In Mainz hat sich eine kleine, feine Szene an Läden etabliert, in denen die Inhaber selbstgemachte Sachen verkaufen. Doch dann kam Corona und damit ein Einbruch der Einnahmen. Viele halten sich gerade so über Wasser – und passen ihr Sortiment an die Krise an.
Behelfsmasken statt Baby-Bodies
„Wir waren gerade langsam dabei zu wachsen“, erzählt Sónia da Costa, die seit drei Jahren den Stoffladen „Engelsliebe“ in der Mailandsgasse betreibt. Dort verkauft sie neben hochwertigen Stoffen alles, was Kinder brauchen: selbstgenähte Strampler, Hosen oder Stilltücher. „Es hat lange gedauert, bis die Leute mich kannten“, sagt die 43-Jährige. Mit ihrem eigenen Geschäft hat sie sich einen Traum verwirklicht, für den sie einen sicheren Job in der Wirtschaft aufgegeben hat. Das Nähhandwerk wurde ihr in die Wiege gelegt. Ihre Mutter und Großmutter sind Schneiderinnen – und stolz, dass Sónia den gleichen Weg eingeschlagen hat. Und dann das: Mitte März musste „Engelsliebe“ wegen Corona geschlossen werden. Die Umsatzeinbußen lagen bei 95 Prozent. Rund fünf Wochen war der Laden dicht und Sónias Existenz stand auf der Kippe. Doch statt sich entmutigen zu lassen, entschied sie sich, zu helfen und mit ihrer NähmaschineMundbedeckungen zu nähen, nächtelang, bis zur Erschöpfung. Für die Uniklinik, fürs DRK und für ein Altenheim in Portugal, ihre Heimat. Mehrere hundert Stück sind es geworden. Geld wollte Sónia dafür keins. „Das macht man einfach“, findet sie. Inzwischen hat „Engelsliebe“ wieder für einige Stunden am Tag offen, mit Hygienemaßnahmen, nur zwei Kunden im Laden, Hände desinfizieren, Abstand und Maskenpflicht. Zusätzlich gibt es einen Takeaway- Schalter, der gut angenommen werde.
Corona als Supergau
Auch Peter Feldmann hat sein Geschäft schnell an die Krise angepasst. Er ist Inhaber des Streetwear- Design-Labels „päfjes“ und verkauft fair gehandelte Shirts, Taschen oder Pullis, die er mit selbst designten Motiven bedruckt. „2020 lief schon schleppend an“, erzählt er, „Corona war dann der Supergau.“ Seit fünf Jahren hat Peter seinen charmanten Laden am Kaiser-Wilhelm- Ring. Dort bietet er neben Klamotten auch Postkarten, Tassen oder Kindersachen an, auf denen Björn Bär, Fido Fisch oder Ella Eichhorn abgebildet sind. Gleich zu Beginn der Krise hat Peter sein Geschäft ins Internet verlagert und verstärkt die sozialen Medien genutzt, um seine Produkte zu bewerben. „Das ist gut angelaufen“, sagt er. Da er zudem die Corona-Soforthilfe bekommen hat, ist der Laden zumindest vorübergehend gesichert. Ein „Puffer“ war für Peter die Internet-Plattform „mainz.help“. Hier können Mainzer lokalen Unternehmen helfen, indem sie Gutscheine kaufen, die sie nach der Krise einlösen. „Es ist schön zu sehen, wenn die Leute einen unterstützen“.
Große Solidarität
„mainz.help“ war die Idee von Pascal Ruecks. Er rief die Website ins Leben, als ein Freund seinenach kurzer Zeit hatten sich 150 lokale Betriebe angemeldet. Neben Bars, Cafés und Restaurants sind auch kleine inhabergeführte Läden wie Peters „päfjes“ dabei. „Es läuft unfassbar gut“, sagt Pascal, „damit habe ich nicht gerechnet.“ Das Feedback der Unternehmen, die auf der Website und dem dazugehörigen Instagram-Profil beworben werden, sei durchweg positiv. Pascal freut sich über die Solidarität in Mainz: „Alle versuchen zusammenzuhalten.“
Kaum Einnahmen
Auch Fenn Müller hat versucht, über „mainz. help“ ihre Umsatzeinbußen abzufedern. Vor fünf Jahren eröffnete sie „mit Herz und Liebe“ ihr Geschäft „fenns manufaktur“ in der Gaustraße. Dort verkauft die gelernte Krankenschwester Handgemachtes für Kinder und Erwachsene. Neben selbstgeschneiderten Kleidungsstücken hat sie Spieluhren oder Handy- sowie Laptoptaschen aus Filz im Sortiment. Besonders beliebt sind Strampler mit der Aufschrift „Meenzer Mädche“. Die Manufaktur ist ihr „Baby“ sagt Fenn, die selbst keine eigenen Kinder hat. Auch ihr „brennt es im Herzen“, dass sie nicht weiß, wie es weitergeht. Strom, Telefon, Versicherungen, das Kreditkartengerät – die Fixkosten wollen bezahlt werden. Aber wovon, wenn es nur wenig Einnahmen gibt? Immerhin: Mit ihrer Anstellung im Krankenhaus kann sie sich über Wasser halten. Aber zurück in einen Vollzeitjob in der Pflege will sie eigentlich nicht.
Lichtblick in schwieriger Zeit
Für Jana Mattes, Gründerin des Labels „JaMaTa“, ist es ebenfalls eine schwierige Zeit. Normalerweise verkauft sie im Laden ihrer Eltern in Mainz- Laubeheim, übers Internet und auf Märkten „nützliche und schöne Dinge aus Stoff, die helfen, den Alltag bunter zu machen“. Das sind etwa Accessoires, Taschen oder maßgeschneiderte Röcke. Doch mit der Corona-Krise hat sich die Nachfrage geändert. „Die einzigen Artikel, die gerade übers Internet gekauft werden, sind Behelfsmasken“, sagt Jana. Ähnlich wie Sónia da Costa hat sie ihr Angebot angepasst und näht nun Mundbedeckungen für Nachbarn, Supermarkt- Angestellte oder Ärzte. Rund 20 Stück schafft sie am Tag. Doch trotz der Herausforderungen kann Jana der Krise etwas abgewinnen. Sie hat den Eindruck, dass die Menschen in Mainz sich gegenseitig unterstützen. „Man möchte ja auch nach der Krise noch irgendwo einkaufen und will ausgehen und Kaffee trinken. Das ist eine schwierige Zeit für alle.“
Support your locals
Für die kleinen inhabergeführten (Do-it-yourself-) Läden in Mainz ist die Corona-Krise also mehr Bewährungsprobe als Chance. Ob sie es durch die schwierige Zeit schaffen, liegt letztlich an den Kunden. Sie entscheiden, ob Solidarität im Lokalen gelebt – oder weiter über Amazon bestellt wird.
Hannah Weiner
Fotos: Stephanie Kasper, Anna Thut & Oliver Rüther.