Als ich mir neulich im Internet ein Gemälde des von mir hoch geschätzten Malers Christian Felder anschauen wollte, fragte mich Facebook nach den Namen der auf dem Bild dargestellten Personen. Das eine Gesicht war ein verzerrter Totenkopf, und das andere Gesicht sah auch nicht viel gesünder aus. Sonderbar, dachte ich bei mir, dass Facebook bei diesen gemalten und zum Glück unlebendigen Horrorgestalten biometrische Profile abfragt.
Wenn man möchte, dann kann man alle Überwachungskameras damit beauftragen, die Träger dieser abartigen Gesichter zu suchen, die doch nur die Ausgeburt furchtbarer Albträume eines Malers sind.
Es ist schon weit gekommen, was die Möglichkeiten der Überwachung angeht. Man kann nicht nur gemalte Horrorfiguren auf Bahnhöfen suchen lassen, sondern auch aus allen Telefonaten oder Internet-Botschaften verdächtige Begriffe herausfiltern. Und dabei ist vieles verdächtig, wenn nicht sogar alles. Schließlich gibt es in der internationalen Politik so viele unbekannte, weil unveröffentlichte oder widersprüchliche, Faktoren.
Die Rätselhaftigkeit der so genannten Bilderberg-Treffen lässt jeden G8-Gipfel als höchst demokratische Veranstaltung erscheinen. Da ist es kein Wunder, wenn die Menschen anfangen, Fragen zu stellen und durchgeknallte Verschwörungstheoretiker gelegentlich mal ins Schwarze treffen. Überraschend ist eigentlich nicht das Ausmaß an Überwachung, sondern das Erstaunen darüber, wenn ein Herr Snowden bekannt gibt, dass unser komplettes Internet von den USGeheimdiensten kontrolliert wird.
Zur Erinnerung: Das Internet ist das Ergebnis von Forschungen, die vom US-Militär und den dazugehörigen Geheimdiensten ausgingen, um Informationen digitalisieren, filtern, bündeln und sichern zu können. Nun wundert man sich, dass die Erfinder des Internet das Internet für genau das verwenden, wofür sie es erfunden haben. Auch unser neuer Personalausweis verlangt ja nicht ohne Grund ein biometrisches Passfoto. Schnell sind alle Kameras weltweit mit dem biometrischen Profil gefüttert, und wenn man nicht rasch eine chirurgische Operation durchführt oder raffinierte Schminktricks anwendet, dann wird irgendeine Überwachungskamera einen schon finden, selbst wenn man ein Gesicht hat, das wie ein verzerrter Totenschädel aussieht. Wer dann ein Gemälde von Christian Felder durch den Mainzer Hauptbahnhof trägt, muss damit rechnen, dass das Gemälde erschossen wird.
Vielleicht ist die Überwachung ja auch positiv, weil sie ein Ersatz für die vielerorts verloren gegangene soziale Kontrolle darstellt. Dass ich an der Fleischtheke im Supermarkt immer gefragt werde: „Eine ungarische Salami?“, ist ja auch eine Form von Überwachung. Die Verkäuferin hat tief in sich abgespeichert, dass ich oft eine ungarische Salami kaufe. Wenn ich entgegen ihren Erwartungen sage „Heute möchte ich ein Stück Blutwurst“, dann ist sie erstaunt, weil ich ihre Überwachungsergebnisse nicht bestätige.
Immerhin ist es ein gutes Gefühl, überhaupt wahrgenommen zu werden. Schließlich häufen sich die Fälle, in denen alte Menschen monatelang tot in ihren Wohnungen liegen, ohne vermisst zu werden. Sollte ich eines Tages tot in meiner Wohnung liegen, wird sich zumindest die Verkäuferin im Wurstfachgeschäft bald fragen, warum ich nicht mehr erscheine und ungarische Salami kaufe. Auch die sensor-Leser werden mein Ableben wahrscheinlich schnell bemerken, entweder weil sie meine Kolumnen vermissen, oder weil sie schon lange auf einen neuen Kolumnisten hoffen und mich zum Teufel wünschen.
