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Platz-Probleme? – Die ambitionierten Ziele der Mainzer Wohnungspolitik

Foto: Stephan Dinges

Immer teurere Mieten sorgen bei vielen Mainzern für Verzweiflung. So bietet ein Vermieter ein Dachgeschoss-Apartment in der Neutorstraße mit 30 qm Wohnfläche für eine Kaltmiete von 590 Euro im Monat an.
Das entspricht einem Quadratmeter- Preis von 19,60 Euro. Laut aktuellem Mietspiegel der Stadt liegt der Quadratmeter-Preis für eine Apartment-Wohnung in dieser Lage im Mittel bei 12,31 Euro. Noch mehr kostet der Quadratmeter in einem Dachgeschoss- Apartment in der Kurfürstenstraße in der Neustadt: Für 20qm verlangt der Vermieter 400 Euro – also 20 Euro pro qm für eine kleine Bleibe unterm Dach im fünften Stock in einem Haus Baujahr 1957. Mit Nebenkosten fallen 550 Euro an. Auch für diese Wohnlage gilt laut Mietspiegel ein Mittelwert (Median) von 12,31 Euro. Ganz tief in die Tasche greifen muss ein Mieter, der in einer großen Luxuswohnung am Winterhafen leben möchte. Dort wird eine 125qm-Wohnung für eine Monatskaltmiete von 2.595 Euro angeboten, das entspricht einem Quadratmeter- Preis von 20,76 Euro. Hinzu kommen monatliche Nebenkosten von 400 Euro. Wer Geld hat, für den sind genügend Wohnungen auf dem Markt vorhanden. Was fehlt, sind Wohnungen für die vielen unteren und mittleren Einkommen.

Teure Mieten – eine Ordnungswidrigkeit?
Laut Gesetzgeber ist eine Überschreitung der ortsüblichen Vergleichsmiete um über 20 Prozent eine Ordnungswidrigkeit. Wenn die Miete 50 Prozent über dem Mietspiegel liegt, wird von Mietwucher gesprochen. Mietwucher kann bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe zur Folge haben, in besonders schweren Fällen drohen bis zu zehn Jahre. Dafür muss der Mieter aber nachweisen, dass der Vermieter eine Notlage ausnutzt. Seit 2015 gilt in Mainz eine Mietpreisbremse. Dabei darf die Miete bei der Neu- oder Weitervermietung maximal zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Doch die Regelung ist ein stumpfes Schwert. Denn Verstöße nachzuweisen, ist für betroffene Mieter und Wohnungssuchende schwer. Zudem fließen bei alten Wohnungen Modernisierungskosten bei den Berechnungen ein. Und Neubauten sind von der Regelung ausgenommen. Einen Rechtsstreit mit dem Vermieter scheuen viele Betroffene: Wer unterschreibt schon einen Mietvertrag, um gleich seinen Vermieter zu verklagen? Die Stadt geht davon aus, dass nur wenige Betroffene von der Mietpreisbremse Gebrauch machen. Sie bietet zweimal monatlich in Kooperation mit dem Mieterschutzverein eine kostenlose Mieterberatung an.

Geförderter Wohnraum gesucht
Der Bedarf an öffentlich geförderten Wohnungen wächst. Hier kann man von einer Trendwende in Mainz sprechen, denn seit 2014 ist die Zahl der geförderten Wohnungen von 5.273 auf 6.171 im Jahr 2019 gestiegen. OB Ebling stellt fest: „Mittelfristig haben wir insbesondere mit dem Heiligkreuzviertel, der GFZ-Kaserne, der Frankenhöhe und dem Medienberg große Potenzialflächen für weitere – auch geförderte – Wohnungen, die wir in den kommenden zehn Jahren nutzen werden. Trotzdem müssen wir uns für die weitere Zukunft ab dem Jahr 2030 Gedanken machen, wo noch Wohnungsbau möglich ist.“ Auf dem Lerchenberg ist schon die Rede von bis zu 40 Prozent gefördertem Wohnungsbau für das Projekt „Spargelacker“. Auf dem Areal in Nachbarschaft zum ZDF und der Gustav- Mahler-Siedlung sollen 400 neue Wohnungen entstehen. Die Kaltmiete läge bei 7 bis 8 Euro pro Quadratmeter. Und auch viele andere neue „Quartiere“ planen mit mindestens um die 30 Prozent gefördertem Wohnungsbau – Anträge für Berechtigte gibt es bei der Stadt.

