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So wohnt Mainz: Ein-Raum (Wohnen) in der Zanggasse


von Monica Bege, Fotos: Frauke Bönsch

Eine Wohnung mit nur einem Raum, einem Fenster, einer Tür und das Ganze auf 70 Quadratmetern – wer baut denn so was?!? Immerhin gäbe es noch ein großes Oberlicht, so unsere Information. Das müssen wir uns anschauen.
Kurz darauf stehen wir in einem Hinterhof in der Zanggasse, linkerhand Geschichte zum Anfassen: die historische Stadtmauer mit aufsitzendem Wehrgang. Unsere Augen gleiten weiter über ein üppiges, den Frühling sehnlich erwartendes Blumentopfsortiment und bleiben an einem Garagentor im Hinterhaus hängen: Da hat doch tatsächlich jemand ein Fenster eingebaut! Es als groß zu bezeichnen wäre übertrieben. „Von innen sieht man nichts mehr vom Tor“, begrüßt uns fröhlich eine zierliche Frau mit rheinhessischem Dialekt. Es ist Anne Kirsch.

Wo dereinst das Brot buk …
Vor zwanzig Jahren suchte Anne zusammen mit ihrem Mann eine neue Bleibe. Sie kamen, sahen und verliebten sich sofort in den unkonventionellen Wohnungszuschnitt. „Das war früher mal eine Backstube“, erklärt die gebürtige Bad Kreuznacherin. Einer der Vormieter hat die Wände mit schwarzer Folie verkleidet und Holzlatten darüber genagelt. Es sah gut aus und sie beließen es dabei. Die unorthodoxe Kombination unterschiedlicher Raumhöhen und das kurz aus der Decke ragende ringförmige Überbleibsel eines Abluftrohres entspringen Zeiten, als hier noch Mehlstaub und Gebäckduft umherschwurbelten. Der nachträgliche Heizungseinbau brachte das Stilelement sichtbar verlaufender Kupferrohre hervor. Unruhig im Gesamteindruck wirkt es aber nicht. Der Wohnbereich hinter dem Garagentorfenster beherbergt neben knautschigem Ledersofa und hohem Bücherregal auch in purer Verschwendung natürlicher Lichtquellen das große Oberlicht. Perfekt für die Zimmerpflanzen. Weiter hinten im Raum stehen Bett und Kleiderschrank – letzerer als optische Abtrennung zum Küchen-, Ess- und Arbeitsbereich. Dort braucht es schon Licht aus der Dose und das wird mit einer Kombination aus Energiesparbirnen und Bewegungsmeldern geregelt. „Wann immer es warm ist, steht die Wohnungstür meist offen“, sagt Anne, dann würde der Eingangsbereich auch heller. So sei beim Kochen auch immer ein kleiner Schwatz mit den vorbeigehenden Nachbarn möglich.

Stilles Örtchen im urbanen Szeneviertel
„Früher hatte ich einen guten Dosenöffner“, gesteht Anne lachend ihre einst zweckorientierte Einstellung zur Nahrungszubereitung. Mit einem gebürtigen Pfälzer an der Seite kommt man um traditionelle Kartoffeln-Fleisch-Soße-Gerichte nicht herum und längst köcheln in ihren Töpfen frisch zubereitete Gerichte aus aller Herren Länder. Multikulti ist ihr Ding. In der Zanggasse ist sie damit genau richtig. Der Mix aus Internationalem und Alteingesessenem schaffe eine besondere und trotz aller Unterschiede harmonische Atmosphäre. „Mich bringen hier keine zehn Pferde weg“, sagt Anne. Ausländische Lebensmittelmärkte mit guter Qualität, die Lieblingskneipe „Zeitungsente“ und alles Übrige sind direkt um die Ecke. Dass vor dem Hoftor der Puls des urbanen Leben von früh bis spät schlägt, davon ist im Hinterhof absolut nichts zu hören. Lebenselixier Musik – ohne geht’s nicht. Sobald Anne morgens ihre Füße über die Bettkante schwingt, läuft das Radio. Gegessen wird an dem kleinen runden Tisch und wenn Besuch kommt, dann wird halt mal improvisiert. Es gibt auch keinen die Wohnlandschaft dominierenden Fernseher. Die Tagesnews erreichen sie über das Radio oder Internet und „Filme schauen wir uns gezielt auf DVD am Computerbildschirm an“, sagt Anne. Dann rücken sie die Stühle vom Esstisch vor den Schreibtisch. „Auf dem Sofa schlafe ich sonst immer ein“, lacht sie. Auch nach vielen gemeinsamen Jahren sprudelt der Quell gemeinsamen Gesprächsstoffes noch immer munter. „Wer durch Programme zappt, hat keine Zeit zum Reden“, so Anne. „Natürlich muss man es auch wollen.“ Sie grinst. Wenige Schränke und eine kleine Küche werfen die generelle Frage nach Stauraum auf. „Wir haben das, was wir auch wirklich nutzen“, sagt die quirlige 58-Jährige. Das Geschirr ist vierfach vorhanden und die Symbiose unnötigen Krimskrams mit freien Ablageflächen hat bei ihr keine Überlebenschance. Ordnung muss sein, bei einem Raum kann man nicht einfach die Tür zumachen. Ach, und die eine Tür, die gehört natürlich zum WC. Der übrige Sanitärbereich ist ein schmaler Schlauch, der auf halber Strecke und nach drei Stufen mit einem Waschbecken aufwartet und dann rechts abknickend in der Dusche endet. Freunde und Bekannte haben sich längst an ihre Ein-Raum-Wohnung gewöhnt, und wenn der Sohnemann mal mit seinen Kumpels auftaucht, dann finden die es hier schon ziemlich cool.

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