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Rollwiderstand: Die Mainzer Radverkehrspolitik nimmt Fahrt auf

Ein PKW parkt auf dem Radweg –
Kein seltenes Bild in Mainz

Aller Unkenrufe zum Trotz: Die Zahl der Radfahrer in Mainz hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. „Wir erleben gerade eine Explosion des Radverkehrs“, sagt Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne). Machte der Anteil der Radler vor drei Jahren noch 17 Prozent am Gesamtverkehr aus, so seien es heute 21 Prozent. Aber: Unser Radverkehr wird laut Mobilitätsbefragung im Schnitt bestenfalls als ‚befriedigend‘ bewertet. Im Rad-Klima-Test des ADFCs erhält Mainz die Note 4,2. Grund sind vor allem schlechte oder schlichtweg fehlende Radwege.

Michael Bergmann radelt
täglich – und setzt sich für
bessere Bedingungen ein

Wo das Rad ins Stocken kommt
Unser Test- und Vielfahrer Michael Bergmann legt die meisten Strecken in der Stadt mit dem Rad zurück. Sei es von seiner Wohnung im Hartenberg oder zu seiner Arbeitsstelle nach Ingelheim: „Ich bin vor 20 Jahren aus Bonn nach Mainz gezogen. Dort waren die Radwege damals schon besser, als sie es heute hier sind“. Entlang von großen Straßen zwischen Stadtteilen fehlten Radwege oft oder seien zu unsicher. Beispiel Saarstraße: Zwar hat sie beiderseits Radwege, die aber schmal und holprig sind und teilweise durch die Masten der Straßenbahn verengt werden. „Für einen zunehmenden Radverkehr müsste man sie verbreitern“, meint Bergmann. Doch dafür fehlt in Mainz oft einfach der Platz. Der Sprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs (ADFC) Wolfgang Stallmann und seine Stellvertreterin Amelie Döres stimmen zu: Gerade nach Ende von Vorlesungen käme es an der Saarstraße zu gefährlichen Situationen. Aber auch im Stadtzentrum – zwischen Neustadt, Alt-stadt und Rhein – sei es schwierig, zügig mit dem Rad durchzukommen. Stallmann fordert eine der drei Spuren der Kaiserstraße für Räder. Auch eine der Bleichen könnte man dem Radverkehr widmen. Bergmann wünscht sich zudem regelmäßigere Kontrollen und Strafen für parkende Autos, die immer wieder Schutz- und Radfahrstreifen versperren: „Ich stelle mein Fahrrad ja auch nicht auf der Straße ab.“ Die Stadtratsfraktion von Piraten und VOLT geht noch weiter: Sie wollen, dass noch mehr Bereiche der Innenstadt (testweise) autofrei gestaltet werden. Ohne eine autofreie Innenstadt sei das Ziel bis 2035 klimaneutral zu werden unerreichbar.

Radfahrbeauftragte Franziska Voigt
bekommt in Zukunft einige Verstärkung

Sicherheit durch Wissen?
Die Mainzer Radfahrbeauftragte Franziska Voigt sieht neben den Radrouten und Abstellplätzen die Aufklärung als Herausforderung: „Wenn Wissenslücken geschlossen werden, können auch Konflikte im Straßenverkehr behoben werden.“ Während zum Beispiel Autofahrern klar sein müsse, dass sie nicht auf Radwegen parken oder auf Radaufstellflächen an den Kreuzungen fahren dürfen, müssten Radfahrer mehr an ihre Sichtbarkeit denken und vor allem im Winter auf Beleuchtung und Reflektoren achten. Nur so könne ein „rücksichtsvolles Miteinander“ gelingen. Die Hauptunfallursache für Radfahrer sei nach wie vor, dass rechtsabbiegende Autofahrer sie auf dem Radweg übersehen. Deswegen sollten Räder und Autos vermehrt auf der Fahrbahn fahren, damit die Blickbeziehungen stimmig sind. Nicht mehr „der enge Radweg auf dem Gehweg ist die Lösung, sondern der Mischverkehr auf der Straße“, stimmt auch Dezernentin Katrin Eder zu. Doch die Meinungen dazu gehen noch stark auseinander. Dem ADFC wären zwei Meter breite, geschützte Radstreifen lieber.