Auf diesem 3,4 Hektar großen Areal am ZDF sollen Wohnungen entstehen Foto: Lukas Görlach / VRM Bild

Wohnungsmarktbericht signalisiert Entspannung
Mainz gehörte in den vergangenen zehn Jahren als Stadt im Rhein-Main-Gebiet, als Landeshauptstadt sowie als Hochschul- und Medienstandort zu den überdurchschnittlich wachsenden Städten. Seit längerer Zeit findet sich Mainz auf der Rangliste der Städte mit den teuersten Mietpreisen wieder. Dabei spielt aber nicht nur die Wohnungsnachfrage eine Rolle, denn der Wohnungsmarkt ist auch für Kapitalanleger attraktiv. In der Folge haben insbesondere Haushalte mit niedrigem und mittlerem Budget Schwierigkeiten, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Zwischen 2011 und 2018 entstanden mehr als 6.500 neue Wohnungen. Zwischen 2019 und 2025 sollen weitere 5.500 Wohnungen dazukommen. Nunmehr stellt sich die Frage, wie sich der Wohnungsmarkt mittelfristig – bis zum Jahr 2030 – entwickeln wird. Der kürzlich herausgegebene Wohnungsmarktbericht liefert interessante Antworten: Rechnerisch reichen die ermittelten Wohnungspotenziale zur Deckung der Wohnbedarfe aus, heißt es dort. Bis 2030 schon könnten sich Angebot und Nachfrage decken. Der Wohnungsneubau muss nur konsequent und vor allem bedarfsgerecht weitergeführt werden. Die im Bericht dargestellte zu erwartende Entspannung des Wohnungsmarktes bis 2030 wird jedoch genau beobachtet werden müssen. Denn hinzukommt etwa das neueste Ziel der Stadt, auch Biotechnologie-Standort werden zu wollen. Es braucht daher auch weitere Potenziale für Gewerbe und Industrie – der Raum wird wieder begrenzter und die Einwohnerzahl steigt.

Bezahlbare Mieten!
Wichtige Faktoren für die Nachfrage am Wohnungsmarkt sind die Haushalte und ihre wirtschaftliche Situation: 2019 gab es in Mainz rund 114.000 Haushalte. Fast 80 Prozent davon bestehen aus ein oder zwei Personen – große Haushalte mit vier und mehr Personen sind nur wenig repräsentiert. An Wohnungen gibt es laut amtlicher Statistik insgesamt rund 118.300, von denen sich 85 Prozent im Geschosswohnungsbau und 14 Prozent in Ein- und Zweifamilienhäusern befinden. Die Bevölkerungs- und Haushaltsprognose erwartet für Mainz ein weiteres, wenn auch gedämpftes Wachstum von unter 5 Prozent bis 2030. Dieser Korridor prognostiziert für das Jahr 2030 zwischen 118.500 bis 120.000 Haushalte. Einpersonenhaushalte werden weiter zunehmen, insbesondere bei Senioren und Hochbetagten. Auch die leicht zunehmende Nachfrage von Paarhaushalten mittleren Alters mit Kindern und von Alleinerziehenden stellt ein zentrales Ergebnis der Haushaltsprognose bis 2030 dar. Die Gegenüberstellung von Haushalten und Wohnungen resultiert 2019 in einem Defizit von rund 5.600 Wohnungen. Werden die Baumaßnahmen jedoch wie geplant umgesetzt und entwickeln sich die die Haushalte entsprechend der Prognose, kann das Defizit bis 2025 auf 100 bis 700 Wohnungen reduziert werden. Bis 2030 wäre dann ein rechnerisches Plus von 1.000 bis 2.600 Wohnungen zu erwarten, welches für eine spürbare Entspannung auf dem Wohnungsmarkt sorgen könnte. Künftig wird vermehrt die Zahl der Senioren und Hochbetagten zunehmen. Barrierearmer Neubau und eine altersgerechte Anpassung des Bestandes werden eine größere Rolle spielen. Weiterhin sind einige bedeutsame Unternehmen – zuletzt Biontech – in Mainz angesiedelt. Es ist demnach nicht verwunderlich, dass die Stadt seit mehreren Jahren weiterwächst – in den letzten zehn Jahren mit einem Plus von rund 21.400 Personen – die Größe einer Kleinstadt also. Zudem sind Städte wie Mainz eng mit ihrem Umland verwoben. Pendler strömen hinein und wieder heraus. Wohnraum außerhalb der Stadtgrenze zu suchen, ist und bleibt eine Handlungsoption für die Wohnungsnachfrage. Eine gemeinsame Planung und Strategieentwicklung mit den umliegenden Gemeinden wäre ein weiteres Handlungsfeld. Im Ergebnis fehlen jedoch weiterhin vor allem bezahlbare Wohnungen für die unteren bis mittleren Einkommen. Hierauf sollte sich in den kommenden Jahren der Fokus der Bauaktivität richten. Ein wichtiges Teilsegment stellt dabei der geförderte Wohnungsbau dar, der Haushalten mit geringem Einkommen mit Hilfe eines Wohnberechtigungsscheins die Anmietung einer geförderten Wohnung ermöglicht.

