Wenn die Designerin Carolin Asmussen durch ihre neue Wahlheimat spaziert – den alten Kern von Mainz-Mombach –, dann wundert sie sich über neue Fensterrahmen aus Kunststoff und über das Verschwinden von Backsteinfassaden hinter glattem Putz. Wie man Praktikabilität vorziehen kann, vor Schönheit oder historischer Relevanz, kann sie nicht verstehen: „Mombach hat so viel Potenzial!“, sagt sie und wünscht sich, der Stadtteil würde seine Geschichte als Industrie- Standort mehr hervorkehren.
Aufwändige Sanierung
Vor zwei Jahren haben die Asmussens hier ein denkmalgeschütztes Haus gekauft – mit einer Backsteinfassade, die sie erhalten wollen. Carolins Mann Björn ist Architekt und die Entrümpelung und Renovierung des Hauses nahmen die beiden selbst in die Hand, wobei Freunde und Familie auch mit anpackten. „Wir haben Decken verspachtelt, Dielen geschliffen, gelaugt, geölt, gemalert…“ – die Liste hört kaum auf. Und trotzdem blieb am Ende genug übrig, um noch ein Bauunternehmen zu engagieren. Dabei war den Asmussens von Anfang an klar, dass sie keine Luxussanierung anstreben würden. „Ziel war es, dass wir es hier am Ende so gut haben, wie in unserer vorherigen Wohnung in der Neustadt“, erklärt Björn. Mit dem Grundstück in der Maletenstraße haben sie genau das gefunden, was sie gesucht haben: Einen Ort mit Geschichte und Charakter. Viele alteingesessene Mombacher werden sich erinnern: Früher war hier, direkt an der Straße, ein Kiosk. Und dahinter, in dem jetzigen Innenhof, eine Eisdiele. Beides war allerdings schon baufällig, als die Asmussens kamen.
Kultur-Kiosk?
Für die Geschichte des Grundstückes haben Carolin und Björn viel Respekt und über den Vorbesitzer, der sein ganzes Leben hier verbracht hat, sprechen sie mit Feingefühl. Da sie das Haus mit allem Drum und Dran gekauft haben, fühlt es sich für sie an, als hätten sie den Mann
persönlich kennengelernt. „Wir haben sogar noch Milchpulver aus seiner Kindheit gefunden“, erinnern sie sich. Den Kiosk wollen sie auch auf jeden Fall erhalten und Carolin schmiedet schon Pläne, darin einen Kinder-Kultur-Kiosk zu eröffnen. Wenn man jetzt in dem lichtdurchfluteten Wohnzimmer steht, kann man kaum glauben, wie es vor der Renovierung aussah. Carolin und Björn haben Wände rausgenommen und den Original- Holzboden freigelegt. Aus der Küche kann man durch eine neue Glastür in den Hof sehen – auf die Kaninchen der Familie, die übers Pflaster hoppeln.
Offene Kleinigkeiten
Im Haus findet man immer noch Glühbirnen, die ohne Lampenschirm von der Decke hängen und die alte Holztreppe, die ins erste Stockwerk führt, ist noch nicht fertig bearbeitet. „Es gibt immer etwas zu tun“, meint Carolin. In den Augen der Asmussens sind das alles aber nur noch Kleinigkeiten. Als sie im Juni 2020 einzogen, hatten sie kein Waschbecken, keine Dusche, keine Badewanne und nur eine einzige Steckdose im Keller. Dann wurden auch noch falsche Fenster geliefert! Beim ehemaligen Harlequin-Fußboden im Erdgeschoss, dessen Fliesen neu verlegt sind, waren beim ersten Versuch die breiten Fugen zu schnell getrocknet und mussten komplett wieder herausgearbeitet werden. Carolin will sich aber nicht beschweren – im Gegenteil. Sie würde anderen Menschen gerne Mut machen. Leidenschaftlich spricht sie darüber, welche Alternativen es zur Außendämmung gibt und wie man historische Gebäude erhalten kann, ohne ihnen das Aussehen eines Neubaus zu geben.
Corona-Blase
Im Schlafzimmer, in der ersten Etage des Hauses, haben Björn und Carolin einfach die Möbel vom Vorbesitzer stehen gelassen. Prompt ist die Atmosphäre auch anders als im Erdgeschoss. Doch auch hier ist es hell: Trotz der engen Bebauung geht der Blick aus beiden Schlafzimmerfenstern nicht direkt auf Häuserfronten, sondern in den Himmel und den Garten. Eine steile Treppe weiter hoch kann man den ausgebauten Dachboden bestaunen, eine frei bespielbare Fläche, wo die Kinder Höhlen bauen oder Spielzeug ausbreiten können. Über eine selbst gebaute Hochebene ist ein Kinderzimmer mit dieser Fläche verbunden. Dabei galten die Bedenken beim Umzug vor allem den Kids: „Man zieht sie ja aus ihrem Lebensmittelpunkt“, sagt Carolin. Dass genau zu ihrem Umzug die Corona-Zeit begann, hat diesen Nachteil allerdings hinfällig gemacht, findet Björn. „Ob man sich jetzt in der Neustadt nur noch in einer Corona-
Blase bewegt oder hier, ist dann auch egal.“ Außerdem sind sie eigentlich nicht weit weg, findet Carolin. Die Kinder gehen auf die bisherige Schule und in die alte Kita – und sie selbst baut gerade ein Atelier mit Ladenfläche in der Moselstraße nahe dem Zollhafen auf, tief in der Neustadt. Auch wenn dort noch nicht alles fertig ist, kann man sie jetzt schon dort antreffen, mit ihrer eigenen Mode – aus Bettwäsche mit mutigen Mustern – und Accessoires aus alten und neuen Materialien. Auch ein paar ausgefallene Secondhand- Stücke sind dabei. Und wenn Corona es zulässt, wird man Carolin in Zukunft auch öfter in Mombach sehen. Sie bedauert jetzt schon, dass in den letzten Jahren so Vieles ausgefallen ist, worüber die Familie besser Anschluss gefunden hätte. An Zuwendung und Engagement seitens der Asmussens mangelt es jedenfalls nicht.
Text Felicitas Pommerening
Fotos Jana Kay