polizei gerufen. Die leitet den Fall an die Staatsanwaltschaft weiter, die uns dann beauftragt. In Deutschland werden nur zwei Prozent der Verstorbenen obduziert.

Womit sind Sie und ihre Mitarbeiter meistens konfrontiert?

Bei uns geht es vor allem um Lebenduntersuchungen, sprich Personen nach Gewalteinwirkungen, Schlägereien, Vergewaltigungen sowie Verdachtsfälle auf Kindesmissbrauch. Die klassische Akten- und Schreibtischtätigkeit zählt aber auch dazu. In der Toxikologie werden Blut- und Urinproben auf Medikamente und Betäubungsmittel untersucht. Die Proben schickt uns die Polizei. Die Untersuchungsstelle für Blutalkohol untersucht Blutproben entsprechend auf Alkoholbeeinflussung. In der DNA-Abteilung werden Spurenuntersuchungen und Vaterschaftsuntersuchungen durchgeführt.

Also ist es weniger so wie in Krimis, sondern der Schwerpunkt liegt auf den Lebenden?

Ja, diese Krimi-Klischees entsprechen nicht der Realität. Häusliche Gewalt ist zum Beispiel ein großer Bereich. Privatpersonen, die noch nicht zu einer Anzeige bereit sind, können nach erfahrener körperlicher oder sexualisierter Gewalt zu uns kommen. Wir sichern das Beweismaterial, für den Fall, dass die Person später doch noch Anzeige erstatten möchte. Die Untersuchung unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht.

Stumpft man da gegenüber den ganzen Schicksalen ab?

Nein, einige Fälle nehmen einen schon sehr mit. Außerdem gibt es auch erfreuliche Fälle, zum Beispiel wenn eine Gewalttat in einem Fall von Verdacht auf Kindesmisshandlung ausgeschlossen werden kann. Das ist dann ein schöner Moment.

Mensch

Sie kommen aus Hildesheim und Hannover. Wie gefällt Ihnen Mainz?

Ich habe noch nicht soviel sehen können. Der Hauptteil meines Lebens spielt sich im Institut ab. Mein Dienst beginnt um 8 Uhr mit der Frühbesprechung und dauert oftmals bis zu 12 Stunden. Wir haben ein wunderbares Team, das mich extrem gut aufgenommen hat, denn ein Leitungswechsel ist für alle Beteiligten eine besondere Situation. Von dem, was ich von Mainz bisher gesehen habe, gefällt mir die Stadt aber gut. Ich wohne in Mainz-Weisenau und kann eigentlich nur am Wochenende etwas unternehmen, joggen gehen, lesen oder auch meinen Freund im Saarland besuchen.

Sie lesen aber keine Krimis oder?

Doch, ich erfülle diesbezüglich ein wenig das Klischee. Aber ich mag auch Romane, historische Geschichten und Fachbücher. Momentan lese ich den vierten Band einer Reihe von Ethan Cross mit dem Titel „Ich bin der Zorn“. Das Buch hat mir eine Freundin empfohlen und die Bücher der Reihe haben mich auch optisch angesprochen.

Kommen Sie aus einer Medizinerfamilie?

Nein, ich habe keinen Verwandten der Arzt ist. Meine ist Mutter Bankkauffrau und mein Vater war erst im Metallbau tätig und betreibt nun einen Handel für Imkereibedarf. Ich habe dazu keinen besonderen Bezug, finde es aber sehr schön, dass er das macht. Ich hatte das Glück, dass meine Eltern mir stets das Gefühl gegeben haben, alles erreichen zu können, und mich auch bei der Berufswahl und im Studium sehr unterstützt haben.

Haben Sie für Ihr Leben dadurch feste Prinzipien entwickelt?

Ja, ich setze mir immer klare Ziele in Etappen, die auch realistisch erreichbar sind: zum Beispiel Ziele wie Abschluss des Studiums, Doktorarbeit und Facharztweiterbildung. Wesentlich ist, dass man an sich selber glaubt und wenn dann noch ein wenig Glück dabei ist, kann man sehr viel erreichen. Man darf sich nur nicht abhalten lassen, muss sich selbst definieren und es dann realisieren. Ich habe zum Beispiel gesagt, mit 35 möchte ich Oberärztin oder habilitiert sein. Und hatte dann das Glück, das beides geklappt hat. Klar, das Leben ist unvorhersehbar, aber man muss an etwas festhalten.

Wie passt es da zu Ihrer Lebensphilosophie, so oft mit unglücklichen Fällen und willkürlichen Einschnitten zu tun zu haben?

Das ist das Spannende am Leben, dass man nie genau weiß was passiert. An unserem Institut sehen wir ja vor allem die besonderen Fälle, also nur eine begrenzte und spezielle Auswahl. Darüber müssen wir uns bewusst sein. Das führt für mich daher nicht zu einer Einstellung, einfach in den Tag hineinzuleben, nur weil ich nicht weiß, was morgen passiert. Man sollte immer darauf hoffen, dass das Schicksal noch viele schöne Momente für einen vorgesehen hat.

Interview David Gutsche Foto Jana Kay