von Anna Sacco Fotos: Frauke Bönsch
„Auswandern war mein Plan seit dem ersten Tag“, erzählt Eymard Toledo mit einem Lächeln auf den Lippen. Ganz im Gegensatz zum charakteristisch brasilianischen Sing-Sang ihrer Stimme steht die typisch deutsche Einrichtung ihres Reihenhauses in Bretzenheim, stadtnah und im Grünen:
sonniger Wohnbereich, Einbauküche, Gäste-WC mit Dusche. Im Obergeschoss großzügige, helle Schlafzimmer und ein ausgebautes Dachgeschoss. Kurz nach dem Mauerfall kam die 52-jährige Autorin und Illustratorin für ein Aufbaustudium von Brasilien nach Deutschland – und blieb. Die absolvierte Kunststudentin war fasziniert von der Berliner Aufbruchsstimmung der 90er Jahre und wurde dort – wie viele andere ausländische Studenten – mit offenen Armen empfangen: „Als ich nach Deutschland gekommen bin, habe ich gedacht: das hier ist alles so einfach. Ich kam durch die Aufnahmeprüfung, obwohl ich kaum deutsch spreche!“
Berlin – Mainz
Eymards Reich im Haus ist das Dachgeschoss: Hier oben kann sie ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Der Schreibtisch ist mit Skizzen, Notizen und Pinseln überfüllt, die Bücherwand quillt beinahe über. Verteilt im Raum hängen oder stehen ihre Malereien. Am liebsten liest Eymard in ihrer Hängematte, die sie aus Brasilien mitgebracht hat oder kümmert sich um ihre Pflanzen auf dem kleinen Balkon: „Unsere erste Wohnung als Studenten, da hatten wir noch einen Kachelofen. Und die Duschen und Toiletten waren im Treppenhaus. Die Leute in Brasilien konnten das kaum glauben von Berlin!“ Während dem Studium in Berlin hat Eymard ihren Mann Clemens (44) kennen gelernt.
Ein typisch deutscher Jurist, der aber auch einmal über den Tellerrand schauen kann. Zusammen träumten sie von einem eigenen Haus für die Familie und als die beiden Söhne zur Welt kamen, fassten sie die Entscheidung, aus Berlin wegzugehen. Vor acht Jahren zogen sie nach Mainz-Bretzenheim: viel Natur, wenig Straßen und junge Familien, mit denen man sich anfreunden könnte, was jedoch manchmal nicht so einfach ist: „Die Kinder hier sind immer so beschäftigt; Tennis, Fußball, Geigen- oder Klavierunterricht – die sind nie da und meine Jungs waren immer alleine auf dem Spielplatz.“ Derartige Erfahrungen stehen im starken Kontrast zu einem Leben in Brasilien, wo man nie alleine ist. Wo sich Leute treffen, um zu feiern und die Kinder auch mal richtig herumalbern können.
Verschiedene Leben
Schwieriger als die deutsche Sprache zu meistern, ist die deutsche Lebensart. Der verbissene Ehrgeiz der deutschen Studenten war Eymard fremd. „Ich dachte: ich komme gar nicht so gut an, weil ich zu viel lache.“ Die Gelassenheit und Fröhlichkeit der Brasilianer ist etwas, das sie bis heute vermisst. „Viele Erwachsene in Deutschland denken, dass sie nicht laut lachen dürfen und mit der Zeit verlernen sie es richtig zu lachen. Das finde ich sehr schade.“
Gedankenverloren schaukelt sie auf ihrer Hängematte und erzählt, wie sie als jüngste Tochter einer siebenköpfigen Familie der Arbeitslosigkeit in Brasilien entfloh. Wie die konservative Macho- Gesellschaft ihrer Generation wenig Perspektive und wenig Freiheit bot. Wie gefährlich es in einer Vier-Millionen-Stadt wie Belo Horizonte ist und wie entspannt es dagegen in Deutschland zugeht: „Hier muss man sich keine Gedanken machen, wenn man abends auf der Straße läuft, gerade wenn man Kinder hat.“ In Ubá, der Heimat ihrer Oma, sieht Eymard die Wurzeln ihrer Familie. Sie versucht jedes Jahr dorthin zu gehen, auch wenn Ferien in Brasilien weniger erholsam sind als Ferien in der Provence. Der Kontakt mit den Verwandten ist ihr wichtig. Auch für ihre Kinder wünscht sie sich eine feste Bindung an Brasilien.
Heimat in zwei Ländern
Um die Erinnerung an ihre Heimat festzuhalten, malt und illustriert Eymard Ausschnitte aus ihrem alten Haus. In einem Bild hat sie ein Foto von ihrem Vater und sich gemalt. Er hatte sie damals bei ihrer Entscheidung zu gehen sehr unterstützt. Ihre Kinder sollen eine Erinnerung aufbauen von einem Großvater, der vor ihrer Geburt verstarb. Ihr ist es aber auch wichtig zu vermitteln, wie die Kinder in Brasilien leben und dass es ein Glück ist, in Europa geboren zu werden. Und dass andere Leute es sehr schwer haben, so wie der kleine Bené aus ihrem kürzlich veröffentlichten Kinderbuch, der Fußball liebt und vom Verkauf von Lederbällen lebt.
Zurückkehren ist trotzdem keine Option: „Man verändert sich hier sehr und es ist schwierig danach, sich wieder anzupassen.“ Ihre deutschen Freunde glauben mittlerweile, sie sei mehr deutsch als brasilianisch, aber Eymard stellt klar, dass nicht alle Brasilianer Samba-tanzende Partymaschinen sind: „Im Gegenteil, in meiner Gegend sind die Menschen eher etwas melancholisch.“ Eymard möchte in Zukunft noch mehr Geschichten aus ihrer Heimat schreiben; hier fühlt sie sich beruflich „angekommen“ – und geographisch? „Ich hätte noch Lust auf woanders … und auch mein Mann würde total gerne mit mir auswandern.“