Neuer Stadtteil ab 2030 denkbar
Wegen der weiter steigenden Einwohnerzahl will und muss die Stadt für das kommende Jahrzehnt wohl auch einen neuen Stadtteil in den Blick nehmen. „Wenn wir weiter eine wachsende Stadt sein werden, müssen wir jetzt schon Flächen an den Rändern von Mainz identifizieren, die sich nach 2030 für eine Wohnungsbebauung eignen“, so OB Ebling. In den nächsten ein bis zwei Jahren stünden zwar noch keine Entscheidungen an. „Wir wollen aber die Voraussetzungen dafür schaffen, etwa mit der Bewertung der klimaökologischen Eignung von Flächen.“ Die sogenannte Nachverdichtung auf bestehenden Wohnflächen, etwa die Bebauung von Innenhöfen, stößt immer mehr an ihre Grenzen und bedeutet zudem eine Aufheizung der Innenstadt. Ein neuer Stadtteil wiederum bedeutet die Bebauung von Frischluftschneisen außerhalb, die Mainz in seiner Kessellage besonders benötigt. Die Katze beißt sich hier also in den Schwanz. Daher müsse „bei jedem Bauprojekt überlegt werden, wie wir den ökologischen Fußabdruck kleiner machen können“, so Ebling. „So werden wir etwa bei dem geplanten Projekt auf der Hechtsheimer Höhe mit einem neuen Wärmekonzept arbeiten.“ Und die geplante Wohnsiedlung „Am Medienberg“ profitiere von der Anbindung an die Straßenbahnlinie der Mainzelbahn und der Möglichkeit, diese Häuser mit Fernwärme versorgen zu können. Der neue Wohnungsmarktbericht zeige, so Ebling, dass der Wohnungsbau „in den nächsten fünf Jahren weiter an Fahrt aufnehmen“ müsse.

Heiligkreuz-Areal
„Faktisch entsteht hier sogar ein neuer Stadtteil“, sagt Baudezernentin Marianne Grosse über das Heiligkreuz-Areal (ehemaliges IBM-Gelände) Richtung Hechtsheim. 30 Hektar mit 2.500 Wohneinheiten und an die 5.000 neuen Einwohnern binnen 15 Jahren zu „entwickeln“, lautete 2015 das Vorhaben. Das Eingangsportal ist fertig, vier Baufelder realisiert, vier sind im Bau und sechs weitere noch in der Planung. „Das Quartier schreitet in atemberaubender Geschwindigkeit voran“, so Grosse. „In der Endausbaustufe bedarf es eines Straßenbahnanschlusses“, betont der Ortsvorsteher Ralf Kehrein, „wir müssen verhindern, dass 5.000 neue Bürger die Hechtsheimer Straße in den Verkehrskollaps treiben.“ Auf dem Ausbau des Straßenbahnnetzes in der Innenstadt – die Erschließung des Heiligkreuz- Viertels eingeschlossen – liegt laut Stadtplanungsamtsleiter Axel Strobach jedoch auch der Fokus.

Auf dem Gelände der ehemaligen Kommissbrotbäckerei (Rheinallee) errichtet die Wohnbau ein neues Wohn- und Kulturquartier (Foto: Wohnbau)