Parken und neue Routen
Und die Stadt plant weiter: „Wir wollen aus jedem Stadtteil eine Fahrradroute haben“, sagt Katrin Eder. Entlang von Strecken mit reduzierter Geschwindigkeit und geringer Auto-Belastung könne man schnell und komfortabel in die Innenstadt kommen. Beschilderungen und Markierungen sollen die Orientierung verbessern; Radtaster an Kreuzungen für zügiges queren sorgen. Während es aus Hechtsheim schon eine solche Route gibt, befinden sich Routen aus Finthen oder Weisenau in der Planung. Seit Jahren im Gespräch ist auch ein Radweg von Klein-Winternheim nach Mainz-Marienborn. Doch während vieles gewünscht wird, scheitert nicht weniges am schmalen Budget der Stadt oder anderen Prioritäten. „Eine große Errungenschaft ist das geplante Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof“, freut sich immerhin Wolfgang Stallmann vom ADFC. Im Sommer soll es in Betrieb gehen. Unter der Hochbrücke zwischen Bahnhof und Conrad entstehen 1.000 sichere Stellplätze, etwa 300 davon kostenpflichtig. Zusätzlich werden in derStadt 500 neue Fahrradbügel installiert. Und: Ein einfacheres Abstellen von Rädern auf Flächen der Bahn in den Bahnhöfen Laubenheim, Römisches Theater und am Hauptbahnhof soll „Bike & Ride“ fördern. Allein das Fahrradparkhaus kostet die Stadt 2,1 Mio. Euro. Zu Beginn ihrer Amtszeit lag das Rad-Budget noch bei jährlich etwa 50.000 Euro, so Katrin Eder. Aktuell beträgt es etwa 300.000 Euro neben solchen Investitionsgroßprojekten. Das Geld sei aber nicht das einzige Problem, so Eder, sondern der Personalmangel. Aufgrund des steigenden Radanteils wird sich das ab jetzt ändern: „Wir richten aktuell ein Radverkehrsbüro mit fünf Personalstellen ein“, so Eder.

Das Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof
West soll noch dieses Jahr in Betrieb gehen

Leihrad oder Scooter?
Natürlich spielt auch das Mietrad mit in den Trend: Seit 2012 hat die Mainzer Mobilität 30.000 Kundenkarten für das meinRad-System ausgegeben. Mehr als 800 gelbe Räder werden seitdem an 120 Verleihstationen in der Stadt verteilt. Inzwischen kann man sich die Räder über App ziehen und sogar in Wiesbaden abstellen. Ein Lastwagen sammelt sie wieder ein und fährt sie in die „richtige“ Stadt. Dennoch ist die Zahl der Buchungen rückläufig. Gab es 2016 noch 459.000 Fahrten, waren es 2019 nur noch 300.000. Sind die E-Scooter daran schuld? Ein Effekt der neuen Konkurrenz sei spürbar, sagt die Mainzer Mobilität, die bisher selbst noch nicht in dieses Geschäft eingestiegen ist. Andere Städte haben Rechnungen aufgestellt, wonach die Fahrten bei ihren Radsystemen nach der Einführung der E-Scooter um 15 Prozent zurückgegangen seien, erklärt MM-Geschäftsführer Jochen Erlhof. Ob und zu welchem Anteil der Rückgang der Zahlen in Mainz durch die E-Scooter verursacht wird, lasse sich jedoch nicht einfach bewerten, so Erlhof weiter. So habe das Rad-Mietsystem in den letzten eineinhalb Jahren nicht einwandfrei funktioniert. Zudem hat die Integration von Wiesbaden länger gedauert als gedacht. „Mittlerweile haben wir aber die Ursachen behoben“, so Erlhof. Spätestens zum Start der Saison im Frühling solle alles wieder zuverlässig funktionieren. Das Fahrrad ist und bleibt ein wichtiger Baustein für weniger Lärm, bessere Luft und mehr Platz in Städten. „In meinen Augen ist das Rad die genialste Fortbewegungsmöglichkeit“, schwärmt Wolfgang Stallmann vom ADFC. „Man ist in Städten schneller als mit dem Auto, findet leichter einen Parkplatz, ist umweltfreundlich und tut etwas für die Fitness.“ Veranstaltungen wie der Radkonsens Mainz oder die Protestform ‚Critical Mass‘ zeigen zudem ein großes Bedürfnis nach Mitsprache, Transparenz und Verbesserung. „Wir radeln definitiv in die richtige Richtung, sind aber im Vergleich zu anderen Städten bisher abgehängt“, bringt es Bergmann schlussendlich auf den Punkt.

Nora Cremille
Fotos: Stephan Dinges

1 response to “Rollwiderstand: Die Mainzer Radverkehrspolitik nimmt Fahrt auf

  1. Dazu sollte man aber auch sehen, dass das viel gefeierte Parkhaus am Bahnhof gleichzeitig eine massive Verschlechterung für den Rad- und Fußgängerverkehr Richtung Mombacher Strasse ist. Dort wird das Nadelöhr durch die Brücke und der Mauer der ehemaligen Post noch länger und durch Benutzer des Parkhaus vermutlich auch noch zusätzlich behindert.

    Das ganze reiht sich ein in fast alle Baumassnahmen in der Innenstadt, die fast immer zu strukturellen Verschlechterungen für Radfahrer geführt haben. Zusätzlicher Platz für Radfahrer wurde keiner geschaffen. Da hat meiner Meinung die grüne Verkehrsdezerntin versagt.

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