Wobei ich mich wundere, dass meine Kolumnen noch nicht von den Geheimdiensten zensiert wurden. Immerhin habe ich in den vergangenen Jahren Peter Singer und Norbert Hoerster als Faschisten geoutet, Heinrich Himmler als Begründer der Vegan- Bewegung in Deutschland öffentlich gemacht und mich selbst zum Anarcho- Syndikalismus bekannt, was eigentlich den Verfassungsschutz interessieren müsste. Vielleicht werde ich ja auch schon längst dauer-überwacht. Ich habe trotzdem nicht vor, mein biometrisches Profil zu verändern. Irgendwie habe ich mich im Laufe der Zeit ja doch an mich gewöhnt, und das kann ich von den Geheimdiensten schließlich auch erwarten.
Sehr geehrter Herr Treznok,
ich kann ja durchaus verstehen, dass Menschen Probleme mit den bioethischen Thesen Peter Singers haben. Das geht mir nämlich genauso.
Dass Sie hier aber wiederholt Singer als „Faschisten“ bezeichnen, geht gerade mal gar nicht. Abgesehen davon, dass Singer Professor an zahlreichen bekannten Universitäten ist/war, er bei renommierten Verlagen publiziert, seine Bücher weltweit an Universitäten studiert werden, ist Singer jüdischer Abstammung. Seine Eltern mussten vor den einrückenden Nazis aus Wien nach Australien fliehen, einige seiner Verwandten, u.a. sein Großvater, wurden im Zuge der „Endlösung“ von den deutschen Faschisten ermordet. Und da kommen Sie als Deutscher daher und haben die Frechheit diesen Menschen leichtfertig als Faschisten zu beschimpfen.
Singer, ein „Faschist“! Wie gut, dass Sie das herausgefunden haben! Die ganzen Universitätsrektoren, Buchlektoren und akademischen Kollegen haben davon offensichtlich nicht bemerkt, dazu brauchte es wohl des scharfen Verstandes von Herrn Treznok!
Mit Verlaub, diese Ihre Behauptung ist eine krude Mischung aus ideologischem Tiefflug und einfach nur gequirlter Scheiße! Gleiches gilt übrigens auch für Ihre Behauptung Heinrich Himmler sei der Begründer der Vegan-Bewegung. Das ist offensichtlicher Blödsinn. Und vor allem: Das ist alles überhaupt nicht lustig.
Sehr wohl geht das. Innerhalb der Antifa wurde das auch bis vor etwa 15 Jahren noch so diskutiert.
Was überhaupt nicht geht ist die Argumentation, dass jemand etwas nicht sein kann, weil seine Großeltern etwas anderes waren. Jemand, dessen Großeltern bestohlen wurden, kann sehr wohl selber ein Dieb werden.
„Daß sich die Katastrophe ausgerechnet in Holland, also in einem Land ereignet, das dem Nationalsozialismus so eindrucksvoll Widerstand geleistet hat, und daß Peter Singer ein Nachfahre von Opfern des Mordes ist, dessen Methode an Debilen zuerst erprobt wurde, ist tragisch, kommt aber nicht von ungefähr. Die Gewißheit, ohnehin auf der guten Seite zu stehen, kann leicht blind machen für die eigene Versuchbarkeit.“ (Robert Spaemann, „Entweder sind Menschen immer Personen, oder sie werden es nie“)
Aha, die Antifa ist also der Referenzpunkt, wenn es um die Bewertung der philosophischen Lehren von Peter Singer geht?! Hier gilt wohl: „Two wrongs don’t make a right“, wie es so schön heißt.
Und natürlich kann jemand etwas ganz anderes sein, als seine Großeltern. Das steht doch völlig außer Frage. Ich wollte nur verdeutlichen, dass ein etwas sensiblerer Sprachgebrauch an manchen Stellen hilfreich sein kann. Holzhammer-Vokabeln wie „Faschist“ führen leider gerne in die Irre.
Ich denke, es macht Sinn sich drauf zu einigen, dass wir uns nicht werden einigen können.
Lesen Sie ruhig weiterhin den Aristoteliker Spaemann, ich halte mich lieber an Foucault, Habermas oder Rorty.
Schönen Tag noch! (<– Ist ernst gemeint!)