Kommunaler Wohnungsbau
Ein zentraler Player für das städtische Wohnungsangebot ist die hauseigene Wohnungsbaugesellschaft „Wohnbau Mainz“. Bei der Wohnbau unterliegen mehr als 45 Prozent der Wohnungen einer Mietpreisbindung, sind also öffentlich gefördert und stehen Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen zur Verfügung. Für geringe Einkommen liegt der Monatsmietpreis im Neubau zu Mietbeginn im geförderten Bereich bei aktuell 6,80 Euro qm/kalt, für mittlere Einkommen bei 7,70 Euro qm/kalt. Etwa 80 Prozent der Wohnbau-Wohnungen werden zu Mieten unter oder am Median des Mainzer Mietspiegels angeboten. 2020 ging das Neubauprojekt der Wohnbau in der Wallaustraße (Neustadt) in die Vermietung. Hier sind neben einer Kita und einem Familienzentrum 61 Wohneinheiten entstanden. Mit dabei ist auch der Verein „Queer im Quartier“. Nebenan in der Sömmerringstraße, Richard-Wagner-Straße und Kreyßigstraße werden sukzessive rund 200 Wohnungen modernisiert sowie ein völlig neuer Quartiersplatz erstellt. Dort am Karoline-Stern-Platz baut die Wohnbau auch noch mal mehr als 150 neue Wohnungen und ein „Zuhause uns Mainz“, das selbstständiges Wohnen und Versorgungssicherheit miteinander kombiniert. Die Neustadt wächst dabei immer mehr in Richtung Norden – auch die Kommissbrotbäckerei hat die Wohnbau erworben und plant, dort Wohnen und Kultur zu vereinen. Direkt gegenüber gedeiht der Zollhafen, und

Und dahinter am neuen Karoline-Stern-Platz (Nördliche  Neustadt) entstehen über 150 Wohnungen (Foto: hbz/Stefan Sämmer)

wenn der eines Tages „ausverkauft“ ist, werden die Stadtwerke noch weiter nördlich das Blendax-Areal angehen. Die Wohnbau bemüht sich zusätzlich darum, Wohnungen aus den Beständen der fusionierenden Wohnungsgesellschaften Vonovia und Deutsche Wohnen zu erwerben. In Mainz besitzen die beiden Unternehmen aktuell 1.465 (Vonovia) bzw. 1.200 Wohnungen (Deutsche Wohnen). Wie sich die Fusion auf den Wohnungsmarkt in Mainz auswirken wird, lässt sich jedoch noch nicht abschätzen.

Fazit
Wo die Reise hingeht, weiß noch niemand. Klar ist der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für untere und mittlere Einkommensgruppen und die Nachfrage nach senioren-gerechtem Wohnen. Hier muss weiter nachgelegt werden. Ob der Bedarf 2030 gedeckt sein wird, werden erst die nächsten Jahre zeigen. Denn insbesondere überraschend auftretende Faktoren wie Corona und gleichzeitig wirtschaftliche Expansionen, wie die von Biontech, sind noch schwer abzuschätzen. Mainz steckt gerade mitten in diversen Möglichkeiten. Ob und wie sie entfaltet werden, wird sich zeigen. Bei einem möglichen größeren (Wirtschafts)-Wachstum und Zunahme an Attraktivität der Stadt und Region ist die Prognose der Balance von Angebot und Nachfrage im Jahr 2030 mit Vorsicht zu genießen. Ersichtlich wird dies erst in den nächsten Jahren bis 2025, je nachdem wie sich die Stadt positioniert. So oder so ist jedoch davon auszugehen, dass sich bei einer weiterhin regen Bautätigkeit die Lage in Zukunft etwas entspannt, die Mieten jedoch natürlich nicht sinken werden. Die ganz große Frage – und auch Wahlversprechen des OB und Krux in einem – ist und bleibt die Realisierung eines neuen „Stadtteils“ – in welcher Form auch immer.

Text David Gutsche
(zu Teilen aus der Allgemeinen Zeitung)

1 response to “Platz-Probleme? – Die ambitionierten Ziele der Mainzer Wohnungspolitik

  1. Alles richtig was da im Artikel steht. Nur müssen Sie auch sagen dass, gerade im Winter oder Zollhafen hochwertig ausgestattete Wohnungen zum Mieten angeboten wurden. Leistbar garantiert nicht für Jeden. Ok , leistbarer Wohnraum muss für jeden erschwinglich geschaffen werden. Nur, ich finde die ansässigen Betriebe und Firmen sind da auch in der Pflicht. In den 50 und 60 Jahren haben Firmen Werkswohnungen zu Verfügung gestellt für ihre Mitarbeiter. Warum soll das heute nicht funktionieren? Wenn ich gute Mitarbeiter haben will muss ich heute als Unternehmer auch für ein gescheites Wohnungsumfeld mitsorgen. Nicht immer auf die Stadt sprich Allgemeinheit diese Problematik schieben.

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